Verhandlung B 7/14 AS 59/21 R
Grundsicherung für Arbeitsuchende - Übergangsfähigkeit des Leistungsanspruchs - Erbe - Einkommensberechnung - Ehrenamt - Unfallrente
Verhandlungstermin
27.09.2022 11:00 Uhr
Terminvorschau
W. K. ./. Jobcenter Bautzen
Im Streit steht eine Aufhebung sowie teilweise Rückforderung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II wegen des Zusammentreffens von Renten aus der gesetzlichen Unfallversicherung mit Einkünften aus ehrenamtlicher Tätigkeit.
Die während des Revisionsverfahrens sechzigjährig im August 2021 verstorbene, ledige und kinderlose Leistungsberechtigte - deren Vater das Verfahren aufgenommen hat - bezog aufstockend zu zwei Verletztenrenten Alg II. Letzteres berechnete das beklagte Jobcenter unter Berücksichtigung der Renteneinkünfte, bereinigt um die allgemeine Versicherungspauschale und einen Beitrag zur Kfz‑Haftpflichtversicherung. Im Mai 2013 nahm die Leistungsberechtigte eine ehrenamtliche Tätigkeit auf - entschädigt mit 154 Euro monatlich. Der Beklagte änderte daraufhin den Bewilligungsbescheid für die Monate Mai bis Oktober 2013 zu Lasten der Klägerin ab. Denn anders als bisher brachte er dabei die Versicherungspauschale und den Beitrag zur Kfz‑Haftpflichtversicherung nicht mehr von dem Einkommen aus den Verletztenrenten zum Abzug. Zugleich bereinigte er das Einkommen aus der ehrenamtlichen Tätigkeit um den erhöhten Freibetrag nach § 11b Abs 2 Satz 3 SGB II (200 Euro), so dass es bei der Berechnung des Alg II unberücksichtigt blieb. In der Folge forderte er die Erstattung überzahlter Leistungen für Mai und Juni 2013 in Höhe von 80,80 Euro.
Die Klage der Leistungsberechtigten hiergegen ist erfolglos geblieben. Das LSG hingegen hat die Bescheide des Beklagten auf die Berufung der Leistungsberechtigten geändert, soweit vom Renteneinkommen vor dessen Berücksichtigung bei der Berechnung des Alg II keine Absetzungen erfolgten und die Erstattung von 80,80 Euro verlangt worden war. Zur Begründung hat es ausgeführt, beim Zusammentreffen mehrerer Einkommensarten sei die Einkommensbereinigung nach § 11b Abs 1, Abs 2 SGB II grundsätzlich nur einmal vorzunehmen. Dies gelte allerdings nicht, wenn “privilegiertes“ Einkommen aus ehrenamtlicher Tätigkeit und aus Sozialversicherungsleistungen zusammentreffe. In derartigen Fällen habe eine getrennte Einkommensbereinigung für die unterschiedlichen Einkommensarten zu erfolgen. Die Konsequenz sei, dass vorliegend von den Einkünften aus ehrenamtlicher Tätigkeit der erhöhte Grundfreibetrag von 200 Euro sowie daneben vom Einkommen aus den Verletztenrenten die Versicherungspauschale und der Beitrag zur Kfz‑Haftpflichtversicherung in Abzug zu bringen seien.
Mit seiner vom Senat zugelassenen Revision rügt der Beklagte u.a. eine Verletzung des § 11b Abs 2 Satz 3 SGB II. Er macht geltend, mit der Berücksichtigung des erhöhten pauschalen Grundfreibetrags von 200 Euro bei der Berücksichtigung des Einkommens aus der ehrenamtlichen Tätigkeit seien die Versicherungspauschale sowie der Beitrag zur Kfz‑Haftpflichtversicherung abgegolten.
Vorinstanzen:
Sozialgericht Dresden - S 21 AS 3685/14, 27.01.2017
Sächsisches Landessozialgericht - L 7 AS 254/17, 01.03.2021
Sämtliche Vorschauen zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in der Terminvorschau 35/22.
Terminbericht
Der Beklagte war mit seiner Revision erfolgreich. Der Senat hat die Entscheidung des LSG aufgehoben und die Berufung gegen das Urteil des SG zurückgewiesen.
