Bundessozialgericht

Verhandlung B 3 KR 7/22 R

Krankenversicherung - häusliche Krankenpflege - Medikamentengabe - Anziehen von Kompressionsstrümpfen - Leistungserbringung - Einrichtung - Beiladung

Verhandlungstermin 19.04.2023 11:00 Uhr

Terminvorschau

E. ./. AOK - Die Gesundheitskasse, beigeladen: Landkreis Nienburg/Weser
Im Streit steht die Freistellung von Kosten für Leistungen der häuslichen Krankenpflege für die Zeit vom 4. Februar bis 31. März und vom 15. bis 29. April 2016.

Der bei der beklagten Krankenkasse versicherte Kläger lebte mit Bewilligung von Hilfe in sonstigen Lebenslagen durch den beigeladenen Sozialhilfeträger in einer auf diakonischer Grundlage geführten Einrichtung, die Leistungen für alleinstehende wohnungslose Männer in besonderen Schwierigkeiten erbringt. Für den streitbefangenen Zeitraum wurde ihm häusliche Krankenpflege für die Verabreichung von Medikamenten viermal täglich an sieben Tagen je Woche und für das Anziehen von Kompressionsstrümpfen einmal täglich an sieben Tagen je Woche ärztlich verordnet. Den Antrag auf Übernahme der Kosten des hiermit beauftragten Pflegedienstes lehnte die Beklagte ab.

Das Sozialgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landessozialgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen; die verordneten Maßnahmen seien von der Einrichtung zu erbringen gewesen. Die in der Leistungsvereinbarung enthaltenen "Hilfen bei der gesundheitlichen Grundversorgung" und die Verpflichtung zur Vorhaltung von Personal mit pflegerischer Ausbildung belegten, dass in der Einrichtung nach Art und Inhalt vergleichbare Eingliederungsleistungen im Sinne des Urteils des erkennenden Senats vom 25. Februar 2015 erbracht würden (Verweis auf B 3 KR 11/14 R - BSGE 118, 122). Unter anderem habe die Einrichtung für die Betreuung bei der gesundheitlichen Versorgung aufzukommen. Dass sie nicht über eine entsprechende sächliche und personelle Ausstattung verfüge, sei unbeachtlich. Bei dem Kläger liege auch keine besondere gesundheitliche Einschränkung vor, die eine Leistungserbringung durch speziell geschultes Kranken- beziehungsweise Pflegepersonal erforderlich mache und deren Kosten deshalb von der Beklagten zu tragen seien.

Mit seiner vom Senat auf Verfahrensrüge des Klägers zugelassenen Revision rügt er die Verletzung von § 75 Absatz 2 Sozialgerichtsgesetz. Die von der Entscheidung des Landessozialgerichts betroffene Einrichtung sei notwendig beizuladen, weil die Entscheidung der Beklagten, häusliche Krankenpflege unter Verweis auf deren Leistungspflicht zu verweigern, unmittelbar in deren Rechtssphäre eingreife.

Verfahrensgang:
Sozialgericht Hannover, S 50 KR 1678/16, 28.06.2019
Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, L 4 KR 316/19, 09.12.2021

Sämtliche Vorschauen zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in der Terminvorschau 14/23.

Terminbericht

Die Revision des Klägers war im Sinne der Aufhebung der Berufungsentscheidung und der Zurückverweisung der Sache an das Landessozialgericht erfolgreich. Der Beschluss des Landessozialgerichts leidet an einem von Amts wegen zu berücksichtigenden wesentlichen Verfahrensmangel. Ob der Kläger für die medizinisch erforderliche Unterstützung bei der Medikamenteneinnahme und dem Anziehen von Kompressionsstrümpfen auf die Versorgung durch die Einrichtung für wohnungslose Männer verwiesen werden konnte, in der er aufgenommen war, betrifft unmittelbar auch die Rechtsbeziehungen des Einrichtungsträgers zu den Beteiligten, weshalb neben dem Sozialhilfeträger auch er notwendig beizuladen war.

Dritte sind beizuladen, wenn sie an dem streitigen Rechtsverhältnis derart beteiligt sind, dass die Entscheidung auch ihnen gegenüber nur einheitlich ergehen kann ("echte" notwendige Beiladung). So liegt es, soweit eine Krankenkasse die Übernahme von Kosten für selbstbeschaffte Leistungen für häusliche Krankenpflege als Behandlungssicherungspflege mit Verweis auf die aus ihrer Sicht vorrangige Einstandspflicht einer Einrichtung der Eingliederungshilfe oder von vergleichbaren Eingliederungsleistungen ablehnt. Derartige Einstandspflichten bestehen nach der Rechtsprechung des Senats nach dem bis Ende 2019 geltenden Eingliederungshilferecht bei Maßnahmen der einfachsten Behandlungspflege, die keine medizinische Fachkunde erforderten und nach den Umständen des Einzelfalls zu den im Rahmen der Eingliederungshilfe wahrzunehmenden Aufgaben insbesondere der Hilfe zum Erwerb praktischer Kenntnisse und Fähigkeiten gerechnet werden konnten.

Sozialhilferechtlich bestimmt sich das im Dreiecksverhältnis zwischen Sozialhilfeträger, Leistungserbringer und Leistungsberechtigtem nach Maßgabe des zwischen Sozialhilfeträger und Leistungserbringer abgeschlossenen Vertrags, mit dem der Sozialhilfeträger im Verhältnis zum Leistungsberechtigten seiner Verpflichtung zur Verschaffung der diesem sozialhilferechtlich zustehenden Leistungen nachkommt. Soweit krankenversicherungsrechtlich die in einem solchen Vertrag ausgestaltete Leistungspflicht des Einrichtungsträgers nach dem bis Ende 2019 geltenden Eingliederungshilferecht maßgebend dafür ist, inwieweit die betreffende Einrichtung ein zur Erbringung von Leistungen der Behandlungssicherungspflege geeigneter Ort war, kann über den Anspruch auf Übernahme von Kosten für selbstbeschaffte häusliche Krankenpflegeleistungen nicht entschieden werden, ohne den Vertragsinhalt im Verhältnis zwischen Sozialhilfeträger und Einrichtungsträger verbindlich auch mit Wirkung für den Versicherten zu bestimmen. Das kann im Verhältnis zwischen Krankenkasse und Versichertem nicht anders erfolgen als in dem auf heimrechtlicher Grundlage bestehenden Rechtsverhältnis zwischen Einrichtung und Versichertem, der effektiven Rechtsschutz nur bei Beteiligung aller in Betracht kommender Leistungsverpflichteter am Rechtsstreit erlangen kann. Das nötigt zur Vermeidung divergierender Entscheidungen in einem etwaigen Streit zwischen Versichertem und Einrichtung über die Folgen einer - aus Sicht der beklagten Krankenkasse - unzureichenden Erfüllung von Pflichten des Einrichtungsträgers dem Versicherten gegenüber zur Beiladung des Einrichtungsträgers im Rechtsstreit des Versicherten mit der Krankenkasse auch dann, wenn dieser Streit wie vorliegend ausschließlich die Übernahme von Kosten für in der Vergangenheit erbrachte Maßnahmen der häuslichen Krankenpflege zum Gegenstand hat.

Sämtliche Berichte zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in dem Terminbericht 14/23.

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