Verhandlung B 3 P 2/22 R
Pflegeversicherung - stationäre Pflegeeinrichtung - Vergütung - Schiedsverfahren - Festsetzung von Pflegesätzen und Entgelten - Darlegungsanforderungen
Verhandlungstermin
19.04.2023 12:30 Uhr
Terminvorschau
A. u. P. z. B. GmbH ./. Niedersächsische Schiedsstelle für die Pflegeversicherung nach § 76 SGB XI, beigeladen: 1. Pflegekasse bei der AOK - Die Gesundheitskasse für Niedersachsen, vdek / Landesvertretung Niedersachsen, 3. Landkreis Vechta
Im Streit stehen Darlegungsanforderungen einer stationären Pflegeeinrichtung im Schiedsverfahren über Pflegesätze und Entgelte für die Zeit vom 1. April 2019 bis 31. März 2020.
Nach erfolglos gebliebenen Vergütungsverhandlungen setzte die beklagte Schiedsstelle die Pflegesätze und Entgelte für das von der klagenden Einrichtungsträgerin betriebene Alten- und Pflegezentrum abweichend von deren Ansätzen fest. Die Klägerin habe die prospektiven Gestehungskosten mit dem Verweis auf nur für einen Monat kurz vor Beginn der neuen Pflegesatzverhandlungen näher aufgeschlüsselte Personalkosten nicht plausibel und nachvollziehbar dargelegt. Offen geblieben sei, wann geltend gemachte Erhöhungen der Mitarbeiterentgelte umgesetzt worden seien. Nicht belegt sei, dass in der Kalkulation eingestellte Leiharbeit übergangsweise erforderlich sei und mit dem kalkulierten Mehrkostenanteil zum Tragen komme, weil sie lediglich für November 2018 nachgewiesen sei. Ableitungen der Kosten für Leitung und Verwaltung, Sachkostensteigerungen sowie Fremddienstleistungen seien nicht plausibel und nachvollziehbar dargelegt, weshalb Gewinnmargen bestehen könnten.
Das Landessozialgericht hat den Schiedsspruch aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, über den Antrag auf Festsetzung von Pflegesätzen und Entgelten erneut zu entscheiden. Zwar fehle es an einer plausiblen Darlegung der prospektiven Personal- und Sachkosten. Bezogen auf den Vorvereinbarungszeitraum mangele es an aussagekräftigen und belastbaren Belegen zu tatsächlichen Lohnzahlungen sowie Angaben zur an die Zentralverwaltung erbrachten Umlage, zu den Kosten für Fremdleistungen und den auf Leiharbeitskräften, möglicherweise aber auch auf anderen Sachverhalten beruhenden Betriebsverlusten. Jedoch hätte die Beklagte die von ihr für erforderlich gehaltenen Unterlagen zur Plausibilisierung der Vergütungsforderung konkretisieren und der Klägerin Gelegenheit geben müssen, diese binnen einer angemessenen Frist vorzulegen.
Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision rügt die Klägerin einen Verstoß insbesondere gegen § 85 Absatz 3 SGB XI. Auf der Grundlage des Urteils des erkennenden Senats vom 26. September 2019 (Verweis auf B 3 P 1/18 R - BSGE 129, 116) habe das Landessozialgericht zu Unrecht in die Plausibilitätsprüfung bereits eine Angemessenheitsprüfung “integriert“. Die vom Gesetzgeber geforderte Prospektivität der Pflegesätze stehe dem Ansatz der Schiedsstelle, eine "vertiefende Prüfung der Kostenstruktur" der Klägerin vorzunehmen und ihre Wirtschaftlichkeit und Leistungsfähigkeit für den vorausgegangenen Pflegesatzzeitraum festzustellen, entgegen. Der Streitgegenstand sei auf die strittigen Leasingkosten für Pflegekräfte und die Bemessung eines angemessenen Risikozuschlags beschränkt.
