Bundessozialgericht

Verhandlung B 3 KR 7/21 R

Krankenversicherung - Arzneimittelvergütung - Apotheke - Zytostatikazubereitungen - Verwurf

Verhandlungstermin 22.02.2023 12:00 Uhr

Terminvorschau

F.-Apotheke ./. AOK Bayern
Streitig sind Vergütungen für Verwürfe von zytostatikahaltigen Arzneimittelzubereitungen.

Die Klägerin ist Inhaberin einer herstellenden Apotheke und Mitglied im Bayerischen Apothekerverband. Sie stellte für verschiedene Versicherte im Mai 2012 aufgrund ärztlicher Verordnung Zytostatikazubereitungen für ambulante Chemotherapien her. Zur Herstellung dieser parenteralen Zubereitungen wird (Trocken-)Fertigarzneimittel nach ärztlicher Dosierungsangabe des Wirkstoffs eine definierte Menge eines Lösungsmittels zum Erhalt einer Stammlösung zugefügt, welche wiederum mit einer Lösung zu einer applikationsfertigen Infusion verdünnt und als Endprodukt verabreicht wird. Der Rest der Stammlösung ist, wenn er nicht für eine anderweitige Verordnung eingesetzt wird, der sogenannte Verwurf. Die Beklagte vergütete der Klägerin die sich aus den Verordnungen für Mai 2012 ergebenden Beträge zunächst, lehnte die Vergütung nach Prüfung aber hinsichtlich der Mehrkosten für den Verwurf ab und verrechnete den deshalb geltend gemachten Erstattungsanspruch mit unstreitigen Forderungen der Klägerin für anderweitige Verordnungen (Retaxierung).

Das Sozialgericht hat die Beklagte unter Zulassung der Sprungrevision zur Zahlung von 828,50 Euro nebst Zinsen bezüglich der zuletzt noch streitigen Arzneimittelzubereitungen aufgrund von 13 Verordnungen verurteilt. Die Klägerin habe Anspruch auf die noch ausstehende Vergütung, weil die Beklagte keinen zur Aufrechnung berechtigenden öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch habe. Die Verwürfe seien nach der geltenden Hilfstaxe unvermeidbar und abrechnungsfähig gewesen. Bei dieser handele es sich um von den hierzu ermächtigten Vertragspartnern vereinbartes Preisrecht, mit dem Haltbarkeitszeiten von Wirkstoffen für eine Abrechnungsfähigkeit festgelegt seien.

Mit ihrer Revision rügt die Beklagte die Vereinbarkeit der Verwurfsregelungen unter Ziffern 3.6 und 3.8 und Anhang 2 der Anlage 3 Teil 1 der Hilfstaxe mit dem Wirtschaftlichkeitsgrundsatz. Die Vertragspartner hätten mit der Festlegung der Abrechnungsfähigkeit in der Hilfstaxe ihre Kompetenzen überschritten, weil sie mit den getroffenen Regelungen erheblich unwirtschaftliches Abrechnen der Apotheken ermöglichten.

Verfahrensgang:
Sozialgericht Nürnberg, S 21 KR 402/14, 09.07.2021

Sämtliche Vorschauen zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in der Terminvorschau 4/23.

Terminbericht

Die Revision der Beklagten war unbegründet. Zutreffend ist das Sozialgericht davon ausgegangen, dass ungenutzte Teilmengen zytostatikahaltiger Arzneimittelzubereitungen als so genannter Verwurf gesondert zu vergüten sind, wenn diese nicht innerhalb von 24 Stunden in weiteren Rezepturen verwendet werden konnten und wirkstoffbezogene Sonderregelungen nicht vorgehen. 

Rechtsgrundlage dessen sind § 129 Absatz 1 SGB V sowie ergänzende Vereinbarungen auf Bundes- und Landesebene nach dem SGB V sowie Vergütungsregelungen zwischen dem GKV-Spitzenverband und dem Deutschen Apothekerverband eV. Diese beruhen auf Ermächtigungen nach § 78 Arzneimittelgesetz und § 5 Absatz 5 Arzneimittelpreisverordnung, wonach die sonst nach der Rechtsverordnung nach dem Arzneimittelgesetz geltenden Vorgaben zur Preisberechnung von in Apotheken angefertigten Zubereitungen aus Stoffen durch abweichende Preisvereinbarungen ersetzt werden, sofern die für die Wahrnehmung der wirtschaftlichen Interessen gebildete maßgebliche Spitzenorganisation der Apotheker und der GKV-Spitzenverband solche Regelungen treffen (§ 78 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 Arzneimittelgesetz in Verbindung mit § 5 Absatz 5 Satz 1 Arzneimittelpreisverordnung). Gestützt darauf haben sich der GKV-Spitzenverband und der Deutsche Apothekerverband eV auf ein Preisbildungsverfahren unter anderem für die streitbefangenen Verwürfe verständigt, wonach auf Vorschlag einer dafür eingerichteten technischen Kommission für bestimmte Rezepturen Fest- oder Rezepturzuschläge sowie Stoff- und Gefäßpreise vereinbart werden. Diese Kommission besteht aus je bis zu fünf Vertretern des Deutschen Apothekerverbands eV und des GKV-Spitzenverbands und beschließt grundsätzlich jährlich zu aktualisierende Preise, denen von jeder Seite mit der Wirkung widersprochen werden kann, dass für den entsprechenden Arzneistoff in der jeweiligen Preisliste kein vereinbarter Preis ausgewiesen wird (§ 3 Vertrag über die Preisbildung für Stoffe und Zubereitungen aus Stoffen).

