Bundessozialgericht

Verhandlung B 8 SO 3/21 R

Sozialhilfe - Eingliederungshilfe - Persönliches Budget - Verwaltungsakt - Widerruf - Vergangenheit

Verhandlungstermin 11.08.2022 13:00 Uhr

Terminvorschau

K. ./.  Landrat des Landkreises Neuwied
Der beklagte Träger der Eingliederungshilfe bewilligte dem 2003 geborenen, behinderten Kläger, der im Haushalt seiner Eltern lebt, ab September 2012 ein Persönliches Budget von monatlich 7750 Euro als Hilfe zum selbstbestimmten Leben in ambulant betreuten Wohnmöglichkeiten. In der hierzu geschlossenen Zielvereinbarung verpflichtete sich der Kläger ua, "die Mittel aus dem ‚Persönlichen Budget‘ zur Deckung des (…) genannten Bedarfs zu verwenden und die Deckung des Bedarfs tatsächlich sicherzustellen" sowie die zweckentsprechende Verwendung der Mittel durch die Vorlage der Abrechnungen nachzuweisen. Nachdem auf mehrfache Aufforderung hin nach Auffassung des Beklagten keine ausreichenden Belege vorgelegt wurden, widerrief er nach Kündigung der Zielvereinbarung im Juni 2015 die Bewilligung des Persönlichen Budgets für den Zeitraum von September 2012 bis Mai 2015 wegen nicht zweckentsprechender Mittelverwendung (§ 47 Abs 2 Satz 1 Nr 1 SGB X) und forderte die gezahlte Eingliederungshilfe in Höhe von insgesamt 250 800 Euro zurück. Das SG hat die Klage abgewiesen, das LSG die Berufung zurückgewiesen: Der angefochtene Bescheid sei rechtmäßig, da der Kläger die zweckentsprechende Verwendung der ausgezahlten Mittel nicht nachgewiesen habe. Die Verpflichtung zum Nachweis folgte aus der geschlossenen Zielvereinbarung, die Bestandteil des Bewilligungsbescheids sei. § 47 Abs 2 SGB X sei nicht nur auf subventionsähnliche Leistungen anzuwenden.

Mit seiner Revision verfolgt der Kläger sein Begehren auf Aufhebung des Widerrufs- und Rückforderungsbescheids weiter.

Vorinstanzen:
Sozialgericht Koblenz - S 1 SO 164/17, 03.04.2019
Landessozialgericht Rheinland-Pfalz - L 1 SO 91/19, 26.11.2020

Sämtliche Vorschauen zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in der Terminvorschau 30/22.

Terminbericht

Die Revision hat in der Sache Erfolg gehabt. Der Senat hat die Urteile der Vorinstanzen und die angefochtenen Bescheide aufgehoben. Leistungen der Eingliederungshilfe, die rechtmäßig begünstigend in Form eines Persönlichen Budgets bewilligt worden sind, dürfen nicht nach § 47 Abs 2 Satz 1 Nr 1 SGB X mit Wirkung für die Vergangenheit widerrufen werden. Die Vorschrift lässt den Widerruf für die Vergangenheit nur für Leistungen zu, deren Zweck im Verwaltungsakt oder in einbezogenen untergesetzlichen Regelungen bestimmt ist. Das Persönliche Budget als Leistungsform ist aber an die gesetzlichen Voraussetzungen der Leistungen zur Teilhabe gebunden. Über den gesetzlich vorgegebenen Anspruchsinhalt hinaus sind durch den bewilligenden Verwaltungsakt lediglich Präzisierungen und Konkretisierungen zulässig, die aber weder eine originäre Zweckbestimmung noch daraus resultierende Verhaltenspflichten des Leistungsempfängers begründen können. Die Verantwortung für die Erreichung der Eingliederungsziele kann nicht durch Bewilligung eines Persönlichen Budgets und den Abschluss einer Zielvereinbarung auf den Leistungsempfänger verlagert werden. Auf Grundlage der Feststellungen des LSG scheidet auch eine Umdeutung in eine Aufhebung nach § 48 SGB X oder eine Rücknahme nach § 45 SGB X aus.

Sämtliche Berichte zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in dem Terminbericht 30/22.

Hinweis zur Verwendung von Cookies

Wir verwenden ausschließlich Sitzungs-Cookies, die für die einwandfreie Funktion unserer Webseite erforderlich sind. Mit der Nutzung unserer Dienste erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir diese Cookies einsetzen. Unsere Informationen zum Datenschutz erhalten Sie über den Link Datenschutz.

OK