Bundessozialgericht

Verhandlung B 12 R 7/20 R

Beitragsnachforderung - Prüfbescheid - materielle Bindungswirkung - Vertrauensschutz - Beitragsfestsetzung

Verhandlungstermin 18.10.2022 12:30 Uhr

Terminvorschau

A. E. e.V. ./. DRV Bund, 18 Beigeladene
Der klagende eingetragene Verein betreibt ein Altersheim. Mit Bescheid vom 9.3.2006 forderte die Beklagte aufgrund einer für den Zeitraum 2002 bis 2005 durchgeführten Betriebsprüfung Beiträge nach, ua auch für die Beigeladene zu 15 wegen Überschreitens der Gleitzone für den Zeitraum Januar 2004 bis Dezember 2005. Im Hinblick auf die Beigeladene zu 18 ergab sich für den Zeitraum Januar bis Juli 2004 wegen eines zur gesetzlichen Krankenversicherung fehlerhaft zugrunde gelegten Beitragssatzes eine Gutschrift. Eine anschließend für denselben Prüfzeitraum bei dem Kläger durchgeführte Lohnsteuer-Außenprüfung ergab eine Steuernachforderung in Bezug auf an Arbeitnehmer vergünstigt überlassenen Wohnraum sowie geleistete Sonntagszuschläge oberhalb von 50 vH des jeweiligen Grundlohns. Nach einer weiteren Betriebsprüfung unter Auswertung der Steuernacherhebung forderte die Beklagte im Jahr 2010 Beiträge in Höhe von zuletzt 13 546,59 Euro (einschließlich Säumniszuschlägen) für die Zeit von Dezember 2002 bis Dezember 2005 nach, ua auch für die Beigeladenen zu 15 (für Februar bis September 2004, November und Dezember 2004 sowie Februar bis Dezember 2005) und die Beigeladene zu 18 (für Januar 2004, März bis Dezember 2004 sowie Juli bis Dezember 2005).

Das SG hat die Beitragsfestsetzung der Beklagten aufgehoben. Der bestandskräftige Prüfbescheid vom 9.3.2006 stehe einer erneuten Beitragsnachforderung für denselben Prüfzeitraum entgegen. Das LSG hat das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. Nur hinsichtlich der Beigeladenen zu 15 und 18 regele bereits der Betriebsprüfungsbescheid vom 9.3.2006 eine der materiellen Bindungswirkung fähige, nach der Rechtsprechung des BSG erforderliche personenbezogene Feststellung von Beitragspflicht und -höhe für bestimmte Zeiträume. Gleichwohl seien auch insoweit Beiträge zu Recht festgesetzt worden, da die beanstandeten Sachverhalte ("Feststellungsgegenstände") nicht identisch seien. Die Nachforderung sei nicht verjährt. Wegen des vorsätzlichen Vorenthaltens der Beiträge gelte die 30-jährige Verjährungsfrist.

Mit seiner Revision rügt der Kläger ua die Verletzung von § 28p Abs 1 Satz 5 SGB IV. Aus dem zum 1.1.2017 eingeführten und hier rückwirkend anwendbaren § 7 Abs 4 Satz 2 Beitragsverfahrensverordnung sowie aus dem Senatsurteil vom 19.9.2019 - B 12 R 25/18 R - folge, dass der durch einen Betriebsprüfungsbescheid informierte Arbeitgeber Vertrauens- und Bestandsschutz im Hinblick auf das Prüfergebnis besitze. Die Bestandskraft des Bescheids vom 9.3.2006 stehe der streitigen Beitragsfestsetzung entgegen.

Vorinstanzen:
Sozialgericht Schwerin - S 7 R 228/11, 06.08.2013
Landessozialgericht Mecklenburg-Vorpommern - L 4 R 269/13, 13.06.2019

Sämtliche Vorschauen zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in der Terminvorschau 38/22.

Terminbericht

Die Revision des Klägers hat teilweise Erfolg gehabt. Die angegriffenen Betriebsprüfungsbescheide waren insoweit aufzuheben, als sie hinsichtlich der Beigeladenen zu 15 für die Zeiträume Februar bis September 2004, November bis Dezember 2004 sowie Februar bis Dezember 2005 und hinsichtlich der Beigeladenen zu 18 für die Zeiträume Januar sowie März bis Juli 2004 Beiträge und insoweit Säumniszuschläge festsetzen. Diesen Regelungen steht die Bestandskraft des ebenfalls für den Prüfzeitraum 2002 bis 2005 erlassenen Betriebsprüfungsbescheids vom 9.3.2006 entgegen, der insoweit nach dem für die Auslegung von Verwaltungsakten maßgebenden objektiven Empfängerhorizont die konkret personen- sowie zeitbezogene Beitragspflicht und -höhe abschließend geregelt hat.

Die materielle Bindungswirkung erstreckt sich nicht auf die der Beitragsnachforderung zugrunde liegenden beanstandeten Sachverhalte ("Feststellungsgegenstände"). Dem Bescheid vom 9.3.2006 ist nicht zu entnehmen, dass die Beklagte - vorbehaltlich der rechtlichen Zulässigkeit - ihre Prüfung auf Stichproben in Bezug auf konkrete beitragsrelevante Sachverhalte begrenzt hätte. Er lässt allein erkennen, dass die Beitragszahlungen in Bezug auf bestimmte Personen sowie diesen konkret zugeordnete Zeiträume beanstandet worden sind und daraus die Beitragsnachforderung resultiert. Aus der Aufzählung bestimmter Feststellungen im Sinne von Beanstandungen kann nicht ohne weiteres der Schluss gezogen werden, dass ausschließlich diese "Feststellungsgegenstände" bei den genannten Arbeitnehmern und Zeiträumen geprüft worden seien. Hierbei handelt es sich um reine Begründungselemente ohne eigenständigen Regelungscharakter.

Die materielle Bindungswirkung des Bescheids vom 9.3.2006 erfasst darüber hinaus allerdings weder die übrigen Beigeladenen noch weitere als die dort konkret genannten Zeiträume. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats wird mit Erlass eines personen- und zeitraumbezogenen Verwaltungsakts nicht zugleich die Regelung getroffen, dass darüber hinaus im gesamten Prüfzeitraum "alles in Ordnung" sei. Daran hält der Senat - wie zuletzt im Urteil vom 19.9.2019 (B 12 R 25/18 R) - auch weiterhin fest.

Soweit die Bestandskraft des Verwaltungsakts vom 9.3.2006 nicht entgegensteht, ist die Festsetzung der Beitragsnachforderung nebst Säumniszuschlägen sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach rechtmäßig. Insbesondere ist die Beitragsnachforderung nicht verjährt. Das LSG hat nach seinen nicht mit zulässigen und begründeten Verfahrensrügen angegriffenen Feststellungen rechtsfehlerfrei ein bedingt vorsätzliches Vorenthalten von Beiträgen angenommen. Damit gilt die 30-jährige Verjährungsfrist.

Sämtliche Berichte zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in dem Terminbericht 38/22.

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