Bundessozialgericht

Verhandlung B 12 KR 11/20 R

Krankenversicherung - freiwillig Versicherter - Beitragsbemessung - Unterhaltszahlungen - Werbungskosten

Verhandlungstermin 28.06.2022 10:00 Uhr

Terminvorschau

U. M. W. ./. pronova BKK
Die Klägerin ist freiwilliges Mitglied der beklagten Krankenkasse. In einem familiengerichtlichen Verfahren schloss sie mit ihrem geschiedenen Ehemann im Mai 2014 einen Vergleich über nacheheliche monatliche Unterhaltszahlungen ab April 2012, in denen jeweils ein "Versicherungsbeitrag von mtl 419,19 Euro" enthalten ist. Auf der Grundlage des Einkommensteuerbescheids (EStB) von Mai 2016 für das Jahr 2014 berücksichtigte die Beklagte bei der Beitragsfestsetzung ab dem 1.6.2016 ua Unterhaltszahlungen in Höhe von (iHv) 1150,42 Euro monatlich (13805 Euro jährlich). Dabei wurden - anders als vom Finanzamt - die Werbungskosten für Unterhaltsleistungen iHv 5836 Euro (486,34 Euro monatlich) nicht in Abzug gebracht. Dadurch errechnete sich ein Beitrag zur gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) oberhalb des Mindestbeitrags. Während des Klageverfahrens setzte die Beklagte die Beiträge unter Berücksichtigung der im EStB 2015 ausgewiesenen Unterhaltsleistungen von 1000 Euro monatlich ohne Abzug von Werbungskosten iHv 60,33 Euro monatlich ab 1.2.2017 neu fest.

Klage und Berufung gegen die Erhebung von Beiträgen oberhalb des Mindestbeitrags sind erfolglos geblieben. Das LSG hat das Verfahren durch Trennungsbeschluss auf die Beitragserhebung zur GKV für den Zeitraum vom 1.6.2016 bis zum 31.12.2017 beschränkt. Werbungskosten seien bei der Feststellung der beitragspflichtigen Einnahmen nicht in Abzug zu bringen. Die Beitragserhebung bei nicht hauptberuflich selbstständig erwerbstätigen freiwillig Versicherten folge konzeptionell dem Bruttoprinzip. Werbungskosten seien nach den Beitragsverfahrensgrundsätzen Selbstzahler nur ausnahmsweise bei Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung sowie aus Kapitalvermögen abzuziehen. Diese Einkünfte würden aus vorhandenen Vermögenswerten erzielt, die zwingend mit Aufwendungen einhergingen, während Unterhaltsleistungen aus einer ehelichen Verantwortung resultierten, die nicht zwangsläufig mit Aufwendungen verbunden seien.

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin die Verletzung von § 240 Abs 1 und 2, § 223 Abs 2 SGB V sowie von Art--Artikel 3 Abs 1 GG. Die Beitragserhebung folge bei freiwillig Versicherten nicht generell dem Bruttoprinzip. Das sowohl bei Arbeitseinkommen als auch bei Einkünften aus Vermietung und Verpachtung sowie aus Kapitalvermögen geltende Nettoprinzip sei aus Gleichbehandlungsgründen auch auf Unterhaltsleistungen als sonstige Überschusseinkünfte anzuwenden. Für eine Ungleichbehandlung fehle ein sachlicher Grund.

Vorinstanzen:
Sozialgericht Köln - S 23 KR 2081/16, 15.09.2017
Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen - L 11 KR 694/17, 19.02.2020  

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Terminbericht

Die Revision der Klägerin hat insoweit Erfolg gehabt, als die Beklagte bei den Unterhaltszahlungen keine Werbungskosten in Abzug gebracht und daher zu hohe Beiträge gefordert hat. Bei dem nachehelichen Unterhalt handelt es sich um eine Einnahme, die für den Lebensunterhalt verbraucht werden kann und damit die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit im Sinne des § 240 SGB V erhöht. Dies gilt auch für den darin enthaltenen Versicherungsbeitrag zur Altersvorsorge; er dient keinem gesetzlich normierten, besonderen Zweck, der es rechtfertigen würde, ihn von der Beitragsbemessung auszunehmen.

Dagegen sind die vom Finanzamt berücksichtigten Werbungskosten in Abzug zu bringen. Werbungskosten sind nach der gleichlautenden beitrags- und steuerrechtlichen Definition Aufwendungen zur Erwerbung, Sicherung und Erhaltung der Einnahmen. Sie schränken die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit ein. Der nach § 3 Abs 1b Satz 1 Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler (BeitrVerfGrsSz) ausdrücklich nur bei den Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung sowie aus Kapitalvermögen geregelte Abzug von Werbungskosten ist nach Art 3 Abs 1 GG mit Rücksicht auf das Gebot der Belastungsgleichheit auch bei Unterhaltsleistungen geboten. Der Senat sieht keinen sachlichen Grund, der insoweit eine Ungleichbehandlung rechtfertigen könnte. § 240 SGB V und die BeitrVerfGrsSz sehen zwar das Bruttoprinzip für Einnahmen vor, die wie das Arbeitsentgelt oder Renten auch bei einem vergleichbaren versicherungspflichtigen Beschäftigten der Beitragsbemessung zugrunde zu legen sind. Dies ist bei nachehelichen Unterhaltszahlungen aber nicht der Fall. Das Bruttoprinzip ist auch nicht deshalb anzuwenden, weil Unterhaltszahlungen womöglich aus Arbeitsentgelt des Unterhaltsverpflichteten geleistet werden. Dabei handelt es sich beitragsrechtlich um eine eigene Einnahme der Klägerin, unabhängig davon, ob die Einkunftsquelle bereits beim Unterhaltsverpflichteten zur Beitragszahlung herangezogen wurde. Verfahrensrechtlich dienen hier die von der Beklagten für die Feststellung der Unterhaltsleistungen herangezogenen Einkommensteuerbescheide auch zum Nachweis der Werbungskosten.

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