Verhandlung B 11 AL 32/21 R
Arbeitslosenversicherung - Arbeitslosengeldvorbezug - Bemessungsentgelt
Verhandlungstermin
22.09.2022 09:30 Uhr
Terminvorschau
A. D. ./. Bundesagentur für Arbeit
Die Beklagte bewilligte dem Kläger im Wege der sog Gleichwohlgewährung Arbeitslosengeld für die Zeit vom 21.5. bis 17.6.2014 auf der Grundlage eines Bemessungsentgelts in Höhe von 143,70 Euro (Bescheid vom 20.6.2014). Diese Bewilligung war der Höhe nach rechtswidrig, weil bei rechtmäßiger Bewilligung ein Bemessungsentgelt in Höhe von 128,36 Euro zugrunde zu legen gewesen wäre; sie wurde aber bestandskräftig. Nachdem der Kläger zwischenzeitlich wieder länger als ein Jahr beschäftigt gewesen war bzw Krankengeld bezogen hatte, bewilligte die Beklagte ihm zuletzt für die Zeit vom 4.3. bis 3.5.2016 Arbeitslosengeld nach einem Bemessungsentgelt in Höhe von 129,43 Euro. Dagegen wandte der Kläger ein, der Bewilligung müsse das Bemessungsentgelt zugrunde gelegt werden, das der Bewilligung aus dem Bescheid vom 20.6.2014 zugrunde gelegt worden sei.
Das SG hat die Beklagte verurteilt, dem Kläger Arbeitslosengeld nach einem täglichen Bemessungsentgelt in Höhe von 143,70 Euro zu gewähren. Das LSG hat die zugelassene Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Zugunsten des Klägers greife § 151 Abs 4 SGB III ein, wonach Bemessungsentgelt mindestens das Entgelt ist, nach dem das Arbeitslosengeld zuletzt bemessen worden ist, wenn Arbeitslose innerhalb der letzten zwei Jahre vor der Entstehung des Anspruchs Arbeitslosengeld bezogen haben. Auch ein rechtswidrig zu hoch festgesetztes Bemessungsentgelt entfalte im Rahmen des § 151 Abs 4 SGB III Bindungswirkung, solange und soweit der frühere Bewilligungsbescheid hinsichtlich der Höhe des Arbeitslosengelds nicht mit Wirkung für die Vergangenheit oder die Zukunft aufgehoben worden sei.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 151 Abs 4 SGB III. Diese Regelung stelle nicht auf ein rechtswidrig zu hoch festgesetztes, sondern auf das tatsächlich zutreffende Arbeitsentgelt ab.
Vorinstanzen:
Sozialgericht Detmold - S 4 AL 206/16, 04.10.2017
Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen - L 9 AL 139/19, 31.05.2021
Sämtliche Vorschauen zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in der Terminvorschau 34/22.
Terminbericht
Der Senat hat die Revision der Beklagten zurückgewiesen. Die Höhe des Arbeitslosengelds des Klägers ist nach § 151 Abs 4 SGB III zu bemessen. § 151 Abs 4 SGB III greift ein, wenn der Arbeitslose - wie hier - innerhalb der letzten zwei Jahre vor der (erneuten) Entstehung eines Anspruchs auf Arbeitslosengeld bereits Arbeitslosengeld bezogen hat. Es ist unschädlich, dass es sich im Fall des Klägers um einen Fall der Gleichwohlgewährung nach § 157 Abs 3 SGB III gehandelt hat, so dass der Arbeitslosengeldanspruch des Klägers an sich wegen eines Arbeitsentgeltsanspruchs gegen den Arbeitgeber ruhte, aber dennoch zur Auszahlung gelangte; auch in einer solchen Konstellation wird Arbeitslosengeld “bezogen“.
Rechtsfolge des § 151 Abs 4 SGB III ist, dass das Bemessungsentgelt für die Bewilligung des Arbeitslosengelds für den zweiten Zeitraum der Arbeitslosigkeit mindestens das Entgelt ist, nach dem das Arbeitslosengeld zuletzt bemessen worden ist. Dabei kommt es nicht darauf an, ob diese frühere Bewilligung dem Grunde oder der Höhe nach rechtswidrig gewesen ist. Die Norm stellt nicht auf das Entgelt ab, nach dem das Arbeitslosengeld zuletzt zu bemessen “war“, sondern auf das Entgelt, nach dem es zuletzt bemessen worden “ist“. Nach Auffassung des Senats ist bereits der Wortlaut eindeutig. Diese Auslegung wird auch von Sinn und Zweck der Norm gestützt. Zweck der Norm ist es zum einen, Arbeitslose dadurch zu motivieren, auch geringer entlohnte Beschäftigungen aufzunehmen, so dass für den Fall des Verlustes dieser Beschäftigung eine Leistungskontinuität gewährleistet ist. Zum anderen bewirkt das Anknüpfen an das tatsächlich festgestellte Arbeitsentgelt eine Beschleunigung des Verfahrens, was für die Behörde im Sinne der Verwaltungspraktikabilität die Feststellung der notwendigen Entscheidungsgrundlagen vereinfacht. Dies entspricht dem generellen Ziel der Neuregelung der Bemessungsvorschriften ab dem 1.1.2005. Ob diese Zwecke im jeweiligen Einzelfall erfüllt werden, ist für die Auslegung der Norm unerheblich.
Die Berichte zu dem Verhandlungstermin des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in dem Terminbericht 34/22.