Nach diesen Regelungen ist die ungenutzte Teilmenge einer von der abrechnenden Apotheke selbst hergestellten zytostatikahaltigen Arzneimittelzubereitung als unvermeidbarer Verwurf abrechnungsfähig, sofern entweder im Einzelnen angeführte wirkstoffbezogene Vorgaben eingehalten sind oder - für dort nicht aufgeführte Stoffe - die Teilmenge “nachweislich nicht innerhalb von 24 Stunden in einer weiteren Rezeptur verwendet werden konnte“ (Anlage 3 Teil 1 Ziffer 3.8 Buchstabe c) zum Vertrag über die Preisbildung für Stoffe und Zubereitungen aus Stoffen). Fehlt es an einer ausdrücklichen wirkstoffbezogenen Regelung, kommt es nach dieser Auffanglösung auf andere Kriterien als die Unmöglichkeit der Verwendung binnen 24 Stunden nicht an. Schon nach den allgemeinen Grundsätzen sind die von den Vertragspartnern getroffenen Regelungen wie andere Normenverträge in der gesetzlichen Krankenversicherung ihrer Funktion wegen eng am Wortlaut orientiert auszulegen. Hier kommt hinzu, dass die Ersetzungswirkung des Vertrags zwischen GKV-Spitzenverband und Deutschem Apothekerverband eV im Verhältnis zu den Vorgaben der Arzneimittelpreisverordnung (vergleiche § 5 Absatz 5 Satz 1 Arzneimittelpreisverordnung) nach seiner Konzeption mit der Widerspruchslösung im Kommissionsverfahren nur eintritt, soweit deren Mitglieder sich einvernehmlich auf von der Auffanglösung abweichende Vorgaben verständigt haben. Das schließt es aus, die Abrechnungsfähigkeit eines hiervon erfassten Verwurfs von weiteren, dort nicht angeführten Voraussetzungen abhängig zu machen.

Dass dieses Ergebnis wegen Überschreitung des Gestaltungsspielraums der Vertragspartner oder Verletzung des Wirtschaftlichkeitsgebots unbeachtlich wäre, ist nicht ersichtlich. Bei den Festlegungen zur Abrechnungsfähigkeit des Verwurfs von Arzneimittelzubereitungen in der Hilfstaxe handelt es sich um vertragliche Vergütungsbestimmungen, die schon nach den allgemeinen Grundsätzen dem gerichtlich nur begrenzt überprüfbaren Gestaltungsspielraum der Vertragspartner obliegen. Für die Regelungsmaterie hier kommt hinzu, dass den Vertragspartnern des Vertrags über die Preisbildung für Stoffe und Zubereitungen aus Stoffen nach der Ermächtigung durch die AMPreisV (vgl § 5 Absatz 5 Satz 1 AMPreisV) Rechtsetzungsmacht nur eingeräumt ist, soweit sie sich auf einvernehmliche Regelungen zur Preisbildung verständigen können. Soweit der darauf gerichtete Regelungsauftrag des § 129 Absatz 5c Satz 1 SGB V (erst) nach dem hier streitbefangenen Zeitraum um eine Schiedsstellenregelung ergänzt worden ist, kann von äußersten Grenzen abgesehen nach der Rechtsprechung des Senats zu Vergütungsregelungen für nichtärztliche Leistungserbringer im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung keine Seite eine gerichtliche Entscheidung über die angemessene Vergütung beanspruchen. Dass solche Grenzen hier verkannt wären, ist nicht zu erkennen; allein die Möglichkeit einer anderen Ausgestaltung des streitbefangenen Regelwerks berührt derartige Grenzen nicht.

Sämtliche Berichte zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in dem Terminbericht 4/23.

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