Verhandlung B 3 KR 6/21 R
Krankenversicherung - Arzneimittel - neuer Wirkstoff - Erstattungsbetragsfestsetzung - Schiedsverfahren
Verhandlungstermin
22.02.2023 14:30 Uhr
Terminvorschau
S.-A. Deutschland GmbH ./. Schiedsstelle nach §130b Absatz 5 SGB V, c/o GKV-Spitzenverband, beigeladen: 1. GKV-Spitzenverband, 2. Gemeinsamer Bundesausschuss
Im Streit steht ein Schiedsspruch über die Festsetzung eines Erstattungsbetrags für ein erstattungsfähiges Arzneimittel mit neuem Wirkstoff.
Die Klägerin ist ein pharmazeutischer Unternehmer, dessen Rechtsvorgänger im Oktober 2013 das Fertigarzneimittel Aubagio® mit dem Wirkstoff Teriflunomid in Deutschland in den Verkehr brachte, das seit August 2013 europaweit zur Behandlung von erwachsenen Patienten mit schubförmig remittierender Multipler Sklerose (RRMS) zugelassen ist. Der zu 2 beigeladene GBA bewertete im Verfahren nach § 35a SGB V den Nutzen des Wirkstoffs und ergänzte die Anlage XII der Arzneimittel-Richtlinie um die Feststellung, dass ein Zusatznutzen von Teriflunomid (Aubagio®) gegenüber der zweckmäßigen Vergleichstherapie Interferon Beta-1a oder Interferon Beta-1b oder Glatirameracetat nicht belegt sei.
Auf dieser Grundlage schloss die Klägerin mit dem zu 1 beigeladenen GKV-Spitzenverband zunächst einvernehmlich für die Zeit ab Oktober 2014 eine Vereinbarung über den Erstattungsbetrag für die Abgabe von Arzneimitteln mit dem Wirkstoff Teriflunomid, die der GKV-Spitzenverband zum 23. November 2017 kündigte. Nach gescheiterten Verhandlungen über eine Folgevereinbarung rief die Klägerin die beklagte Schiedsstelle an und beantragte die Festsetzung des Vertragsinhalts nach § 130b SGB V zu Teriflunomid (Aubagio®). Anders als der GKV-Spitzenverband meine, sei der Erstattungsbetrag nicht an dem zwischenzeitlich auf den Markt gebrachtem Präparat Clift® mit dem Wirkstoff Glatirameracetat auszurichten, sondern an dem “Versorgungsmix“ aller drei Wirkstoffe der zweckmäßigen Vergleichstherapie bei RRMS. Die Beklagte folgte dem nicht, sondern setzte den Erstattungsbetrag ausgerichtet an den niedrigeren Jahrestherapiekosten von Clift® dem Antrag des Beigeladenen zu 1 entsprechend fest; dass dieses preisgünstigste Präparat nur einen geringen Anteil am Arzneimittelmarkt habe, stehe nicht entgegen (Schiedsspruch vom 4. Juni 2018, schriftliche Fassung vom 8. Juni 2018).
Die Klage gegen die Schiedsstelle mit dem Ziel, die Beklagte unter Aufhebung des Schiedsspruchs zur erneuten Entscheidung zu verpflichten, hat das Landessozialgericht abgewiesen: Mit dem Schiedsspruch habe die Beklagte ihren Entscheidungsspielraum gewahrt und den Erstattungsbetrag zu Recht an der im Zeitpunkt ihrer Entscheidung wirtschaftlichsten Alternative der zweckmäßigen Vergleichstherapie ausgerichtet, indem sie die Jahrestherapiekosten des Arzneimittels Clift® als Preisobergrenze festgelegt habe. Aus § 130b Absatz 4 Satz 2 SGB V folge nicht, dass die Obergrenze des § 130b Absatz 3 Satz 2 SGB V nicht zu beachten sei. Unerheblich sei, dass die Beklagte aufgrund unzutreffender Preisangaben des Beigeladenen zu 1 für Clift® im Ergebnis teilweise zu geringe Erstattungsbeträge festgesetzt habe. Die Klägerin habe die Preisdaten im Schiedsverfahren nicht gerügt. Eine etwaige Amtsermittlungspflicht der Beklagten führe zu keiner anderen Beurteilung.
