Verhandlung B 5 R 36/21 R
Rentenversicherung - Kindererziehungszeiten - Beschäftigungszeiten - Polen - additive Berücksichtigung
Verhandlungstermin
05.04.2023 14:15 Uhr
Terminvorschau
Z.Z. ./. Deutsche Rentenversicherung Rheinland-Pfalz
Die Beteiligten streiten über die Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten.
Die 1946 in Polen geborene Klägerin brachte dort im Dezember 1971 ihre erste Tochter zur Welt. Am 1. August 1972 nahm sie eine Beschäftigung als angestellte Zahnärztin auf, für die Beiträge zur polnischen Rentenversicherung gezahlt wurden. 1983 reiste sie nach Deutschland aus und lebt seitdem hier. Zum Kreis der Vertriebenen, Spätaussiedler und weiteren Personen des § 1 des Fremdrentengesetzes gehört die Klägerin nicht.
Seit Oktober 2011 bezieht die Klägerin Regelaltersrente. Der beklagte Rentenversicherungsträger berechnete die Rente in Anwendung des deutsch-polnischen Abkommens über Renten- und Unfallversicherung vom 9. Oktober 1975. Bezogen auf die ältere Tochter wurden sieben Monate Pflichtbeitragszeiten wegen Kindererziehung vom 1. Januar bis zum 31. Juli 1972 berücksichtigt. Vom 1. August bis zum 31. Dezember 1972 wurden fünf Monate Pflichtbeitragszeiten wegen Beschäftigung anerkannt. Die Klägerin begehrte 2014 in einem Zugunstenverfahren nach § 44 SGB X die Berücksichtigung dieser fünf Monate sowohl als Beschäftigungs- als auch als Kindererziehungszeiten (additive Berücksichtigung). Die Beklagte lehnte den Überprüfungsantrag auch im Widerspruchsverfahren ab. Das Sozialgericht hat die Beklagte zur Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten auch in den streitbefangenen Monaten verurteilt. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht das Urteil des Sozialgerichts aufgehoben und die Klage abgewiesen. Im streitbefangenen Zeitraum fehle es an einer Kindererziehungszeit nach polnischem Recht, die gemäß Abkommensrecht in die deutsche Rentenversicherung einzugliedern sei. In Polen würden Kindererziehungszeiten während eines bestehenden Beschäftigungsverhältnisses nur berücksichtigt, wenn wegen der Kinderbetreuung unbezahlter Urlaub genommen werde. Es liege auch keine Überschneidung von Zeiten im Sinne des § Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 des Zustimmungsgesetzes zum deutsch-polnischen Abkommen über Renten- und Unfallversicherung vom 9. Oktober 1975 vor. Zu einer solchen Überschneidung komme es nur, wenn eine Abkommenszeit zugleich über § 28b Fremdrentengesetz als Kindererziehungszeit anzuerkennen sei.
Die Klägerin rügt mit ihrer vom Bundessozialgericht zugelassenen Revision eine Verletzung von Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 des Zustimmungsgesetzes zum deutsch-polnischen Abkommen über Renten- und Unfallversicherung vom 9. Oktober 1975 sowie von Artikel 3 Absatz 1 Grundgesetz. Es sei eine additive Berücksichtigung von in Polen zurückgelegten Beschäftigungs- und Kindererziehungszeiten erforderlich, so wie sie auch bei Zuwanderern erfolge, die zugleich Vertriebene oder Aussiedler seien.
Verfahrensgang:
Sozialgericht Koblenz, S 11 R 522/16, 28.02.2018
Landessozialgericht Rheinland-Pfalz, L 2 R 109/18, 23.11.2020
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Terminbericht
Die Revision der Klägerin ist erfolglos geblieben. Das Landessozialgericht hat zu Recht entschieden, dass die Klägerin die Gewährung einer höheren Regelaltersrente im Zugunstenverfahren unter Berücksichtigung weiterer Kindererziehungszeiten vom 1. August 1972 bis zum 31. Dezember 1972 nicht beanspruchen kann.
Welche in Polen zurückgelegten Zeiten bei Feststellung der Rente der Klägerin zu berücksichtigen sind, richtet sich noch nach Artikel 4 des deutsch-polnischen Abkommens über Renten- und Unfallversicherung vom 9. Oktober 1975. Danach bestimmt das polnische Recht der Rentenversicherung über die Anrechnungsfähigkeit der in Polen zurückgelegten Zeiten in der deutschen Rentenversicherung. Nach den bindenden Feststellungen des Landessozialgerichts wird die von der Klägerin im streitbefangenen Zeitraum ausgeübte Tätigkeit als angestellte Zahnärztin nach polnischem Recht ausschließlich als Beitragszeit berücksichtigt. Eine gleichzeitige Berücksichtigung als Zeit der Kindererziehung kommt nach polnischem Recht nicht in Betracht.
Für die Klägerin ergibt sich auch kein Anspruch aus Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 des Zustimmungsgesetzes zum deutsch-polnischen Abkommen von 1975. Soweit dort eine additive Berücksichtigung von Abkommens- und Kindererziehungszeiten vorgesehen ist, erfasst die Vorschrift nur Konstellationen, in denen sich Abkommenszeiten mit Kindererziehungszeiten überschneiden, die nach den deutschen Vorschriften zu berücksichtigen sind, insbesondere nach dem Fremdrentengesetz. Die von der Klägerin im streitbefangenen Zeitraum in Polen erbrachte Erziehungsleistung findet jedoch auch nach den deutschen Vorschriften keine Berücksichtigung als Kindererziehungszeit. Die Klägerin kann unter Berufung auf den allgemeinen Gleichheitssatz (Artikel 3 Absatz 1 Grundgesetz) insoweit keine Gleichbehandlung mit Versicherten verlangen, auf die das Fremdrentengesetz Anwendung findet. Der Gesetzgeber durfte zwischen dem durch das Fremdrentengesetz begünstigten Personenkreis und der Gruppe der übrigen Versicherten mit in Polen geleisteter Kindererziehung unterscheiden.
Sämtliche Berichte zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in dem Terminbericht 13/23.