Bundessozialgericht

Verhandlung B 1 KR 30/21 R

Krankenversicherung - Krankenhausapotheke - individuell hergestellte Zytostatika - Umsatzsteueranteil - Rückzahlung

Verhandlungstermin 18.08.2022 11:10 Uhr

Terminvorschau

Techniker Krankenkasse ./. W. GmbH
In den Verfahren B 1 KR 30/21 R und B 1 KR 13/21 R streiten die Beteiligten jeweils über die Rückzahlung von Umsatzsteueranteilen, die in den Vergütungen für individuell hergestellte Zytostatika enthalten sind.

Die in beiden Verfahren identische Beklagte ist Trägerin eines zugelassenen Krankenhauses. Die klinikumseigene Krankenhausapotheke stellte aus zugekauften Vorprodukten individuell Zytostatika her. Diese gab sie nebst zugekauften Applikationsmitteln (Pumpen, Spezialinfusionssystemen etc) im Rahmen ambulanter Behandlungen an Versicherte der klagenden Krankenkassen (KKn) ab. Die dafür gestellten Rechnungen enthielten jeweils rechnerisch einen Umsatzsteueranteil, wiesen diesen aber nicht gesondert aus. Das Krankenhaus behandelte seine Einnahmen aus der Abgabe von Zytostatika gegenüber dem Finanzamt als umsatzsteuerfrei und machte keinen Vorsteuerabzug auf die von ihm eingekauften Eingangsleistungen geltend. Mit Urteil vom 24.9.2014 entschied der BFH (V R 19/11 – BFHE 247, 369), dass die Abgabe von individuell hergestellten Zytostatika umsatzsteuerfrei ist, wenn Krankenhausapotheken sie zur ambulanten Behandlung von Patienten im Krankenhaus abgeben. Das Bundesfinanzministerium entschied mit Erlass vom 28.9.2016 (BStBl I 2016, 1043), dass dem BFH-Urteil auch mit Wirkung für die Vergangenheit zu folgen ist. Die klagenden KKn begehren jeweils die Rückzahlung der von ihnen für Zytostatika insgesamt an das Krankenhaus gezahlten Umsatzsteueranteile. Vorsteuer sei nicht zu berücksichtigen, jedenfalls könne diese nicht aus den den KKn in Rechnung gestellten Verkaufspreisen berechnet werden, die Gewinnanteile enthielten, sondern nur aus den vom Krankenhaus gezahlten Einkaufspreisen.

Die KK begehrt mit der im Jahr 2014 erhobenen und nachfolgend erweiterten Klage die Rückzahlung von Umsatzsteueranteilen für die Jahre 2010 bis 2016. Für die Zeit von Januar bis Juli 2010 ist Vertragsgrundlage eine im Jahr 2004 zwischen einem Apothekerverband und den Ersatzkassenverbänden geschlossene Vereinbarung (Vereinbarung 2004). Dieser ist das Krankenhaus beigetreten. Danach ergibt sich der Abgabepreis aus fünf Berechnungsposition: Für zugekaufte Arzneimittel und Trägerlösungen (Positionen 1 und 2) zahlt die KK den am Tag der Abgabe jeweils geltenden Apothekeneinkaufspreis (AEK) der ABDA-Stammdaten abzüglich jeweils 2 %. Für Applikationshilfen (Position 3) zahlt die KK den jeweils geltenden AEK. Position 4 umfasst die "Mehrwertsteuer der Summe Pos. 1-3". Position 5 weist den Arbeitspreis pro applikationsfertiger Einheit aus. Für die Zeit von August 2010 bis Dezember 2016 ist Vertragsgrundlage eine im Jahr 2010 zwischen einem Apothekerverband und Krankenkassenverbänden geschlossene Vereinbarung (Vereinbarung 2010). Dieser ist das Krankenhaus beigetreten. Danach wird der Abgabepreis in drei Berechnungsschritten bestimmt: Für Rezepturen und Trägerlösungen zahlt die KK den am Tag der Abgabe jeweils geltenden AEK der ABDA-Stammdaten abzüglich unterschiedlicher prozentualer Abschläge. Zusätzlich ist ein Arbeitspreis pro applikationsfertiger Einheit abrechnungsfähig. Sodann ist den Preisen "die Mehrwertsteuer hinzuzufügen".

Das SG hat das Krankenhaus verurteilt, den von der KK für August 2010 bis Dezember 2016 auf den Arbeitspreis gezahlten Umsatzsteueranteil an diese zurückzuzahlen. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Das LSG hat die Berufung der KK zurückgewiesen. Die KK habe nach ergänzender Vertragsauslegung der Vereinbarung 2010 zwar dem Grunde nach einen vertraglichen Anspruch auf Rückzahlung des Umsatzsteueranteils. Dieser bestehe jedoch nur in Höhe des vom SG zuerkannten Betrages. Nach der rückwirkenden Änderung der Rechtsauffassung der Finanzverwaltung zur Umsatzsteuerpflicht sei das Krankenhaus zur Rückzahlung des Differenzbetrages verpflichtet, der sich aus dem Umsatzsteueranteil des vereinbarten Abgabepreises abzüglich der auf die mit der KK vereinbarten Verkaufspreise für Vorprodukte pauschal zu berechnenden Vorsteuer ergebe. Die vom Krankenhaus tatsächlich gezahlte Vorsteuer sei nach der Vereinbarung nicht maßgeblich. Es setze sich insoweit ein vertragsimmanentes Risiko fort. Die Vereinbarung 2004 berücksichtige die Umsatzsteuer nur auf bezogene Vorprodukte. Ein vertraglicher Rückzahlungsanspruch sei deshalb ausgeschlossen.