Mit ihrer vom Landessozialgericht zugelassenen Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts (§ 130b SGB V). Die Rechtswidrigkeit des Schiedsspruchs folge bereits daraus, dass die Beklagte den ihr zur Verfügung stehenden Entscheidungsspielraum nicht erkannt habe. Weiter dürften die Wirkstoffe der zweckmäßigen Vergleichstherapie bei RRMS nicht als austauschbare Alternativen angesehen werden. Als Basis für den Erstattungsbetrag bedürfe es der Berücksichtigung aller drei Wirkstoffe, um den patientenindividuellen Therapieverläufen bei RRMS gerecht zu werden. Zudem habe Clift® als preisgünstigste Alternative nur über einen geringen Verordnungsanteil verfügt. Schließlich habe die Beklagte unter Missachtung ihrer Amtsermittlungspflicht falsche Kosten für Clift® zugrunde gelegt und damit zu geringe Erstattungsbeträge festgesetzt. Hierbei handele es sich nicht um einen unbeachtlichen Verfahrensfehler. Wie sich die Erstattungsbeträge zusammensetzten, sei erst mit dem schriftlichen Schiedsspruch deutlich geworden und eine vorherige Rüge damit nicht möglich gewesen.
Verfahrensgang:
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, L 14 KR 218/18 KL, 29.04.2021
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Terminbericht
Die Revision der Klägerin war unbegründet. Zutreffend hat das Landessozialgericht entschieden, dass die beklagte Schiedsstelle den Erstattungsbetrag auf der Grundlage des Nutzenbewertungsbeschlusses des zu 2 beigeladenen Gemeinsamen Bundesausschusses revisionsrechtlich beanstandungsfrei festgesetzt hat.
Der Senat hat in einem insoweit gleichgelagerten Fall bereits entschieden, dass der zu 1 beigeladene GKV-Spitzenverband die Entwicklung des Preisniveaus von erstattungsfähigen Arzneimitteln auf dem Markt zu beobachten hat, um auf der Grundlage der frühen medizinischen Nutzenbewertung des Gemeinsamen Bundesausschusses rechtskonforme und marktgerechte Erstattungsbeträge zu verhandeln; treten nach einer frühen Nutzenbewertung eines Arzneimittels ohne Zusatznutzen und ohne Festbetragsgruppe kostengünstigere vergleichbare Arzneimittel auf dem Arzneimittelmarkt hinzu, so ergibt sich die Notwendigkeit einer Anpassung des Erstattungsbetrags aus der gesetzlichen Preisobergrenze der zweckmäßigen Vergleichstherapie, bei mehreren Alternativen aus der wirtschaftlichsten Alternative (Bundessozialgericht vom 12. August 2021 - B 3 KR 3/20 R - BSGE 133, 1 = SozR 4-2500 § 130b Nr 5); hieran hält der Senat nach erneuter Überprüfung fest. Ausgehend von den in dieser Entscheidung im Einzelnen formulierten Maßstäben greifen die materiell-rechtlichen Einwände der Klägerin gegen den Schiedsspruch nicht durch.
Soweit die Klägerin zudem rügt, die Schiedsstelle habe unter Verstoß gegen ihre Amtsermittlungspflicht für Teilzeiträume zu geringe Erstattungsbeträge festgesetzt, kann sie damit nicht durchdringen, weil sie die Rüge unzureichender Amtsermittlung bereits im Schiedsverfahren hätte erheben können und müssen, was nach den Feststellungen des Landessozialgerichts nicht geschehen ist.
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