Verhandlung B 9 SB 3/20 R
Schwerbehindertenrecht - Grad der Behinderung - Herabsetzung - Rechtswidrigkeit - Verwaltungsakt - Teilbarkeit
Verhandlungstermin
21.12.2022 12:30 Uhr
Terminvorschau
R. D. ./. Land Brandenburg
Die Beteiligten streiten über die Herabsetzung des zugunsten der Klägerin festgestellten Grads der Behinderung (GdB) von 50 auf 20.
Wegen einer Gewebeneubildung der linken Brustdrüse der Klägerin stellte der Beklagte mit Bescheid vom April 2015 für die zweijährige Zeit der Heilungsbewährung einen GdB von 50 fest. Einen späteren, auf eine höhere Festsetzung des GdB und Zuerkennung des Merkzeichens G (erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr) gerichteten Antrag lehnte er mit Bescheid vom Juni 2016 ab. Nach Ablauf der Heilungsbewährung zog er ärztliche Befunde bei und hob nach Anhörung der Klägerin mit Bescheid vom 8.9.2017 den Bescheid vom April 2015 auf, weil ein GdB von wenigstens 20 nicht mehr erreicht werde. Auf den Widerspruch der Klägerin und nach weiteren Ermittlungen stellte der Beklagte mit Wirkung ab dem 8.9.2017 den GdB mit 20 fest und hob den Bescheid vom 8.9.2017 insoweit auf (Widerspruchsbescheid vom 1.10.2018).
Vor dem SG hat die Klägerin die Aufhebung des Bescheids vom 8.9.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 1.10.2018 beantragt. Das SG hat diese Bescheide ohne Prüfung der gesundheitlichen Verhältnisse der Klägerin aufgehoben, weil es der Beklagte versäumt habe, im Rahmen seiner Herabsetzungsentscheidung auch den Bescheid vom Juni 2016 aufzuheben, mit dem nochmals ein GdB von 50 festgestellt worden sei. Die Berufung des Beklagten hat das LSG zurückgewiesen. Zwar habe der Beklagte den Bescheid vom Juni 2016 nicht aufheben müssen, weil dieser keine eigenständige Feststellung über das Vorliegen eines GdB von 50 enthalten habe. Jedoch sei durch den Widerspruchsbescheid die Aufhebung des Bescheids vom April 2015 bereits ab dem 8.9.2017 und damit in unzulässiger Weise für einen in der Vergangenheit liegenden Zeitraum verfügt worden. Dies führe zur Aufhebung der Herabsetzungsentscheidung in Gänze, weil diese in zeitlicher Hinsicht nicht teilbar sei und daher auch für nachfolgende Zeiträume nicht aufrecht erhalten werden könne.
Mit seiner Revision rügt der Beklagte eine Verletzung des § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X. Das LSG gehe zwar zutreffend davon aus, dass der GdB rechtswidrig für einen Zeitraum vor Bekanntgabe des Bescheids vom 8.9.2017 herabgesetzt worden sei. Jedoch sei die Herabsetzung bis auf einen GdB von 20 mit Wirkung für die Zukunft, also ab Bekanntgabe dieses Bescheids, aufrechtzuerhalten. Zwischen der Rechtmäßigkeit einer Aufhebung der ursprünglichen GdB-Feststellung für die Vergangenheit und der einer Aufhebung für die Zukunft könne unterschieden werden. Insoweit sei der aufzuhebende Verwaltungsakt teilbar.
Vorinstanzen:
Sozialgericht Cottbus - S 17 SB 245/18, 12.11.2019
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg - L 13 SB 271/19, 16.06.2020
Die Vorschau zu dem Verhandlungstermin des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in der Terminvorschau 51/22.
Terminbericht
Die Revision des Beklagten ist im Sinne der Aufhebung des Berufungsurteils und Zurückverweisung der Sache an das LSG begründet.
Die Zurückverweisung erfolgt nicht schon deshalb, weil das LSG durch den Einzelrichter entschieden und selbst die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen hat. Zwar ist die Entscheidung solcher Rechtssachen grundsätzlich dem LSG-Senat in seiner vollen Besetzung und mit ehrenamtlichen Richtern vorbehalten. Jedoch greift hier die in der Rechtsprechung des BSG anerkannte Ausnahme, dass in einem Parallelverfahren der LSG-Senat in voller Besetzung bereits in gleicher Weise entschieden hat. Zudem waren beim BSG bereits Revisionen zu Parallelfällen anhängig, auf die das LSG Bezug genommen hat.
Die Revision des Beklagten ist aber deshalb begründet, weil der Senat nicht abschließend entscheiden kann, ob das LSG die Berufung des Beklagten gegen das die angefochtenen Bescheide vollständig aufhebende Urteil des SG zu Recht zurückgewiesen hat. Zwar waren diese Bescheide bezogen auf ihren in die Vergangenheit wirkenden Teil schon deshalb aufzuheben, weil die Voraussetzungen für eine Herabsetzung des GdB auch für die Vergangenheit nicht vorlagen. Dies allein begründet - anders als vom LSG angenommen - jedoch nicht die Rechtswidrigkeit dieser Bescheide auch für die Zeit nach der Bekanntgabe des den GdB herabsetzenden Bescheids vom 8.9.2017. Hierzu hat der Senat mit zwei Urteilen vom 16.12.2021 (B 9 SB 6/19 R und B 9 SB 7/19 R) bereits entschieden, dass ein Verwaltungsakt, der rechtswidrig einen GdB für die Vergangenheit herabsetzt, rechtlich teilbar und damit teilweise aufhebbar ist, wenn er zugleich eine hiervon abtrennbare rechtmäßige Herabsetzung des GdB für die Zukunft beinhaltet. Ob die Herabsetzung des GdB der Klägerin für die Zeit nach Bekanntgabe des Bescheids vom 8.9.2017 rechtmäßig war, kann mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen zu den gesundheitlichen Verhältnissen der Klägerin nicht entschieden werden. Zu solchen Feststellungen hatte das LSG - ausgehend von seiner Rechtsauffassung - auch keinen Anlass.
Diese Feststellungen wird das LSG im wieder eröffneten Berufungsverfahren nunmehr nachholen müssen. Sollte sich danach für den entscheidungserheblichen Zeitpunkt der Bekanntgabe des Widerspruchsbescheids ein GdB unter 50 ergeben, wird das LSG auch den Zeitpunkt der Bekanntgabe des Bescheids vom 8.9.2017 festzustellen haben.
Sämtliche Berichte zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in dem Terminbericht 51/22.