Bundessozialgericht

Verhandlung B 12 AL 1/21 R

Arbeitslosenversicherung - Versicherungspflichtverhältnis auf Antrag - selbstständige Tätigkeit - Existenzgründung

Verhandlungstermin 13.12.2022 10:00 Uhr

Terminvorschau

H. C. ./. Bundesagentur für Arbeit
Der Kläger war vom 1.2.2010 bis 31.1.2013 und 27.4.2014 bis 23.4.2015 als "Freiberufler" ua als Bildungsreferent/‑trainer sowie Lehrbeauftragter selbstständig tätig und begründete währenddessen jeweils ein Versicherungspflichtverhältnis auf Antrag in der Arbeitslosenversicherung. Vom 2.2.2013 bis 26.4.2014 sowie 24.4. bis 24.10.2015 bezog er Arbeitslosengeld (Alg). Während des Alg-Bezugs übte der Kläger ab Februar 2013 eine Tätigkeit als Lehrbeauftragter mit einer Lehrverpflichtung von zwei Stunden wöchentlich und ab April 2015 eine Tätigkeit als freiberuflicher Kommunikationstrainer in einem Umfang von 8,5 Stunden wöchentlich aus. Die beklagte Bundesagentur für Arbeit stellte für die Zeit ab 25.10.2015 ein Versicherungspflichtverhältnis auf Antrag und einen nach der Bezugsgröße West zu bemessenden Beitrag in Höhe von (iHv) 85,05 Euro monatlich fest. Der auf Berücksichtigung beitragspflichtiger Einnahmen in Höhe von 50 vH der monatlichen Bezugsgröße gerichtete Widerspruch, weil seit dem 25.10.2015 neben der bisherigen Tätigkeit als Lehrbeauftragter auch eine Tätigkeit als Übersetzer und Autor aufgenommen worden sei, blieb erfolglos.

Das SG hat die Beklagte verurteilt, die Beiträge nach einem Arbeitsentgelt iHv 50 vH der monatlichen Bezugsgröße zu bemessen. Das LSG hat das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. Die Beitragsreduzierung komme nicht zur Anwendung, wenn ein auf Antrag pflichtversicherter selbstständig Tätiger (zunächst) im Wesentlichen seine bisherige selbstständige Tätigkeit fortführe, auch wenn er sich gleichzeitig ein neues Tätigkeitsfeld erschließen wolle.

Mit seiner Revision rügt der Kläger die Verletzung von § 28a Abs 1 und § 345b SGB III. Die Beitragsprivilegierung sei nicht auf eine einzige Selbstständigkeit oder Existenzgründung beschränkt. Er habe sein bisheriges Tätigkeitsfeld nicht erweitert, sondern eine weitere neue Tätigkeit aufgenommen, die sich als Existenzgründung darstelle.

Vorinstanzen:
Sozialgericht Berlin - S 58 AL 303/16, 17.03.2017
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg - L 14 AL 73/17, 05.11.2020

Sämtliche Vorschauen zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in der Terminvorschau 50/22.

Terminbericht

Die Revision des Klägers hat Erfolg gehabt. Zu Unrecht hat das LSG auf die Berufung der Beklagten die Klage abgewiesen. Das SG ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Beiträge zur Arbeitsförderung nur nach einem Arbeitsentgelt in Höhe von 50 statt 100 vH der monatlichen Bezugsgröße festzusetzen sind. Die Beitragsprivilegierung setzt nicht eine "Existenzgründung" oder einen vergleichbaren beruflichen Neustart voraus. Sie knüpft allein an die Aufnahme derjenigen selbstständigen Tätigkeit an, die zur Begründung des Versicherungspflichtverhältnisses auf Antrag geführt hat. Das folgt aus der Systematik der die Beitragsprivilegierung regelnden Vorschrift, die auf der Tatbestandsseite lediglich auf ein durch Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit begründetes Versicherungspflichtverhältnis abstellt. Ein solches Versicherungspflichtverhältnis hat die Beklagte durch Verwaltungsakt bindend festgestellt. Eine vom Gesetzgeber beabsichtigte Beschränkung der Beitragsprivilegierung auf nur existenzgründende selbstständige Tätigkeiten kommt hinreichend deutlich weder im Gesetzeswortlaut noch in den Gesetzesmaterialien zum Ausdruck. Auch § 165 Abs 1 Satz 2 SGB VI führt wegen der gebotenen bereichsspezifischen Auslegung nicht zu einem anderen Ergebnis.

Sämtliche Berichte zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in dem Terminbericht 50/22.

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