Bundessozialgericht

Verhandlung B 12 R 3/21 R

Sozialversicherungspflicht - Sozialversicherungsfreiheit - Gesellschafterin-Geschäftsführerin - GmbH - Rechtsmacht - Regelaltersrentenbezug

Verhandlungstermin 13.12.2022 12:10 Uhr

Terminvorschau

G. GmbH ./. Deutsche Rentenversicherung Bund, beigeladen: 1. E. S., 2. Bundesagentur für Arbeit
Die 1945 geborene Beigeladene zu 1. übernahm 1984 die Führung eines Familienunternehmens. An der hieraus 1990 hervorgegangenen klagenden GmbH hielt sie zunächst 54 vH der Gesellschaftsanteile. Nach Beginn des Bezugs einer Regelaltersvollrente von der Deutschen Rentenversicherung übertrug die Beigeladene zu 1. Ende 2012 Gesellschaftsanteile an ihren Sohn, ihre Tochter sowie den weiteren Gesellschafter. Infolgedessen hält sie seit 2013 einen Gesellschaftsanteil von 26 vH. Neben zwei weiteren Personen ist die Beigeladene zu 1. auch Geschäftsführerin der Klägerin. Der zugrundeliegende Dienstvertrag regelt ua eine Freiheit der Beigeladenen zu 1. in der Bestimmung von Arbeitszeit und Arbeitsort, eine monatliche feste Vergütung, einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall sowie einen Urlaubsanspruch.

Nach einer Betriebsprüfung stellte die beklagte DRV Bund fest, dass die Beigeladene zu 1. ihre Tätigkeit als Gesellschafterin-Geschäftsführerin der Klägerin seit 2013 im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses ausübe. Es bestehe Versicherungsfreiheit in allen Zweigen der Sozialversicherung. Die für beschäftigte Bezieher einer Altersvollrente zu zahlenden Arbeitgeberanteile zur Renten- und Arbeitslosenversicherung nebst der Insolvenzgeldumlage für die Zeit von 2013 bis 2016 iHv 31 662,37 Euro forderte sie nach. Die Klage ist erfolglos geblieben. Die Vorinstanzen haben eine die abhängige Beschäftigung ausschließende Rechtsmacht der Beigeladenen zu 1. verneint.

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin eine Verletzung von § 7 Abs 1 SGB IV. Zudem hält sie § 346 Abs 3 Satz 1 SGB III und § 172 Abs 1 Satz 1 SGB VI für verfassungswidrig. Die Sonderstellung der Beigeladenen zu 1. begründe eine außergewöhnliche Rechtsmacht. Aufgrund der historisch gewachsenen tatsächlichen Verhältnisse in dem Familienunternehmen könne sie nicht als abhängig beschäftigt angesehen werden. Zudem widerspreche es dem Gedanken der Sozialversicherung, wenn sie für die Beigeladene zu 1. Arbeitgeberanteile zahlen müsse, die jener aufgrund ihres Rentenbezugs nicht zugutekämen.

Vorinstanzen:
Sozialgericht Karlsruhe - S 17 BA 654/18, 10.07.2019
Landessozialgericht Baden-Württemberg - L 8 BA 2549/19, 18.12.2020

Sämtliche Vorschauen zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in der Terminvorschau 50/22.

Terminbericht

Der Senat hat die Revision der Klägerin zurückgewiesen. Mangels gesellschaftsrechtlicher Rechtsmacht war die Beigeladene zu 1. als Gesellschafterin-Geschäftsführerin der Klägerin in den streitigen Jahren 2013 bis 2016 abhängig beschäftigt. Sie verfügte weder über eine Kapitalbeteiligung von zumindest 50 vH noch eine umfassende, die gesamte Unternehmenstätigkeit erfassende Sperrminorität. Die aus dem Sonderrecht zur Einzelgeschäftsführung resultierende privilegierte Stellung steht einer solchen Sperrminorität nicht gleich. Ungeachtet dessen enthält der Dienstvertrag für eine Beschäftigung typische Regelungen. Dass trotz Beschäftigung Versicherungsfreiheit vorliegt, vermag die Bedeutung einer gesellschaftsrechtlichen Rechtsmacht für die Abgrenzung zwischen abhängiger Beschäftigung und selbstständiger Tätigkeit eines Gesellschafter-Geschäftsführers nicht zu modifizieren.

Für die wegen Bezugs der Altersrente und Überschreitens der Jahresarbeitsentgeltgrenze versicherungsfreie Beigeladene zu 1. hat die Klägerin als Arbeitgeberin die Hälfte der Beiträge zur Renten- und Arbeitslosenversicherung zu tragen, die bei Versicherungspflicht zu zahlen wären. Zudem hat sie die Mittel für die Zahlung des Insolvenzgeldes durch eine monatliche Umlage aufzubringen. Damit verfolgte der Gesetzgeber im streitigen Zeitraum den Zweck, Arbeitgebern den Anreiz zu nehmen, Altersrentner wegen ihrer Versicherungs- und Beitragsfreiheit zu beschäftigen, und einer Blockierung freier Arbeitsplätze durch versicherungsfreie Altersrentner entgegenzuwirken. Gegen eine solche arbeitsmarktpolitische Maßnahme bestehen in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des BVerfG jedenfalls für den hier streitigen Zeitraum keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Der Gesetzgeber ist bei der Ausgestaltung sozialversicherungsrechtlicher Systeme von Verfassungs wegen auch nicht gehalten, Geldleistungen der Höhe nach in voller Äquivalenz zu den Beiträgen festzusetzen. Ein uneingeschränktes Äquivalenzprinzip existiert im Sozialversicherungsrecht nicht.

Eine spätere Neubewertung der Arbeitsmarktsituation führt zu keiner anderen Beurteilung. Der Gesetzgeber hat auf geänderte Verhältnisse in Folge der demographischen Entwicklung und des Fachkräftemangels reagiert. Für die dem hier streitigen Zeitraum nachfolgende Zeit vom 1.1.2017 bis 31.12.2021 sind Arbeitgeber nicht verpflichtet, für versicherungsfreie beschäftigte Rentner Beiträge zur Arbeitslosenversicherung zu zahlen. Außerdem ist zum 1.1.2017 für Bezieher einer Vollrente wegen Erreichens der Regelaltersgrenze die Möglichkeit geschaffen worden, auf die Versicherungsfreiheit in der Rentenversicherung zu verzichten.

Sämtliche Berichte zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in dem Terminbericht 50/22.

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