Verhandlung B 11 AL 31/21 R
Arbeitslosenversicherung - Arbeitslosengeld - Bemessungsentgelt - schwerbehinderter Mensch - Altersteilzeit - Altersrente
Verhandlungstermin
22.09.2022 10:30 Uhr
Terminvorschau
J. H. ./. Bundesagentur für Arbeit
Der als schwerbehinderter Mensch anerkannte Kläger schloss mit seiner Arbeitgeberin, bei der er von 1987 an beschäftigt war, für die Zeit ab 1.10.2015 einen als solchen überschriebenen “Altersteilzeitvertrag“ mit einem vereinbarten Ende des Arbeitsverhältnisses zum 30.6.2018. Er bezog während dieses Zeitraums ein Entgelt in Höhe von 85 % des vorherigen Nettoarbeitsentgelts. Zum 1.7.2018 meldete sich der Kläger arbeitslos und beantragte Arbeitslosengeld. Ab 1.7.2018 war er auch zum vorzeitigen Bezug einer Altersrente für schwerbehinderte Menschen gegen einen Rentenabschlag von 10,8 % berechtigt. Die Beklagte bewilligte Arbeitslosengeld auf der Grundlage einer Bemessung nach dem beitragspflichtigen Bruttoarbeitsentgelt ohne Einmalzahlungen im einjährigen Bemessungszeitraum vom 1.7.2017 bis 30.6.2018, das der Kläger (zunächst) bis zum 24.9.2018 bezog.
Mit seiner Klage begehrt der Kläger höheres Arbeitslosengeld auf der Grundlage eines höheren (fiktiven) Bruttoarbeitsentgelts. Das SG hat die Klage abgewiesen, das LSG die Berufung zurückgewiesen. Das Bemessungsentgelt sei nach § 10 Abs 1 Satz 2 AltTZG anhand des tatsächlich erzielten Entgelts im Bemessungszeitraum zu berechnen, da weder der Ausnahmetatbestand des § 150 Abs 2 Satz 2 SGB III noch der des § 10 Abs 1 Satz 2 AltTZG erfüllt sei. Diese Regelungen verstießen auch nicht gegen Art 3 Abs 1 GG; es liege bereits keine Ungleichbehandlung wesentlich gleicher Gruppen vor.
Mit seiner Revision rügt der Kläger eine Verletzung des Art 2 Abs 1 und Abs 2 Buchst b der Richtlinie 2000/78/EG sowie des Art 3 Abs 3 Satz 2 GG.
Vorinstanzen:
Sozialgericht Mannheim - S 7 AL 3736/18, 19.05.2020
Landessozialgericht Baden-Württemberg - L 3 AL 1926/20, 20.01.2021
Sämtliche Vorschauen zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in der Terminvorschau 34/22.
Terminbericht
Der Senat hat das Urteil des LSG aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen. Es fehlen Feststellungen, welche die Beurteilung erlauben, ob der Anspruch auf Arbeitslosengeld wegen einer Sperrzeit bei verspäteter Arbeitsuchendmeldung und/oder einer Sperrzeit wegen Arbeitsaufgabe geruht hat. Die Klage auf höheres Arbeitslosengeld wäre jedenfalls für den Ruhenszeitraum unbegründet. Der Senat vermag nach den Feststellungen des LSG auch nicht nachzuvollziehen, ob Altersteilzeitarbeit iS des AltTZG, Teilzeitarbeit, ggf iS des § 150 Abs 2 Satz 1 Nr 5 SGB III, oder die Fortzahlung der Arbeitsvergütung unter Freistellung von der Arbeitstätigkeit vereinbart wurde. Hiernach beurteilen sich die rechtlichen Maßstäbe für das Vorliegen eines wichtigen Grunds für die Arbeitsaufgabe, den Beginn der Beschäftigungslosigkeit im leistungsrechtlichen Sinne und letztlich auch der Bemessung des Anspruchs auf Arbeitslosengeld.
Ob sich hier der als solcher bezeichnete “Altersteilzeitvertrag“ tatsächlich auf Altersteilzeit nach dem AltTZG bezieht, erscheint zweifelhaft, insbesondere wenn eine sofortige vollständige Freistellung von der Arbeit erfolgt sein sollte. Eine vollständige Freistellung ist zwar bei Altersteilzeit im sog Blockmodell vorgesehen, setzt aber in der Regel einen vorgeschalteten Zeitraum der Beschäftigung mit reduzierten Bezügen ohne Minderung der Arbeitszeit voraus. Nur wenn kein Ruhen wegen Sperrzeiten eingetreten ist sowie Altersteilzeit im Sinne des AltTZG vorgelegen hat, kann § 10 Abs 1 Satz 2 AltTZG anwendbar sein. Erst dann kann sich die Frage der Vereinbarkeit dieser bemessungsrechtlichen Sonderregelung mit Unionsrecht bzw mit Verfassungsrecht, insbesondere mit Art 3 Abs 3 Satz 2 GG, stellen. Das LSG wird insoweit jedenfalls zu berücksichtigen haben, dass der sachliche Anwendungsbereich der Gleichbehandlungsrahmenrichtlinie bei Leistungen der sozialen Sicherheit, wie vorliegend dem Arbeitslosengeld, nicht eröffnet ist.
Die Berichte zu dem Verhandlungstermin des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in dem Terminbericht 34/22.