Verhandlung B 7/14 KG 1/21 R
Kinderzuschlag - nicht erwerbsfähige Eltern
Verhandlungstermin
13.07.2022 12:30 Uhr
Terminvorschau
B. M. ./. Bundesagentur für Arbeit
Die Beteiligten streiten über die Bewilligung von Kinderzuschlag von Februar 2018 bis Dezember 2020.
Die Klägerin ist Mutter von drei Kindern (geboren 2012, 2013 und 2019) und lebt mit ihnen sowie ihrem Ehemann in einem gemeinsamen Haushalt. Die Kinder verfügen nicht über Einkommen oder Vermögen. Die Klägerin erhält Kindergeld, Elterngeld und Wohngeld. Beide Eheleute beziehen (befristete) Renten wegen voller Erwerbsminderung bei einem Restleistungsvermögen von unter drei Stunden.
Die beklagte Familienkasse lehnte einen Antrag auf Weiterbewilligung von Kinderzuschlag für die Zeit ab Februar 2018 mit der Begründung ab, durch den Kinderzuschlag werde keine Hilfebedürftigkeit nach § 9 SGB II vermieden (§ 6a Abs 1 Nr 4 BKGG in der bis zum 31.12.2019 geltenden Fassung). Kein Familienmitglied sei leistungsberechtigt nach dem SGB II.
Dieser Begründung sind das SG und das LSG in ihren Entscheidungen gefolgt. Ergänzend hat das LSG ausgeführt, auch nach der Neufassung des § 6a BKGG ab dem 1.1.2020 erfülle die Klägerin die Anspruchsvoraussetzungen für einen Kinderzuschlag nicht (§ 6a Abs 1 Nr 3 BKGG). Die Verneinung des Anspruchs auf Kinderzuschlag sei auch nicht verfassungswidrig. Eine Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes nach Art 3 Abs 1 GG liege nicht vor. Das Gesetz differenziere anhand des Kriteriums der Erwerbsfähigkeit von mindestens einem Haushaltsmitglied. Dies sei konsequent, denn der Kinderzuschlag trete an die Stelle eines Anspruchs auf Alg II bzw Sozialgeld, der ebenfalls die Erwerbsfähigkeit mindestens einer haushaltsangehörigen Person voraussetze.
Die Klägerin rügt mit ihrer vom LSG zugelassenen Revision ua eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung gegenüber anderen Haushalten, in denen jedenfalls ein erwerbsfähiger Leistungsberechtigter lebe.
Vorinstanzen:
Sozialgericht Duisburg - S 42 BK 8/18, 06.02.2019
Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen - L 7 BK 1/19, 10.12.2020
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Terminbericht
Die Revision der Klägerin war erfolglos. Sie hat im Zeitraum von Februar 2018 bis Dezember 2020 keinen Anspruch auf Kinderzuschlag nach § 6a BKGG für ihre drei Kinder.
Für den Zeitraum bis zum 31.12.2019 hat die Klägerin bereits deshalb keinen Anspruch auf einen Kinderzuschlag, weil durch den Kinderzuschlag Hilfebedürftigkeit nach § 9 SGB II nicht vermieden wird, wie es § 6a Abs 1 Nr 4 BKGG in der bis zu diesem Zeitpunkt geltenden Fassung voraussetzte. Denn keines der Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft, in der die Klägerin lebt, kann Leistungen nach dem SGB II erhalten. Die Klägerin und ihr Ehemann sind nicht erwerbsfähig, weil sie nach dem Gesamtzusammenhang der Feststellungen des LSG wegen Krankheit oder Behinderung auf absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Damit sind sie gem § 7 Abs 1 Satz 1 Nr 2 iVm § 8 Abs 1 SGB II von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II ausgeschlossen. Die Kinder der Klägerin haben schon nicht das erforderliche Mindestalter nach § 7 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB II, um erwerbsfähige Leistungsberechtigte zu sein und ihren erwerbsunfähigen Eltern einen Sozialgeldanspruch zu vermitteln.
Der ‑ mittelbare ‑ Ausschluss vom Kinderzuschlag bei einer fehlenden SGB II-Leistungsberechtigung für den Fall der Nichtgewährung des Kinderzuschlags gilt auch nach § 6a Abs 1 Nr 3 BKGG in der ab dem 1.1.2020 geltenden Fassung. Danach setzt der Anspruch auf Kinderzuschlag ua voraus, dass "bei Bezug des Kinderzuschlags keine Hilfebedürftigkeit nach § 9 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch" besteht. Mag der Wortlaut der Vorschrift insoweit zwar weniger eindeutig sein als der der Vorgängerformulierung. Dies ändert aber nichts daran, dass bereits nach dem Wortsinn bei Bezug des Kinderzuschlags Hilfebedürftigkeit nach § 9 SGB II (nur) dann nicht besteht, wenn sie jedenfalls hypothetisch bestehen könnte. Im Übrigen wird dieser Befund durch die Betrachtung des systematischen Zusammenhangs der Regelung sowie deren Sinn und Zweck unter Berücksichtigung der Entstehungsgeschichte bestätigt. Zwar kann nun Alg II und Kinderzuschlag in bestimmten Konstellationen parallel bezogen werden. Allerdings bleibt es dabei, dass auch nach der Neufassung des § 6a BKGG Kinderzuschlag alternativ oder maximal ergänzend zu den Leistungen nach dem SGB II bezogen werden können soll. Der sozialpolitische Zweck des Kinderzuschlags bleibt unangetastet. Es sollen Familien unterstützt werden, bei denen der SGB II-Leistungsbezug sich allein aus dem Bedarf der Kinder ergibt, während die Eltern ihren Bedarf zumindest zum überwiegenden Teil durch Erwerbseinkommen selbst decken können. Soweit auch von diesem Grundgedanken abweichende Konstellationen denkbar sind, in denen nicht die erwerbsfähigen und -tätigen Eltern/Elternteile sondern zB die über 15-jährigen erwerbsfähigen Kinder den Zugang der Familie zum SGB II eröffnen, ist Grund hierfür die enge Bindung des Kinderzuschlags an die Zugangsvoraussetzungen zum SGB II. Gerade dies belegt jedoch, dass ohne die Möglichkeit eines Leistungsanspruchs auf Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende die Gewährung von Kinderzuschlag ausscheidet.
Die verfassungsrechtlichen Bedenken der Klägerin insoweit vermag der Senat nicht zu teilen. Die Regelungen verletzten nicht den allgemeinen Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG.
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