Bundessozialgericht

Verhandlung B 3 P 6/22 R

Pflegeversicherung - stationäre Pflegeeinrichtung - Vergütung - Schiedsverfahren - Festsetzung von Pflegesätzen und Entgelten - Prüfung

Verhandlungstermin 19.04.2023 12:30 Uhr

Terminvorschau

Kreis Schleswig-Flensburg ./. Schiedsstelle für Angelegenheiten des Pflege-Versicherungsgesetzes für das Land Schleswig-Holstein, beigeladen: 1. Pflegekasse bei der AOK NORDWEST - Die Gesundheitskasse, 2. Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau in der Arbeitsgemeinschaft Pflegeeinrichtungen - AG Pflege, 3. Verband der Ersatzkassen e.V. - vdek Landesvertretung Schleswig-Holstein, 4. A. Erste SE & Co. KG
Im Streit steht ein Schiedsspruch über Pflegesätze und Entgelte einer stationären Pflegeeinrichtung für die Zeit vom 1. April 2019 bis 29. Februar 2020.

Im Rahmen ihrer Vergütungsverhandlungen verständigten sich die Vertragspartner über die für den streitbefangenen Zeitraum zu Grunde zu legenden Gestehungskosten, nicht aber über die Vergütung des unternehmerischen Risikos der zu 4 beigeladenen Pflegeeinrichtungsträgerin. Nur die beigeladenen Pflegekassen beziehungsweise deren Verbände und die Beigeladene zu 4 schlossen eine Vergütungsvereinbarung, wonach den Pflegesätzen ein Zuschlag in Höhe von 4,96 % der pflegebedingten Aufwendungen als Vergütung des Unternehmerrisikos zu Grunde gelegt wurde. Dem widersprach der klagende Sozialhilfeträger und beantragte eine Entscheidung durch die beklagte Schiedsstelle.

Die Beklagte setzte die Pflegesätze und Entgelte entsprechend der Vereinbarung fest. Das unternehmerische Wagnis bewertete sie entsprechend der so genannten lEGUS-Studie im Ausgangspunkt mit 4,96 %. In einem weiteren Schritt subtrahierte sie für einen einrichtungsspezifischen Zuschlag des Unternehmerrisikos von dem durch den pauschalen 4,96 %-Zuschlag ermittelten Wert den durch eine höhere Auslastung möglichen Überschuss der Einrichtung und rechnete den dabei entstehenden Wert in eine Prozentzahl auf den Umsatz nur der allgemeinen Pflegeleistungen um.

Das Landessozialgericht hat den Schiedsspruch aufgehoben und die Beklagte verurteilt, einen neuen Schiedsspruch unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu erlassen. Der Schiedsspruch verstoße gegen zwingende verfahrensrechtliche Vorgaben. Die Beklagte habe nicht geprüft, ob die Beigeladene zu 4 die nach heimrechtlichen Vorschriften vorgesehene Stellungnahme der Interessenvertretung der Bewohnerinnen und Bewohner eingeholt und der Aufforderung zu Pflegesatzvertragsverhandlungen beigefügt habe. Unter Überschreitung des Beurteilungsspielraums und Verkennung der eigenen Amtsermittlungspflicht habe sie eine Gewinnmarge zugunsten der Einrichtung losgelöst von einer Angemessenheitsprüfung der prospektiven Gestehungskosten und einem externen Vergleich festgesetzt. Auch bei der konkreten Bemessung des grundsätzlich zustehenden Gewinnzuschlags habe sie ihren Beurteilungsspielraum überschritten, weil der pauschale Gewinnzuschlag durch die Berücksichtigung der Auslastungsquote lediglich vermindert werde.

Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision rügt die Beigeladene zu 4 Verfahrensfehler und einen Verstoß insbesondere gegen die §§ 84, 85 SGB XI. Bereits verhandelte und zwischen den Vertragspartnern unstrittige Kostenpositionen müsse die Schiedsstelle nicht erneut eigenständig prüfen. Zu Unrecht werde die Plausibilitätsprüfung der Gestehungskosten mit der angemessenen Vergütung des Unternehmerrisikos verknüpft und unterstellt, dass bestimmte Faktoren eines Gewinns vorab "herausgerechnet" werden müssten. Eine Schiedsstelle könne den Risikozuschlag im Rahmen ihrer Einschätzungsprärogative auf der Basis von Studien erarbeiten und festlegen. Ein externer Vergleich auf der Basis von Endentgelten statt auf der Kostenebene könne systemimmanent keine Aussagen zur Berücksichtigung von Kosten bei wirtschaftlicher Betriebsführung treffen und entspreche nicht den Grundsätzen der §§ 84, 85 SGB XI.

Verfahrensgang:
Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, L 8 P 14/20 KL, 20.09.2021 

Sämtliche Vorschauen zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in der Terminvorschau 14/23.

Terminbericht

Die Revision der beigeladenen Pflegeeinrichtung war nur zum Teil begründet. Zwar ist dem Landessozialgericht nicht zu folgen, soweit es den Ansatz der Beklagten zur Bestimmung einer angemessenen Vergütung des Unternehmerrisikos der Beigeladenen im Kern als unvereinbar mit bundesrechtlichen Vorgaben des SGB XI angesehen hat. Zu Recht hat das Landessozialgericht der Beklagten jedoch aufgegeben, ihre Bemessungsansätze abschließend mit den Vergütungen anderer Einrichtungen zu vergleichen, was dem streitbefangenen Schiedsspruch nicht hinreichend deutlich zu entnehmen ist.

Über die Bemessung der angemessenen Gewinnchance einer Pflegeeinrichtung als Teil ihrer Pflegevergütung hat eine Schiedsstelle nach pflichtgemäßem Ermessen ohne Bindung an ein bestimmtes bundesrechtlich vorgegebenes Verfahren zu entscheiden. Der Senat war schon 2013 davon ausgegangen, dass es im Streitfall von den Vertragspartnern grundsätzlich hinzunehmen ist, wenn die Schiedsstelle im Rahmen ihres Beurteilungsspielraums nach ihrem Ermessen in vertretbarer Weise mit der Festsetzung der Pflegevergütung zugleich die Grundlage für die Realisierung von Gewinnaussichten setzt. Dies könne entweder über einen festen umsatzbezogenen Prozentsatz geschehen oder auch über die Auslastungsquote gesteuert werden, sofern diese im Vergleich mit den anderen Einrichtungen im jeweiligen Bezugsraum so realistisch angesetzt ist, dass sie bei ordnungsgemäßer Betriebsführung zu einem angemessenen Unternehmensgewinn führen kann. Diese Sichtweise hat sich der Gesetzgeber des PSG III bei der Ergänzung des § 84 Absatz 2 Satz 4 SGB XI um die Wendung „unter Berücksichtigung einer angemessenen Vergütung ihres Unternehmerrisikos“ ausdrücklich zu eigen gemacht und von näheren Vorgaben dazu weiter abgesehen. Dieser Offenheit müssen Gerichte im sozialgerichtlichen Verfahren Rechnung tragen, solange eine Schiedsstelle nicht erkennbar missbräuchlich von ihr Gebrauch macht.

Dafür ist hier nichts zu erkennen. Dennoch hat das Landessozialgericht den Schiedsspruch der Beklagten im Ergebnis zu Recht aufgehoben und sie zur Neubescheidung des Schiedsantrags des Klägers verurteilt, weil dem Schiedsspruch nicht hinreichend zu entnehmen ist, inwieweit die Beklagte die von ihr festgesetzten Pflegesätze und Entgelte einem abschließenden Vergleich mit den Sätzen anderer Einrichtungen unterzogen hat.

Sämtliche Berichte zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in dem Terminbericht 14/23.

Hinweis zur Verwendung von Cookies

Wir verwenden ausschließlich Sitzungs-Cookies, die für die einwandfreie Funktion unserer Webseite erforderlich sind. Mit der Nutzung unserer Dienste erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir diese Cookies einsetzen. Unsere Informationen zum Datenschutz erhalten Sie über den Link Datenschutz.

OK