Verfahrensgang:
Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, L 12/15 P 51/19 KL, 25.03.2021
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Terminbericht
Die Revision der Klägerin war erfolglos. Zutreffend hat das Landessozialgericht entschieden, dass die dem Schiedsspruch der Beklagten zu Grunde liegenden Anforderungen an die Plausibilisierung der von der Klägerin geltend gemachten Gestehungskosten nicht zu beanstanden sind.
Im Schiedsverfahren über Pflegevergütungen nach dem SGB XI hat sich die Schiedsstelle nach der Rechtsprechung des Senats im Rahmen ihrer Letztverantwortung im Hinblick auf die Bindungswirkung für die weder an Vertragsverhandlungen noch am Schiedsverfahren beteiligten Pflegeversicherten grundsätzlich von allen Umständen (selbst) zu überzeugen, die für die Leistungsgerechtigkeit und Angemessenheit der von ihr festgesetzten Pflegesätze und Entgelte bedeutsam sind. Das erfordert von der Schiedsstelle die eigene Überzeugung, dass die festgesetzten Pflegesätze und Entgelte auch im Vergleich mit den Ansätzen anderer vergleichbarer Einrichtungen als leistungsgerecht beziehungsweise angemessen anzusehen sind und auf zutreffend ermittelten voraussichtlichen Gestehungskosten beruhen, die den Grundsätzen wirtschaftlicher Betriebsführung entsprechen und der Pflegeeinrichtung erlauben, ihren Versorgungsauftrag zu erfüllen. Deshalb tritt die Verantwortung der Schiedsstelle im Schiedsverfahren über Pflegevergütungen nach dem SGB XI für das Ergebnis ihrer Entscheidung nicht deshalb oder in dem Maße zurück, weil oder soweit die Vertragspartner selbst vor Anrufung der Schiedsstelle in einzelnen Fragen Verständigungen erzielt haben; insoweit unterscheidet sich das Verfahren hier von anderen Schiedsverfahren nach dem SGB.
Inwieweit einer Schiedsstelle im Rahmen dieser Überzeugungsbildung die von der Einrichtung nach Maßgabe der pflegeversicherungsrechtlichen Anforderungen vorzulegenden Nachweise zur Plausibilisierung der voraussichtlichen Gestehungskosten ausreichen oder nicht ausreichen, unterliegt ihrer gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbaren Einschätzung nach Maßgabe des Untersuchungsgrundsatzes. Bei der abschließenden Bewertung darf die Schiedsstelle deshalb einerseits von weiteren Ermittlungen absehen, wenn sie am Vorbringen einer Pflegeeinrichtung weder selbst Zweifel haben muss noch auf solche substantiiert hingewiesen wird; insoweit hält der Senat an letztens formulierten strengeren Anforderungen nicht vollständig fest. Andererseits ist es gerichtlich ebenfalls nicht zu beanstanden, wenn eine Schiedsstelle von einer Einrichtung weitergehende Nachweise gestützt auf Gründe fordert, die nicht als Ermessensfehlgebrauch anzusehen sind.
Ein solcher ist hier nicht ersichtlich. Wie der Senat bereits vor längerem entschieden hat, müssen die von einer Pflegeeinrichtung geltend gemachten voraussichtlichen Gestehungskosten plausibel und nachvollziehbar sein, also deren Kostenstruktur erkennen lassen und eine Beurteilung ihrer Wirtschaftlichkeit und Leistungsfähigkeit im Einzelfall zulassen. Dafür reicht die Vorlage einer reinen Kostenkalkulation ohne weitere Angaben in aller Regel nicht aus; diese ist vielmehr hinreichend zu belegen und muss tatsächlich nachvollziehbar sein. Dass die Aufforderung der Beklagten angesichts eines über die Lohnsteigerungsrate hinausreichenden Vergütungsbegehrens der Klägerin zur Vorlage weiterer Unterlagen insbesondere im Hinblick auf den anteiligen Kostenansatz für zwei Leiharbeitskräfte für den gesamten Vereinbarungszeitraum und zur Klärung offen gebliebener Fragen zum Zeitpunkt von Gehaltsanhebungen als ermessensmissbräuchlich anzusehen wäre, vermag der Senat auch unter Berücksichtigung des Revisionsvorbringens hiernach nicht zu erkennen.
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