Bundessozialgericht

Verhandlung B 12 R 4/21 R

Versicherungs- und Beitragsrecht - Betriebsprüfung - Sozialversicherungsbeiträge - Gesellschafter-Geschäftsführer - Kapitalbeteiligung in Höhe von 49 vom Hundert

Verhandlungstermin 13.03.2023 13:00 Uhr

Terminvorschau

K. S. GmbH ./. Deutsche Rentenversicherung Bund, beigeladen: 1. N. G., 2. AOK Rheinland-Pfalz/Saarland - Die Gesundheitskasse, 3. Pflegekasse bei der AOK Rheinland-Pfalz/Saarland - Die Gesundheitskasse, 4. Bundesagentur für Arbeit
Die klagende GmbH wurde am 2. Oktober 1997 von dem Beigeladenen zu 1. mit einer Stammeinlage in Höhe von 24 500 DM, dessen Sohn mit einer Stammeinlage in Höhe von 25 000 DM und einer dritten Person mit einer Stammeinlage in Höhe von 500 DM gegründet. Diese Angaben enthält auch die in das Handelsregister aufgenommene Gesellschafterliste vom selben Tag. Nach dem Gesellschaftsvertrag sind Beschlüsse grundsätzlich mit einfacher Mehrheit zu fassen. Der Beigeladene und sein Sohn wurden zu einzelvertretungsberechtigten Geschäftsführern bestellt. Bereits mit notarieller Urkunde vom 2. Oktober 1997 verkaufte der dritte Gesellschafter seinen Geschäftsanteil von 500 DM an den Beigeladenen. Im Jahr 2018 stellten der Beigeladene und sein Sohn in einer notariellen Urkunde fest, dass nach der Übertragung des Geschäftsanteils von 500 DM keine neue Gesellschafterliste beim Handelsregister hinterlegt und dieser Geschäftsanteil in der Folgezeit versehentlich dem Sohn des Beigeladenen zugeordnet worden sei. Notarielle Urkunden unter anderem über Anteilsübertragungen aus den Jahren 2007 und 2008 sowie über die Umstellung des Stammkapitals von 50 000 DM auf 26 000 Euro im August 2014 legen einen Anteil des Beigeladenen in Höhe von 24 500 DM beziehungsweise 12 740 Euro zugrunde.

Nach einer Betriebsprüfung im Jahr 2017 forderte die Beklagte Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von 18 850,82 Euro nach. Als Gesellschafter-Geschäftsführer mit einer Kapitalbeteiligung von 49 vom Hundert sei der Beigeladene in der Zeit vom 1. Januar 2013 bis zum 31. August 2014 aufgrund eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses versicherungspflichtig gewesen. Das Sozialgericht hat die Verwaltungsentscheidung aufgehoben. Der Beigeladene sei nach der Übertragung des Geschäftsanteils in Höhe von 500 DM zu insgesamt 50 von Hundert an der Gesellschaft beteiligt und damit selbstständig tätig gewesen. Das Landessozialgericht hat das Urteil des Sozialgerichts aufgehoben und die Klage abgewiesen. Der Beigeladene habe entsprechend der im streitigen Zeitraum allein vorliegenden Gründergesellschafterliste nur über eine Kapitalbeteiligung von 49 vom Hundert und damit über keine hinreichende Rechtsmacht verfügt. Nach § 16 Absatz 1 GmbHG in der ab 1. November 2008 geltenden Fassung bleibe die Gesellschafterliste vom 2. Oktober 1997 für den Rechtsverkehr maßgebend, ohne dass es auf die wahre Berechtigung des Beigeladenen ankomme. Der Gesetzeszweck der Transparenz und das Kriterium der Rechtssicherheit sprächen für die Anwendung des strengen Listenmodells auf alle existierenden - auch alte, gegebenenfalls falsche - Listen.

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin die Verletzung von § 16 Absatz 1 Satz 1 GmbHG. Aufgrund der maßgeblichen materiellen Rechtslage habe der Beigeladene im streitgegenständlichen Zeitraum über 50 vom Hundert der Stimmanteile an der Klägerin verfügt und sei deshalb selbstständig tätig gewesen. Die Anwendung der Gesetzesänderung des § 16 GmbHG zum 1. November 2008 auf alte Gesellschafterlisten verstoße gegen das Verbot der echten Rückwirkung von Gesetzen.

Verfahrensgang:
Sozialgericht Trier, S 3 BA 25/18, 10.03.2020
Landessozialgericht Rheinland-Pfalz, L 6 BA 15/20, 17.02.2021

Sämtliche Vorschauen zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in der Terminvorschau 10/23.

Terminbericht

Der Senat hat die Revision der Klägerin zurückgewiesen. Der Beigeladene unterlag vom 1. Januar 2013 bis zum 31. August 2014 in seiner Tätigkeit als Gesellschafter-Geschäftsführer der Klägerin aufgrund Beschäftigung der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung.

Der Beigeladene hat nach der im genannten Zeitraum allein vorliegenden Gründungsgesellschafterliste von 1997 nicht über die eine abhängige Beschäftigung ausschließende Rechtsmacht in der Gesellschaft verfügt. Die gesellschaftsrechtliche Bewertung seiner Stellung wird durch das Erfordernis der Vorhersehbarkeit und Klarheit beitragsrechtlich relevanter Sachverhalte überlagert. Diesem Bedürfnis entspricht die durch das Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen zum 1. November 2008 in § 16 Absatz 1 GmbHG eingeführte formelle Legitimationswirkung der Gesellschafterliste. Durch diese Regelung sollte der interessierte Rechtsverkehr vor einer fehlenden Überprüfbarkeit der Gesellschafterstellung und der daraus folgenden Rechtsunsicherheit geschützt werden. Dieser Zweck spricht jedenfalls sozialversicherungsrechtlich für die Anwendung der Norm auch auf vor ihrem Inkrafttreten ins Handelsregister aufgenommene Gesellschafterlisten. Dem stehen weder der Wortlaut der Norm noch das Fehlen einer Übergangsregelung und auch verfassungsrechtliche Bedenken nicht entgegen. Die gegebenenfalls von früherem Recht abweichende Betrachtung ist als unechte Rückwirkung zulässig. Die sich aus dem Grundsatz des Vertrauensschutzes und dem Verhältnismäßigkeitsprinzip ergebenden Grenzen sind hier nicht überschritten, zumal die Klägerin und der Beigeladene entgegen ihrer Verpflichtung nicht für die Aktualisierung der Gesellschafterliste Sorge getragen haben und selbst "irrtümlich" nicht von einer Beteiligung im Umfang von 50 vom Hundert an der Gesellschaft ausgegangen sind.

Die Berichte zu dem Verhandlungstermin des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in dem Terminbericht 10/23.

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