Bundessozialgericht

Verhandlung B 12 R 7/21 R

Versicherungs- und Beitragsrecht - Rentenversicherung - nicht erwerbsmäßig tätige Pflegeperson -  rückwirkende Beitragserhebung - Verjährungsbeginn - Säumniszuschläge 

Verhandlungstermin 13.03.2023 12:00 Uhr

Terminvorschau

Pflegekasse bei der AOK Rheinland-Pfalz/Saarland - Die Gesundheitskasse ./. Deutsche Rentenversicherung Bund, beigeladen: 1. M. I. E. H. A., 2. Deutsche Rentenversicherung Rheinland-Pfalz
Die Beigeladene pflegte als nicht erwerbsmäßig tätige Pflegeperson seit dem 11. Dezember 2001 ihre Tochter. Trotz mehrfacher Nachfragen machte die Beigeladene erst am 19. Dezember 2013 die für die Feststellung der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung notwendigen Angaben gegenüber der klagenden Pflegekasse. Daraufhin zahlte diese für die Zeit ab 1. August 2012 Rentenversicherungsbeiträge für die Beigeladene. Nach einer Prüfung bei der Klägerin forderte die beklagte Deutsche Rentenversicherung Bund durch Bescheid vom 29. Dezember 2014 unter anderem weitere Rentenversicherungsbeiträge für die Zeit vom 11. Dezember 2001 bis zum 30. November 2008 und diesbezüglich Säumniszuschläge für die Monate Februar, März und April 2014 (insgesamt 18 340,07 Euro). Die Klägerin erhob insoweit die Einrede der Verjährung.

Das Sozialgericht hat den Bescheid hinsichtlich der Beitragserhebung für den genannten Zeitraum und der insoweit festgesetzten Säumniszuschläge aufgehoben. Das Landessozialgericht hat das Urteil des Sozialgerichts geändert, die Klage betreffend die Beitragsforderung abgewiesen und die Berufung der Beklagten im Übrigen zurückgewiesen. Die Beitragsforderung sei nicht verjährt. Die Fälligkeit der Beiträge sei nach § 23 Absatz 1 Satz 6 in Verbindung mit Satz 7 SGB IV (in der Fassung vom 21. Dezember 2000) zum 15. Februar 2014 eingetreten. Erst aufgrund der notwendigen Angaben vom 19. Dezember 2013 habe die Klägerin die Versicherungspflicht der Beigeladenen feststellen können. Die Säumniszuschläge seien jedoch nicht zu zahlen. Der Klägerin sei ein vorsätzliches Verhalten nicht vorzuwerfen.

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin die Verletzung von § 23 Absatz 1 Satz 6 SGB IV. Diese Spezialregelung solle lediglich die Erhebung unverschuldeter Säumniszuschläge verhindern, aber nicht zu einem späteren Verjährungsbeginn führen. Sonst würden Pflegepersonen im Vergleich zu anderen versicherungspflichtigen Personen bevorzugt. Außerdem sei es widersinnig, wenn die Verjährung bei einer von der Pflegekasse verschuldet verzögerten Feststellung der Versicherungspflicht früher eintrete als bei einer unverschuldeten. Mit der Anschlussrevision rügt die Beklagte die Verletzung des § 24 Absatz 2 SGB IV. Der Erhebung von Säumniszuschlägen stehe nicht entgegen, dass die Klägerin wegen eines Rechtsirrtums unverschuldet keine Kenntnis von der Zahlungspflicht gehabt hätte. An die Klägerin als Sozialversicherungsträger seien höhere Anforderungen zu stellen, wenn es um die Bewertung rechtlicher Fragestellungen gehe, die sich eindeutig aus dem Gesetz ergebe.

Verfahrensgang:
Sozialgericht Speyer, S 11 R 416/16, 15.03.2018
Landessozialgericht Rheinland-Pfalz, L 2 R 130/18 , 24.08.2020

Sämtliche Vorschauen zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in der Terminvorschau 10/23.

Terminbericht

Die Revision der Klägerin hat der Senat zurückgewiesen, die Anschlussrevision der Beklagten hat hingegen Erfolg gehabt.

Die 2014 durch Verwaltungsakt für die Zeit vom 11.Dezember 2001 bis zum 30. November 2008 erhobene Beitragsforderung ist erst am 15. Februar 2014 fällig geworden und deshalb nicht verjährt. § 23 Absatz 1 Satz 6 SGB IV über die erstmalige Fälligkeit der Beiträge für versicherungspflichtige, nicht erwerbsmäßig tätige Pflegepersonen ist eine Sonderregelung (lex specialis) für sämtliche zwischen dem Eintritt und der Feststellung oder Feststellbarkeit der Versicherungspflicht entstandenen Beitragsansprüche. Diese Vorschrift bewirkt nicht allein den Schutz der Pflegekassen vor der Erhebung von Säumniszuschlägen bei verspäteter Mitwirkung der Pflegeperson. Sie hat als Regelung zur Fälligkeit auch Einfluss auf die Verjährung. Für dieses Verständnis sprechen ihr Wortlaut und die Gesetzessystematik. Den Gesetzesmaterialien lässt sich ein auf Säumniszuschläge begrenzter Anwendungsbereich nicht entnehmen. Die damit einhergehende Privilegierung von Pflegepersonen gegenüber anderen Versicherungspflichtigen ist sachlich gerechtfertigt. Durch die den Pflegekassen auferlegte Beitragstragung sollen die mit einer Pflegetätigkeit in der Erwerbsbiographie eintretenden Lücken möglichst vermieden werden. Bei dieser Rechtsauslegung werden weder schuldhaft handelnde Pflegekassen noch unzureichend mitwirkende Pflegepersonen unangemessen begünstigt. Einer schuldhaften Verzögerung der die Fälligkeit auslösenden Feststellung von Versicherungspflicht kann unter anderem durch das Prüfverfahren nach § 212a SGB VI entgegengewirkt werden. Diese Feststellung war hier aufgrund der im Dezember 2013 gemachten Angaben möglich.

Die Klägerin hat auch Säumniszuschläge zu zahlen. Sie hat nicht glaubhaft gemacht, unverschuldet keine Kenntnis von der Beitragszahlungspflicht gehabt zu haben. Auf einen unverschuldeten Rechtsirrtum über Bedeutung und Reichweite der Fälligkeitsregelung des § 23 Absatz 1 Satz 6 SGB IV kann sie sich nicht berufen.

Die Berichte zu dem Verhandlungstermin des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in dem Terminbericht 10/23.

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