Der Kläger hat als Erbe der verstorbenen Leistungsberechtigten keinen Anspruch auf höheren Regelbedarf als vom Beklagten für die Monate Juli bis Oktober 2013 schlussendlich bewilligt. Der Anspruch der Verstorbenen auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ist mit ihrem Tod erloschen. Er ist höchstpersönlicher Natur. Dies findet seinen Ausdruck in § 42 Abs 4 Satz 1 SGB II, der das Verbot der Übertragung der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts festschreibt. Ob dies auch im Falle der Sonderrechtsnachfolge in der Konstellation einer Bedarfsgemeinschaft gilt, brauchte der Senat nicht zu entscheiden, denn Anhaltspunkte für deren Vorliegen sind hier nicht gegeben.
Der Beklagte verlangt zu Recht der Leistungsberechtigten erbrachte Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts von jeweils 40,40 Euro für die Monate Mai und Juni 2013 vom Kläger zurück. Zwar ist auch insoweit ein möglicher Anspruch auf höhere Leistungen mit dem Tod der Leistungsberechtigen erloschen. Ihr Tod hat aber ihre Schuld gegenüber dem Beklagten in der benannten Höhe nicht entfallen lassen. Vielmehr haftet der Kläger als ihr Erbe (§ 1922 BGB) hierfür.
Rechtsgrundlage für die Forderung des Beklagten ist § 40 Abs 1 Satz 1, Abs 2 Nr 3 SGB II iVm § 48 Abs 1 Satz 1 und 2 Nr 3 SGB X und § 330 Abs 3 Satz 1 SGB III. Die dort vorausgesetzte Änderung in den tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen gegenüber denen, die dem Bewilligungsbescheid vom 20.3.2013 zugrunde lagen, ist mit der Aufnahme der Tätigkeit der Leistungsberechtigten für das Kirchspiel zum 1.5.2013 eingetreten. Die Erzielung von Einkommen aus dieser Tätigkeit hat zur Minderung des Regelbedarfs geführt.
Seit diesem Zeitpunkt trafen bei der Berechnung des Alg II grundsätzlich zu berücksichtigende Einkommen aus zwei Verletztenrenten und aus der benannten Tätigkeit zusammen. Vor deren Anrechnung waren von dem Einkommen die Beträge des § 11b SGB II abzusetzen. Soweit die Beteiligten übereinstimmend davon ausgehen, bei der Tätigkeit handele es sich um eine “ehrenamtliche“, mit steuerprivilegierten Einnahmen iS des § 11b Abs 2 Satz 3 SGB II, wäre vorliegend monatlich der pauschale Betrag von 200 Euro hiervon abzusetzen. Von den Einkommen aus Sozialversicherungsleistungen sind ua die Beiträge zu öffentlichen und privaten Versicherungen iS des § 11b Abs 1 Satz 1 Nr 3 SGB II, insbesondere zur Kfz-Haftpflichtversicherung und die Versicherungspauschale nach dieser Vorschrift iVm § 6 Abs 1 Nr 1 Alg-II-V absetzfähig. Der Beklagte hatte auch bis zur Aufnahme der Tätigkeit durch die Leistungsberechtigte von den Renten aus der gesetzlichen Unfallversicherung die zuletzt benannten Beträge in Abzug gebracht. Mit dem Hinzutreten des weiteren Einkommens gingen diese Beiträge in der Pauschale von 200 Euro auf. Weitere die Pauschale übersteigende Absetzungen von den Renten verblieben nicht. Wäre das Einkommen aus der Tätigkeit für das Kirchspiel als Erwerbseinkommen oder als sonstiges Einkommen zu bewerten, änderte dies am Ergebnis nichts. Es würde sich dann zwar zu Lasten der Leistungsberechtigten das zu berücksichtigende Einkommen erhöhen und damit der Regelbedarf sinken. Der Streitgegenstand ist jedoch auf die Erstattung von 40,40 Euro je Monat begrenzt.
Die Berichte zu dem Verhandlungstermin des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in dem Terminbericht 35/22.