Verhandlung B 11 AL 37/21 R
Insolvenzgeldanspruch - Hauptunternehmer - Insolvenz - Subunternehmer - Haftung
Verhandlungstermin
15.02.2023 11:30 Uhr
Terminvorschau
D.I. ./. Bundesagentur für Arbeit
Die Klägerin betreibt ein Bauunternehmen. Sie beauftragte als Generalunternehmerin auf einer Baustelle die K GmbH als Subunternehmerin, für die 29 Arbeitnehmer tätig waren. Einige dieser Arbeitnehmer stellten im April, die meisten am 18. Mai 2015 ihre Tätigkeit ein, weil sie seit April 2015 keinen Lohn mehr erhalten hatten. Über das Vermögen der K GmbH wurde Ende des Jahres 2015 das Insolvenzverfahren eröffnet. Die Arbeitnehmer schlossen mit der Klägerin Verträge ab, die unter anderem zum Inhalt hatten, dass “ohne Anerkennung einer Verpflichtung und zur Vermeidung eines Rechtsstreits bezüglich einer Generalunternehmer-Haftung“ die Klägerin 70 % der ausstehenden Lohnforderung mit schuldbefreiender Wirkung zahle und dass “Insolvenzgeld-Ansprüche, die in Folge eines Insolvenzverfahrens den Arbeitnehmern zustehen könnten, anteilig und in Höhe der geleisteten Zahlungen“ an die Klägerin abgetreten würden. Die meisten Arbeitsverhältnisse wurden durch Kündigung der Arbeitnehmer zum 30. Juni 2015 beendet.
Den eigenen Antrag der Klägerin auf Gewährung von Insolvenzgeld lehnte die Beklagte ab. Auf die dagegen gerichtete Klage hat das Sozialgericht den Ablehnungsbescheid aufgehoben und die Beklagte verurteilt, an die Klägerin Insolvenzgeld in Höhe von 42.614,87 Euro zu zahlen. Durch die getroffenen Vereinbarungen seien die Arbeitsentgeltansprüche der Arbeitnehmer im Wege der Abtretung auf die Klägerin übergegangen, was einen Anspruch der Klägerin auf Insolvenzgeld begründe. Die Klägerin habe allein zur Erfüllung ihrer Verpflichtung aus § 14 Arbeitnehmer-Entsendegesetz geleistet. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht das Urteil des Sozialgerichts aufgehoben und die Klage abgewiesen. Die für die Monate April und Mai 2015 zunächst noch offenen Arbeitsentgeltansprüche seien im Umfang der erfolgten Zahlungen der Klägerin durch Erfüllung (§ 362 BGB) erloschen. Den Arbeitnehmern sei Insolvenzgeld daher jeweils nur für die tatsächlich noch offenen Arbeitsentgeltansprüche gewährt worden.
Mit ihrer vom Landessozialgericht zugelassenen Revision rügt die Klägerin eine fehlerhafte Würdigung der gesetzlichen Systematik des § 14 AEntG und dessen Verhältnis zur Insolvenzsicherung von Arbeitsentgeltansprüchen nach §§ 165 ff SGB III.
Verfahrensgang:
Sozialgericht Speyer, S 1 AL 181/16, 25.04.2018
Landessozialgericht Rheinland-Pfalz, L 1 AL 33/18, 22.07.2021
Sämtliche Vorschauen zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in der Terminvorschau 3/23.
Terminbericht
Die Revision der Klägerin ist nach der teilweisen Klagerücknahme im Termin begründet. Der Klägerin steht ein Anspruch auf Insolvenzgeld in Höhe von 41.354,87 Euro zu. Zwar konnten die früheren Arbeitnehmer der Subunternehmerin nicht vor Antragstellung etwaige zukünftige Insolvenzgeldansprüche übertragen; insoweit bestand ein gesetzliches Verbot (§ 171 Satz 1 SGB III). Anders als vom Landessozialgericht angenommen, hat jedoch die Klägerin nicht auf Ansprüche der Arbeitnehmer gegen die Subunternehmerin (also die Schuld einer Dritten), sondern auf Ansprüche auf Mindestlohn aus der Generalunternehmerhaftung (§ 14 AEntG) und damit auf eine Bürgschaftsschuld gezahlt. Der Senat war an die anders lautende Auslegung des Vertrags- und Erfüllungsgeschäfts durch das Landessozialgericht nicht gebunden, weil dieses insoweit wesentliche tatsächliche Gesichtspunkte nicht berücksichtigt hatte. Mit der Zahlung auf Ansprüche aus der Generalunternehmerhaftung sind wie bei einer Zahlung auf eine Bürgschaft nach § 774 BGB die Hauptforderungen, also die Arbeitsentgeltansprüche der früheren Arbeitnehmer, auf die Klägerin übergegangen. Damit verbunden war die Berechtigung der Klägerin, Insolvenzgeld als eigenen Anspruch geltend zu machen. § 170 Absatz 1 SGB III, der vorsieht, dass bei Übertragung von Arbeitsentgeltansprüchen auf Dritte vor der Antragstellung auf Insolvenzgeld der Anspruch auf Insolvenzgeld auf diesen Dritten übergeht, gilt auch in Fällen eines gesetzlichen Anspruchsübergangs, wie er hier vorliegt. Sinn und Zweck der Generalunternehmerhaftung erfordern es im Übrigen nicht, im Insolvenzfall dieser Haftung einen Vorrang gegenüber der (zeitlich begrenzten) Sicherung von Arbeitsentgeltansprüchen durch Insolvenzgeld einzuräumen.
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