Verhandlung B 3 KR 13/21 R
Krankenversicherung - Hebamme - Haftpflichtversicherungskosten - Sicherstellungszuschlag
Verhandlungstermin
22.02.2023 11:00 Uhr
Terminvorschau
A. S. ./. GKV-Spitzenverband
Im Streit steht ein höherer Sicherstellungszuschlag zu den Haftpflichtversicherungskosten der klagenden Hebamme.
Die Klägerin war im 2. Halbjahr 2015 freiberuflich und zugleich als Beleghebamme tätig. Sie ist Mitglied des Hebammenverbandes Schleswig-Holstein eV und in diesem Rahmen in einer Gruppen-Haftpflichtversicherung des Deutschen Hebammenverbandes eV (DHV) in der Versicherungsform “freiberufliche Hebammen mit Geburtshilfe“ gegen Haftungsrisiken für Personen-, Sach-, Umwelt- und Vermögensschäden pflichtversichert. Die von ihr zum 14. Juli 2015 gezahlte Versicherungsprämie belief sich auf 3.137,16 EUR für das 2. Halbjahr 2015. Hiervon übernahm das Belegkrankenhaus nach dem Belegvertrag einen Anteil von 1.337,94 EUR. Der Beklagte gewährte einen Sicherstellungszuschlag in Höhe von 1.031,11 EUR und lehnte einen weitergehenden Anspruch unter Berücksichtigung der Leistungen Dritter für die Versicherungsprämie ab (Bescheid vom 13. Mai 2016; Widerspruchsbescheid vom 14. Juli 2016). Der Bescheid sei aufgrund einer Klage gegen den Beschluss der Schiedsstelle nach § 134a Absatz 4 SGB V vom 25. September 2015 vorläufig und ergehe unter dem Vorbehalt des Widerrufs. Die Klage des DHV gegen den Schiedsspruch ruht zurzeit.
Das Sozialgericht hat - nach Bereinigung von Abzügen - die angefochtenen Bescheide geändert und den Beklagten zur weiteren Zahlung von 1.170,70 EUR verurteilt. Das Landessozialgericht hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen: Die Klägerin habe Anspruch auf den Sicherstellungszuschlag in voller Höhe. Der Beklagte sei nach dem Wortlaut der Anlage 1.4 zum Vertrag nach § 134a SGB V nicht berechtigt gewesen, die streitbefangenen Abzüge für den Zuschuss zur Haftpflichtprämie als Beleghebamme vorzunehmen. Dies ergebe sich weder aus dem klaren Wortlaut noch aus einer Auslegung der Regelungen. Der Beklagte könne sich zudem für seine Bescheide nicht auf eine Verwaltungsaktbefugnis berufen.
Mit der vom Landessozialgericht zugelassenen Revision rügt der Beklagte die Verletzung von §§ 2, 12, 70, 134a SGB V, §§ 8, 18, 31 SGB X, § 33 SGB I und § 2 der Anlage 1.4 zum Hebammenhilfevertrag. Zu Recht sei der Zuschuss des Krankenhauses, welchen die Klägerin für ihre Haftpflichtversicherungskosten im Ausgleichszeitraum erhalten habe, in Abzug gebracht worden.
Verfahrensgang:
Sozialgericht Lübeck, S 3 KR 605/16, 13.06.2016
Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, L 5 KR 110/19, 01.09.2021
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Terminbericht
Die Revision der Beklagten war unbegründet. Zutreffend haben die Vorinstanzen entschieden, dass über die Auszahlung des Sicherstellungszuschlags für Hebammen weder durch Verwaltungsakt zu entscheiden ist noch dass Zahlungen Dritter auf ihn anzurechnen sind.
