Verhandlung B 6 KA 10/21 R
Vertragsarztrecht - vertragsärztliche Versorgung - Kassenärztliche Vereinigung - Abschlagszahlungen - Honorar - Medizinisches Versorgungszentrum - Bankbürgschaft
Verhandlungstermin
07.09.2022 10:00 Uhr
Terminvorschau
Labor A. MVZ GmbH ./. Kassenärztliche Vereinigung Bayerns
Streitig ist, ob die Beklagte die Gewährung von Abschlagszahlungen auf das zu erwartende Honorar eines Medizinischen Versorgungszentrums (MVZ) von der Vorlage einer Bankbürgschaft abhängig machen darf, wenn Gesellschafter der Trägergesellschaft des MVZ nicht ausschließlich natürliche Personen sind.
Die klagende GmbH ist Trägerin eines MVZ, das Laborleistungen erbringt. Alleingesellschafterin der Träger-GmbH ist wiederum eine GmbH, die Orthopädietechnik M. GmbH. Die beklagte KÄV gewährte der Klägerin bis Juni 2012 Abschlagszahlungen auf das zu erwartende - erst im Laufe des übernächsten Quartals abgerechnete - Honorar in Höhe von etwa 2,4 Mio Euro monatlich. Mit Schreiben vom 18.4.2012 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass sie ihre Abrechnungsbestimmungen dahingehend geändert habe, dass für MVZ, die - wie die Klägerin - in der Organisationsform einer juristischen Person des Privatrechts betrieben werden und deren Gesellschafter nicht ausschließlich natürliche Personen sind, Abschlagszahlungen nur noch geleistet werden, wenn diese zur Sicherung von Forderungen der KÄV und der Krankenkassen aus deren vertragsärztlicher Tätigkeit eine selbstschuldnerische Bankbürgschaft in Höhe von fünf Abschlagszahlungen beibringen. Die Höhe der erforderlichen Bankbürgschaft betrage im Falle der Klägerin etwa 12 Mio Euro. Nachdem die Klägerin keine Bankbürgschaft beigebracht hatte, stellte die Beklagte die Abschlagszahlungen ein.
Den mit Bezug auf das Schreiben der Beklagten vom 18.4.2012 eingelegten Widerspruch wies die Beklagte sowohl als unzulässig als auch als unbegründet zurück. Klage und Berufung der Klägerin sind ebenfalls erfolglos geblieben: Der Beklagten komme bezogen auf die Gewährung von Abschlagszahlungen ein weiter Gestaltungsspielraum zu. Die geänderten Abrechnungsbestimmungen seien sowohl mit Art 3 Abs 1 GG als auch mit den gesetzlichen Vorgaben aus § 95 Abs 2 SGB V vereinbar, die die Zulassung eines in der Rechtsform einer GmbH betriebenen MVZ nicht von der Vorlage einer Bankbürgschaft abhängig machten, sondern selbstschuldnerische Bürgschaften der Gesellschafter ausreichen ließen.
Dagegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Revision. Die Bürgschaftserfordernisse seien in den geltenden zulassungsrechtlichen Bestimmungen abschließend geregelt. Die Abrechnungsbestimmungen der Beklagten benachteiligten Träger-GmbHs, deren Gesellschafter nicht ausschließlich natürliche Personen sind, ohne sachlichen Grund.
Vorinstanzen:
Sozialgericht München - S 20 KA 109/13, 21.05.2019
Bayerisches Landessozialgericht - L 12 KA 37/19, 07.10.2020
Die Vorschau zu dem Verhandlungstermin des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in der Terminvorschau 33/22.
Terminbericht
Die Revision der klagenden MVZ-Trägergesellschaft hat Erfolg. Die beklagte KÄV durfte die Gewährung von Abschlagszahlungen an die Klägerin nicht von der Vorlage einer das Risiko vollständig absichernden Bankbürgschaft abhängig machen. Darin liegt eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung.
Die geänderten Abrechnungsbestimmungen der Beklagten unterscheiden hinsichtlich der Sicherung von Abschlagszahlungen zwischen MVZ-Trägergesellschaften, deren Gesellschafter ausschließlich natürliche Personen sind, auf der einen Seite und (privatrechtlich organisierten) MVZ-Trägergesellschaften, bei denen das nicht der Fall ist, auf der anderen Seite. Mit dieser Differenzierung überschreitet die Beklagte ihren grundsätzlich bestehenden weiten Spielraum bei der Ausgestaltung ihrer Abrechnungsbestimmungen. Es fehlt an den nach Art 3 Abs 1 GG erforderlichen Sachgründen für die Ungleichbehandlung. Soweit die Beklagte nach dem Inhalt der Materialien aus dem untergesetzlichen Normsetzungsverfahren daran anknüpft, dass die Haftung einer GmbH auf das Stammkapital von (mindestens) 25 000 Euro begrenzt sei, während eine natürliche Person unbegrenzt hafte, trifft das nicht zu, weil auch die GmbH mit ihrem gesamten Gesellschaftsvermögen haftet. Richtig ist, dass die Gesellschafter einer GmbH grundsätzlich nicht für Verbindlichkeiten der GmbH haften. Die Beklagte macht aber nicht geltend, dass Rückforderungen gegenüber MVZ-Trägergesellschaften, deren Gesellschafter wiederum GmbHs sind, aus diesem Grunde besonders häufig ins Leere gehen würden, sondern ist der Auffassung, dass es für die Rechtmäßigkeit der getroffenen Regelung darauf nicht ankomme. Mit der vorgenommenen Differenzierung knüpft sie auch nicht an die bundesgesetzlichen Zulassungsvoraussetzungen für MVZ in der Rechtsform einer GmbH an, sondern schafft davon abweichende untergesetzliche Vorgaben im Abrechnungsverhältnis. Die in § 95 Abs 2 Satz 6 SGB V getroffene Regelung, nach der die in der Rechtsform einer GmbH geführten MVZ nur zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen werden können, wenn die Gesellschafter selbstschuldnerische Bürgschaften oder gleichwertige andere Sicherheitsleistungen nach § 232 BGB abgeben, verlangt gerade nicht die Vorlage einer Bankbürgschaft und differenziert auch nicht danach, ob die Gesellschafter einer MVZ-Träger-GmbH natürliche oder juristische Personen sind.
Die Berichte zu dem Verhandlungstermin des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in dem Terminbericht 33/22.