Verhandlung B 1 KR 24/21 R
Entgeltfortzahlung - Erstattung - Arbeitgeberaufwendungen - erste vier Wochen des Beschäftigungsverhältnisses - Tarifvertrag
Verhandlungstermin
18.08.2022 12:50 Uhr
Terminvorschau
J. S. ./. Deutsche Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See
Die Beteiligten streiten um die Erstattung von Arbeitgeberaufwendungen für Entgeltfortzahlung innerhalb der ersten vier Wochen eines Beschäftigungsverhältnisses.
Der Kläger ist Rechtsanwalt und beschäftigte befristet vom 29.7.2014 bis 15.11.2014 einen Arbeitnehmer. Dieser war vom 30. bis 31.7.2014 und vom 21. bis 29.8.2014 arbeitsunfähig erkrankt. Der Kläger leistete für beide Zeiträume Entgeltfortzahlung aufgrund des Manteltarifvertrages für Rechtsanwaltsbüros in Hamburg, nach dem abweichend vom Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG) eine Verpflichtung zur Entgeltfortzahlung vom ersten Tag an besteht. Die Beklagte lehnte den Antrag des Klägers auf Erstattung seiner Aufwendungen mit der Begründung ab, dass ein Erstattungsanspruch erst nach einer vierwöchigen ununterbrochenen Dauer des Beschäftigungsverhältnisses bestehe; insoweit sei die Frist des § 3 Abs 3 EFZG zu berücksichtigen. Klage und Berufung sind – abgesehen von einem angenommen Teilanerkenntnis für die Zeit vom 26. bis 29.8.2014 – ohne Erfolg geblieben. Das LSG hat ausgeführt, ein Erstattungsanspruch des Arbeitgebers nach § 1 Abs 1 Nr 1 AAG entstehe trotz Fehlens eines ausdrücklichen Verweises im Gesetzeswortlaut erst nach Ablauf der vierwöchigen Wartezeit gemäß § 3 Abs 3 EFZG. Die Einhaltung der Wartezeit sei Voraussetzung für den Anspruch auf Entgeltfortzahlung, so dass die Einbeziehung automatisch erfolge. Gesetzeshistorisch stelle die fehlende Bezugnahme des AGG auf § 3 Abs 3 EFZG ein Redaktionsversehen des Gesetzgebers dar. Auch innerhalb des EFZG verzichte der Gesetzgeber auf die ausdrückliche Bezugnahme auf § 3 Abs 3 EFZG. Sinn und Zweck der Wartezeit sei die Entlastung der Arbeitgeber durch Bekämpfung des missbräuchlichen Ausnutzens der Entgeltfortzahlung. Dieses Ziel könne nur erreicht werden, wenn der Schutz für das Ausgleichsverfahren nicht umgangen werden könne.
Mit seiner Revision rügt der Kläger eine Verletzung von § 1 Abs 1 Nr 1 AAG iVm § 3 Abs 1 EFZG, von § 10, § 2 Abs 2 Halbsatz 2 AAG iVm und § 31 SGB I sowie von Art 9 Abs 3 GG.
Vorinstanzen:
Sozialgericht Hamburg - S 48 KR 2750/16, 22.03.2018
Landessozialgericht Hamburg - L 1 KR 46/18, 25.02.2021
Die Vorschau zu dem Verhandlungstermin des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in der Terminvorschau 31/22.
Terminbericht
Die Revision des Klägers hatte keinen Erfolg. Das LSG hat seine Berufung gegen das klagabweisende Urteil des SG zu Recht zurückgewiesen. Ein Anspruch des Arbeitgebers auf Aufwendungsersatz nach § 1 Abs 1 Nr 1 AAG besteht auch dann erst nach Ablauf der vierwöchigen Wartefrist, wenn der Anspruch des Arbeitsnehmers auf Entgeltfortzahlung tarifvertraglich eine solche - anders als das EFZG - nicht voraussetzt. § 1 Abs 1 Nr 1 AAG nimmt zwar auf die vierwöchige Wartezeit in § 3 Abs 3 EFZG nicht ausdrücklich Bezug, sieht aber ebenso wenig vor, dass fortgezahltes Arbeitsentgelt dem Arbeitgeber unabhängig von den Voraussetzungen des EFZG zu erstatten ist. Ausschlaggebend für eine Beschränkung des Erstattungsanspruchs auf den gesetzlichen Entgeltfortzahlungsanspruch sind die Regelungssystematik, der Sinn und Zweck der maßgebenden Vorschriften sowie ihre Auslegung im Lichte von Art 3 Abs 1 GG. Die Tarifautonomie des Klägers nach Art 9 Abs 3 GG wird nicht berührt. Die durch das EFZG eingeräumten tarifvertraglichen Abweichungsmöglichkeiten begründen keinen weitergehenden Erstattungsanspruch zu Lasten der nach dem AAG in einer Solidargemeinschaft zwangsweise zusammengeschlossenen Kleinunternehmen.
Die Berichte zu dem Verhandlungstermin des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in dem Terminbericht 31/22.