Verhandlung B 6 KA 14/21 R
Vertragsarztrecht - vertragsärztliche Versorgung - Wirtschaftlichkeitsprüfung - Regress - Vernichtung - Neubeschaffung - Impfstoff - Fehlkühlung
Verhandlungstermin
29.06.2022 12:30 Uhr
Terminvorschau
BAG Dr. G. und Dr. Sch. ./. Beschwerdeausschuss Wirtschaftlichkeitsprüfung der vertragsärztlichen Versorgung Sachsen-Anhalt, 7 Beigeladene
Im Streit steht die Festsetzung eines Regresses im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung im Zusammenhang mit der Vernichtung und Neubeschaffung von Impfstoff nach einer Fehlkühlung.
Die Klägerin, eine kinderärztliche BAG, stellte am 3.3.2014 fest, dass es zu einer mehrstündigen Unterschreitung der vorgesehenen Kühltemperatur in dem von ihr für die Aufbewahrung von Impfstoff verwendeten Kühlschrank gekommen war, weil ein Relais im Regler des Kühlschrankverdichters klemmte. Die betroffenen Impfstoffe ließ die Klägerin nach Empfehlung des Apothekers sowie des Impfstoffherstellers vernichten. In der Folgezeit beschaffte sie erneut Impfstoff, den sie zulasten der gesetzlichen Krankenkassen verordnete, größtenteils als Ersatz für den vernichteten Impfstoff.
Die Prüfungsstelle setzte gegen die Klägerin einen Regress in Höhe der Nettoverordnungskosten des ersatzweise beschafften Impfstoffs (24 394,91 Euro) fest. Den dagegen gerichteten Widerspruch wies der beklagte Beschwerdeausschuss zurück. Zur Begründung führte er im Wesentlichen aus, dass die Verordnung des ersatzweise beschafften Impfstoffs zulasten der gesetzlichen Krankenkassen unzulässig gewesen sei. Voraussetzung einer zulässigen Verordnung sei der sachgemäße Verbrauch bzw der Ablauf der regulären Haltbarkeit des Impfstoffes. Das Risiko für einen Untergang von Impfstoff trage der Arzt.
Die dagegen erhobene Klage ist erfolglos geblieben. Die Vernichtung des verordneten Impfstoffes anstelle der zweckentsprechenden Verwendung sei in der Gesamtschau als unwirtschaftliches Verordnungsverhalten zu werten. Dabei komme es nicht darauf an, ob die Ersatzverordnung zulässig gewesen sei. Denn dieser Impfstoff sei zur Schutzimpfung gesetzlich Versicherter verwendet worden. Die Unwirtschaftlichkeit bestehe darin, dass Impfstoffe vernichtet worden seien, die zum Zwecke der Schutzimpfung gesetzlich krankenversicherter Patienten bezogen und von den Krankenkassen bezahlt worden seien, ohne sie zweckentsprechend verbraucht zu haben. Grundsätzlich trage der Vertragsarzt das Risiko der Lagerung und der bestimmungsgemäßen Verwendung von Impfstoff. Denn er habe - anders als die Krankenkassen - bestimmenden Einfluss nicht nur auf Lagerung und Verwendung, sondern auch auf Art, Menge und Zeitpunkt des Bezugs von Impfstoff. Es sei daher nicht gerechtfertigt, den Krankenkassen ein dementsprechendes Risiko zuzuordnen. Eine abweichende Risikoverteilung komme nur in Betracht, soweit der Arzt durch normative Vorgaben eingeschränkt sei, die die Verwerfung von Impfstoff erforderlich machten. Solche Umstände seien hier aber nicht gegeben.
Mit ihrer Sprungrevision rügt die Klägerin eine Verletzung von § 106 SGB V aF bzw §§ 106, 106b SGB V nF sowie §§ 48 ff BMV-Ä. Die Festsetzung eines Regresses komme nicht in Betracht, sei es im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung oder als sonstiger Schaden. Gegenstand sowohl des Prüfantrags als auch des Bescheids des Beklagten sei nur die Ersatzverordnung. Diese sei wegen der bestimmungsgemäßen Verwendung des verordneten Impfstoffs nicht zu beanstanden. Im Übrigen liege ein Fall höherer Gewalt vor. Es sei unzumutbar, das Risiko hierfür einseitig auf die Vertragsärzte abzuwälzen. Zudem fielen Impfungen nach § 20i SGB V nicht in den Sicherstellungsauftrag der Kassenärztlichen Vereinigung, sondern der Krankenkassen. Dementsprechend sei es sachgerecht, wenn die Krankenkassen das Risiko eines zufälligen Untergangs der Impfstoffe tragen.
Vorinstanz:
Sozialgericht Magdeburg - S 1 KA 25/17, 14.07.2021
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Terminbericht
Die Sprungrevision der Klägerin ist ohne Erfolg geblieben. Zu Recht ist gegen sie ein Regress in Höhe von 24 394,91 Euro festgesetzt worden. Zwar handelt es sich hier nicht um einen sonstigen Schaden für den die Klägerin nach § 48 BMV-Ä verschuldensabhängig einzustehen hätte. Die ersatzweise Verordnung von Impfstoff erweist sich jedoch als unwirtschaftlich (§ 106 Abs 1 Satz 1 SGB V aF, § 13 Abs 1 Satz 1 der in Sachsen-Anhalt geltenden PrüfV). Sie war unzulässig. Bei Beurteilung der Zulässigkeit von Ersatzverordnungen sind auch die Umstände in den Blick zu nehmen, die zur Ersatzverordnung geführt haben. Dabei ist es wegen der gebotenen Typisierung, die der Wirtschaftlichkeitsprüfung in gewisser Weise immanent ist, für die Annahme einer unzulässigen Ersatzverordnung von Impfstoff ausreichend, dass der Schaden aufgrund einer Fehlfunktion eines Geräts in den Praxisräumen des Arztes eingetreten ist. Zwar können technische Fehler eines Medikamentenkühlschrankes nie vollständig ausgeschlossen werden. Das Risiko eines Schadenseintritts kann der Arzt als Betreiber seiner Praxis aber in weitem Umfang beeinflussen. Durch Auswahl, Wartung und Überwachung der Praxisausstattung kann die Gefahr von Sachschäden so gering wie möglich gehalten werden. Hinzu kommt, dass der Arzt in gewissem Rahmen Einfluss auf die Menge des gelagerten Impfstoffs hat. Im welchem Umfang der Arzt Vorsorge trifft (auch durch den Abschluss von Versicherungen), unterliegt seiner freien unternehmerischen Entscheidung und kann weder von den Prüfgremien noch von den Krankenkassen kontrolliert werden. Eine abweichende Beurteilung kann zwar geboten sein, wenn zB ein Fall sog höherer Gewalt (insbesondere bei Naturereignissen) vorliegt, gegen den regelmäßig keine planbaren Vorkehrungen möglich sind. Eine solche Konstellation liegt aber nach den Feststellungen des SG nicht vor.
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