Bundessozialgericht

Verhandlung B 5 R 2/22 R

Rentenversicherung - Rückforderung - Erstattung - überzahlte Rente - Erben - Ermessen

Verhandlungstermin 08.02.2023 12:00 Uhr

Terminvorschau

A. N. ./. DRV Bund
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte die Klägerin als Miterbin für eine gegenüber der verstorbenen Versicherten festgesetzte Rückforderung in Anspruch nehmen darf.

Die Versicherte erhob gegen einen von der Beklagten erlassenen Aufhebungs- und Erstattungsbescheid in Höhe von 5230,45 Euro Klage. Sie verstarb während des sozialgerichtlichen Verfahrens. Ihr Ehemann, der neben der gemeinsamen Tochter gesetzlicher Erbe der Versicherten wurde, führte das Verfahren fort. Das Sozialgericht wies die Klage ab. Nach dem Tod des Ehemannes der Versicherten legte die gemeinsame Tochter, die zugleich Miterbin des verstorbenen Vaters war, Berufung vor dem Landessozialgericht ein. Die Klägerin, nichteheliche Tochter des verstorbenen Vaters und dessen weitere Erbin, trat dem Rechtstreit bei. Das Landessozialgericht wies die Berufung zurück.

Die Beklagte machte gegenüber den Erbinnen jeweils die Hälfte der Gesamtforderung geltend. Die Klägerin lehnte eine Zahlung - anders als ihre Miterbin - ab. Sie erhob diverse Einreden und verwies darauf, dass sie nicht Erbin der Versicherten sei. Die Beklagte verpflichtete die Klägerin sodann mit Bescheid zur Zahlung von 2615,22 Euro. Ihr Widerspruch blieb erfolglos. Das Sozialgericht hat den angefochtenen Bescheid aufgehoben. Das Landessozialgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Der Bescheid sei fehlerhaft, weil die Beklagte ihr Ermessen bei der Inanspruchnahme der Gesamtschuldner nicht ordnungsgemäß ausgeübt habe.

Mit ihrer Revision rügt die Beklagte einen Verstoß gegen § 50 SGB X in Verbindung mit § 421 BGB sowie § 39 SGB I. Ein Auswahlermessen bestehe nicht. Selbst wenn Ermessen auszuüben wäre, wären nur das Willkürverbot und offenbare Unbilligkeiten zu berücksichtigen. Dem werde die von ihr getroffene Entscheidung gerecht.

Verfahrensgang:
Sozialgericht Frankfurt am Main, S 4 R 489/16, 29.10.2018
Hessisches Landessozialgericht, L 2 R 411/18, 14.12.2021

Sämtliche Vorschauen zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in der Terminvorschau 2/23.

Terminbericht

Die Revision der Beklagten hat keinen Erfolg. Die Vorinstanzen haben zu Recht entschieden, dass der angefochtene Bescheid rechtswidrig ist, weil es an der erforderlichen Ermessensausübung fehlt.

Die Beklagte durfte die Klägerin als Miterbin grundsätzlich auf Zahlung der gegen die Versicherte festgesetzten Rückforderung in Anspruch nehmen. Der an die Versicherte gerichtete Aufhebungs- und Erstattungsbescheid war mit Rechtskraft des hierzu ergangenen Urteils des Landessozialgerichts bestandskräftig geworden. Die Erstattungsforderung fiel als Verbindlichkeit in den Nachlass der Versicherten. Als Erbin des Ehemannes der Versicherten, der seinerseits die Versicherte bei deren Tod zusammen mit der gemeinsamen Tochter beerbt hatte, haftet die Klägerin grundsätzlich nach §§ 1922, 1967, 2058 BGB als eine von zwei Gesamtschuldnerinnen für die Nachlassverbindlichkeiten ihres Vaters. Die Beklagte durfte diese Forderung auch durch Bescheid festsetzen. Der öffentlich-rechtliche Charakter der Erstattungspflicht ändert sich durch einen Erbfall nicht. 

Soll die Vollstreckung, wie im Regelfall, nach dem Verwaltungs-Vollstreckungsgesetz erfolgen, ist ein gesonderter Bescheid erforderlich, in dem die Leistungspflicht des Erben als Vollstreckungsschuldner konkretisiert wird. Diesem Erfordernis hat die Beklagte hier genügt, indem sie mit dem angefochtenen Bescheid die Klägerin aufgefordert hat, 2615,22 Euro zu zahlen. Da die Klägerin hier als Gesamtschuldnerin mit der weiteren Erbin für die Nachlassverbindlichkeit haftet, liegt in ihrer Inanspruchnahme zugleich eine Auswahlentscheidung. Grundsätzlich kann die Beklagte jeden Miterben für die gesamte Erstattungsforderung in Anspruch nehmen. Fordert sie von einem Miterben die gesamte Summe oder einen Teilbetrag, hat sie ihre Auswahl nach pflichtgemäßem Ermessen zu treffen. Maßstab für die Überprüfung der Ermessensentscheidung ist das Willkürverbot und die Vermeidung einer offenbaren Unbilligkeit. Es muss erkennbar sein, dass die Behörde sich ihres Ermessensspielraums bewusst war. Zudem muss aus dem Bescheid deutlich werden, dass die vom Bescheidadressaten geltend gemachten und rechtlich relevanten Gesichtspunkte zur Kenntnis genommen und in die Erwägungen einbezogen wurden. Gemessen an diesen Kriterien kann der angefochtene Bescheid keinen Bestand haben. Ihm kann nicht entnommen werden, dass die Beklagte sich bewusst war, dass sie Ermessen auszuüben hatte. Eine nähere Begründung ihrer Entscheidung hatte sich auch nicht deshalb erübrigt, weil die Beklagte die Forderung nach den tatsächlichen Erbquoten aufgeteilt hätte. Die Beklagte ging insofern unzutreffend allein von dem hälftigen Anteil der Klägerin am Erbe des Vaters aus.

Sämtliche Berichte zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in dem Terminbericht 2/23.

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