Verhandlung B 8 SO 9/21 R
Sozialhilfe - Hilfe zur Pflege - Schenkungsrückforderung - Hausgrundstück - Wohnungsrecht - Löschung - Ermessen
Verhandlungstermin
23.02.2023 12:30 Uhr
Terminvorschau
J. R. ./. Bezirk Unterfranken
Zwischen den Beteiligten steht die Überleitung eines Anspruchs auf Rückforderung einer Schenkung wegen Verarmung des Schenkers (§ 528 Bürgerliches Gesetzbuch) im Streit. Die inzwischen verstorbenen Eltern des Klägers hatten diesem im Jahr 1999 ihr Hausgrundstück übereignet und der Kläger im Gegenzug seinen Eltern auf Lebenszeit ein Wohnungs- und Benutzungsrecht an sämtlichen Räumen eingeräumt, das Dritten überlassen werden durfte. 2014 veranlassten die Eltern die Löschung des Wohnungsrecht und Nießbrauchs. Sie zogen dauerhaft in Pflegeheim und erhielten seit Dezember 2014 neben ihren Altersrenten vom Beklagten Sozialhilfe. Der Beklagte ermittelte einen Wert des Wohnungs- und Mitbenutzungsrechts in Höhe von circa 55 000 Euro und leitete die Ansprüche des Vaters und der Mutter gegen den Kläger auf Rückforderung der Schenkung wegen Verarmung des Schenkers auf sich über. Widerspruch und Klage blieben erfolglos. Das Landessozialgericht hat die Berufung zurückgewiesen. Einer Beiladung der erbberechtigten Schwestern des Klägers habe es nach dem Tod beider Elternteile nicht bedurft, weil sowohl das Wohnungsrecht und damit auch der Schenkungsrückforderungsanspruch erloschen seien. Die Überleitungsanzeigen seien auch hinreichend bestimmt gewesen. Die vollständige Prüfung, ob und in welcher Höhe der überzuleitende Anspruch tatsächlich bestehe und ob dieser verjährt sei, sei der Zivilgerichtsbarkeit vorbehalten, solange dieser nicht offensichtlich ausgeschlossen sei. Den Einwand des Klägers, seine Eltern seien gar nicht hilfebedürftig im Sinne des SGB XII gewesen, könne er ebenfalls nur im Rahmen des zivilrechtlichen Verfahrens vorbringen. Selbst wenn dies bereits jetzt zu prüfen sei, habe kein verwertbares Vermögen der Eltern vorgelegen. Ermessensfehler seien nicht erkennbar.
Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Revision.
Verfahrensgang:
Sozialgericht München, S 46 SO 503/20, 4.12.2020
Bayerisches Landessozialgericht,L 8 SO 6/21, 18.06.2021
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Terminbericht
Der Senat hat auf die Revision des Klägers die angegriffenen Überleitungsanzeigen aufgehoben. Die Überleitungen scheitern allerdings nicht daran, dass ein überleitungsfähiger Anspruch von vornherein objektiv ausgeschlossen wäre. Ausreichend ist, dass die Überleitung für einen Zeitraum erfolgt, für den Leistungen der Sozialhilfe tatsächlich gewährt worden sind und nicht offensichtlich ist, dass das Ziel der Wiederherstellung des Nachrangs der Sozialhilfe durch die Überleitung der Rückforderung einer in Form des Verzichts auf das Wohnrecht erfolgten Schenkung nicht verwirklicht werden kann. Dahinstehen kann vorliegend, ob und in welchen Fällen eine Überprüfung der Rechtmäßigkeit der erbrachten Sozialhilfeleistungen zu erfolgen hat. Die Überleitungsanzeigen sind jedenfalls deshalb rechtswidrig, weil der Beklagte bei ihrem Erlass das ihm zustehende Ermessen nicht pflichtgemäß ausgeübt hat. Zwar hat er auf das eingeräumte Ermessen hingewiesen und als zulässigen Ermessensgesichtspunkt die angestrebte Wiederherstellung des Nachrangs der Sozialhilfe genannt. Andere Gesichtspunkte seien nicht erkennbar. Ein Ermessensfehlgebrauch liegt aber auch dann als Abwägungsdefizit vor, wenn die Behörde nicht alle Ermessensgesichtspunkte, die nach der Lage des Falls zu berücksichtigen sind, in die Entscheidungsfindung einbezogen hat, weil sie ihrer Ermessensbetätigung einen unvollständigen Sachverhalt zugrunde gelegt hat. Bei der Überleitung eines Schenkungsrückforderungsanspruchs im engen familiären Umfeld, mit dem eine häufig aus ideellen Motiven getroffene unentgeltliche Zuwendung rückgängig gemacht wird und die typischerweise in die familiären Verhältnisse eingreift, gehört es nicht zuletzt im Hinblick auf das Gebot familiengerechter Leistungen (§ 16 SGB XII) aber zur umfassenden Sachverhaltsermittlung, die Schenker (hier die Eltern des Klägers) anzuhören. Vorliegend ist dies nach den bindenden Feststellungen des Landessozialgerichts nicht geschehen. Bereits deswegen ist die Ermessensentscheidung fehlerhaft.
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