Seit dem 1. Juli 2015 erhalten Hebammen für Geburten zusätzlich zur Vergütung für die im Einzelnen erbrachten Leistungen einen sogenannten Sicherstellungszuschlag, wenn ihre wirtschaftlichen Interessen wegen zu geringer Geburtenzahlen bei der Vereinbarung über die Höhe der Vergütung im Übrigen nicht ausreichend berücksichtigt sind (§ 134a Absatz 1b Satz 1 SGB V). Die Regelung soll Hebammen, die wegen geringer Geburtenzahlen und hoher Haftpflichtprämien ansonsten finanziell überfordert wären, entlasten und zugleich eine flächendeckende Versorgung mit Geburtshilfe sichern. Nach der zwischen dem GKV-Spitzenverband und den beteiligten Hebammenvertretungen zu treffenden Vereinbarung über die Höhe des Sicherstellungszuschlags in Abhängigkeit unter anderem von der Anzahl der betreuten Geburten, der Anzahl der haftpflichtversicherten Monate für Hebammen mit Geburtshilfe ohne Vorschäden und der Höhe der zu entrichtenden Haftpflichtprämie errechnet sich der Sicherstellungszuschlag nach einer Formel, in die die Haftpflichtprämie des entsprechenden Versicherungsjahrs abzüglich eines Betrags von 1000 Euro für die frühere Höhe der Haftpflichtprämie mit Geburtshilfe sowie weitere prozentuale Abschläge eingehen. Ausgezahlt wird der Sicherstellungszuschlag “auf Antrag der Hebamme“ nach Nachweis unter anderem über den Versicherungsschutz und -beitrag durch den GKV-Spitzenverband (§ 134a Absatz 1b Satz 2 SGB V).
Mit dieser Ausgestaltung hat der Gesetzgeber dem GKV-Spitzenverband nicht die Rechtsmacht eingeräumt, über die Auszahlung des Sicherstellungszuschlags durch Verwaltungsakt zu entscheiden. Die Befugnis, Rechtsbeziehungen hoheitlich durch Verwaltungsakt zu gestalten, muss sich aus dem materiellen Recht ergeben, das den betreffenden Rechtsbeziehungen zugrunde liegt. Diese Rechtsbeziehungen sind im Verhältnis zwischen den an der Versorgung von gesetzlich Krankenversicherten teilnehmenden Hebammen und den Krankenkassen wie auch im übrigen nichtärztlichen Leistungserbringungsrecht durch ein Gleichordnungsverhältnis geprägt, in dem Entscheidungen durch Verwaltungsakt nur auf der Grundlage einer ausdrücklichen Normierung oder entsprechend ausgestalteter Rechtslage ergehen. Das ist hier weder den maßgeblichen Regelungen selbst noch dem Regelungszusammenhang hinreichend deutlich zu entnehmen.
Von den gesetzlichen Regelungen oder ihrer Ausgestaltung durch den Vertrag über die Versorgung mit Hebammenhilfe ebenfalls nicht getragen ist die Anrechnung von Zahlungen Dritter auf den Sicherstellungszuschlag. Erwiesen sich die Vereinbarungen zu dessen Ausgestaltung im Hinblick auf die Anrechnung von Zahlungen Dritter als lückenhaft, wären Vorgaben für eine solche Anrechnung weder vom Gesetzgeber selbst ausdrücklich getroffen noch wäre das von den Vertragspartnern nachgeholt worden. In dieser Lage ist für eine ergänzende Vertragsauslegung durch die Gerichte kein Raum. Vertragliche Vergütungsregelungen zwischen Krankenkassen und Leistungserbringern sind nach der Rechtsprechung aller Krankenversicherungssenate des Bundessozialgerichts eng am Wortlaut orientiert auszulegen und belassen keinen Spielraum für weitere Bewertungen sowie Abwägungen. Hat der Gesetzgeber Schiedsstellen zur Klärung von Streitfragen zwischen den Vertragsbeteiligten eingerichtet - wie hier auch -, obliegt die Auflösung des Streits zunächst diesen, bevor Sozialgerichte angerufen werden können. Auch wenn keine solche Schiedsregelung getroffen ist, kann von äußersten Grenzen abgesehen nach der Rechtsprechung des Senats im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung keine Seite eine gerichtliche Entscheidung über die angemessene Vergütung beanspruchen. Dass hier eine Ausnahme geboten wäre, ist nicht zu erkennen. Dagegen spricht nicht zuletzt, dass die gesetzliche Regelung selbst mit der unbestimmt weiten Fassung der Anspruchsvoraussetzungen (“wenn ihre wirtschaftlichen Interessen wegen zu geringer Geburtenzahlen bei der Vereinbarung über die Höhe der Vergütung nach Absatz 1 nicht ausreichend berücksichtigt sind“) für gerichtliche Vertragsergänzungen keinen Anhalt bietet.
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