Mit ihrer Revision rügt die KK eine Verletzung von § 129a SGB V und § 69 Abs 1 Satz 3 SGB V iVm §§ 133, 157, 280, 812 BGB.

Vorinstanzen:
Sozialgericht Speyer - S 17 KR 689/16, 05.12.2019
Landessozialgericht Rheinland-Pfalz- L 5 KR 22/20, 01.07.2021

Die Vorschau zu dem Verhandlungstermin des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in der Terminvorschau 31/22.

Terminbericht

Die Revision der klagenden Krankenkasse (KK) hatte keinen Erfolg. Die Entscheidung des LSG, dass der KK kein weiterer Anspruch auf Rückzahlung von Umsatzsteueranteilen auf Zytostatikaabgaben zusteht, ist rechtlich nicht zu beanstanden.

Grundlage der Leistungspflichten der Beteiligten sind die zwischen dem Krankenhaus und der KK zustande gekommenen Arzneimittelpreisvereinbarungen (AMPV). Die den KKn und Krankenhäusern nach § 129a SGB V zustehende Vertragsfreiheit lässt es noch zu, den Vertragsschluss durch einen Optionsvertrag vorbereiten zu lassen, an dem ein Dritter beteiligt ist (hier ein Berufsverband von Krankenhausapothekern). Mit den Optionsverträgen haben die KKn gegenüber den Krankenhäusern ein Vertragsangebot abgegeben, aber erst die untechnisch als "Beitritt" bezeichneten Erklärungen der Krankenhausträger zu den Vereinbarungen begründeten jeweils ein vertragliches Leistungserbringerverhältnis mit den KKn nach Maßgabe der vom Apothekerverband zuvor verhandelten Bedingungen (AMPV 2004 und AMPV 2010).

Der Anspruch der KK auf Rückzahlung der vom Krankenhaus vereinnahmten und nicht an das Finanzamt abgeführten Umsatzsteuer folgt aus einer vertraglichen Verpflichtung nach ergänzender Vertragsauslegung der AMPV 2010. Der Anspruch besteht jedoch nicht über den von den Vorinstanzen zuerkannten Betrag hinaus. Der Senat kann die AMPV 2004 und 2010 als Revisionsgericht nicht selbst auslegen. Vertragliche Vereinbarungen sind revisionsgerichtlich nur eingeschränkt überprüfbar. Das Revisionsgericht hat hier nur zu prüfen, ob die Vorinstanz bei der Auslegung Bundesrecht verletzt hat, insbesondere die gesetzlichen Auslegungsregeln der §§ 133, 157 BGB nicht beachtet oder gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstoßen hat. Eine Ausnahme bilden zwar sog "typische" Verträge, die in einer Vielzahl von Fällen geschlossen werden. Dies gilt allerdings nur, wenn sich deren Anwendungsbereich über den Bezirk eines Berufungsgerichts hinaus erstreckt, was hier nicht der Fall ist. Seine entgegenstehende frühere Rechtsprechung hat der Senat nach informeller Abstimmung mit dem 3. Senat aufgegeben. Nach der ergänzenden Auslegung der AMPV 2010 durch das LSG für die Zeit vom 1.8.2010 bis 31.12.2016 steht der KK ein vertraglicher Anspruch auf Rückzahlung der materiell-rechtlich nicht geschuldeten Umsatzsteuer unter Gegenrechnung der Vorsteueraufwendungen zu. Die Höhe der von der KK zu tragenden Vorsteueraufwendungen wird durch die vereinbarten (Netto‑)Verkaufspreise für Arzneimittel und Applikationshilfen bestimmt und nicht durch die im Einzelfall tatsächlich angefallenen Beschaffungskosten. Diese vom LSG nachvollziehbar begründete ergänzende Vertragsauslegung verletzt die genannten bundesrechtlichen Auslegungsgrundsätze nicht, wenngleich ein anderes Auslegungsergebnis ebenfalls vertretbar wäre. Revisionsrechtlich nicht zu beanstanden ist auch die Auslegung der AMPV 2004 durch das LSG für die Zeit vom 1.1. bis 31.7.2010, bei der das LSG ohne ergänzende Vertragsauslegung einen Rückzahlungsanspruch von vornherein verneinte.

Es besteht kein weitergehender Schadensersatzanspruch der KK gegen das Krankenhaus. Nach den nicht angegriffenen Feststellungen des LSG ist der KK aus der Verletzung einer etwaigen Nebenpflicht kein Schaden entstanden, der höher ist, als der durch die ergänzende Vertragsauslegung begründete Rückzahlungsanspruch.

Die Berichte zu dem Verhandlungstermin des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in dem Terminbericht 31/22.

Hinweis zur Verwendung von Cookies

Wir verwenden ausschließlich Sitzungs-Cookies, die für die einwandfreie Funktion unserer Webseite erforderlich sind. Mit der Nutzung unserer Dienste erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir diese Cookies einsetzen. Unsere Informationen zum Datenschutz erhalten Sie über den Link Datenschutz.

OK