Bundessozialgericht

Verhandlung B 7/14 AS 69/21 R

Grundsicherung für Arbeitsuchende - kommunaler Träger - Staatsbeamte - Bayern - Personalkostenerstattung - Bund

Verhandlungstermin 25.04.2023 12:30 Uhr

Terminvorschau

Kommunales Jobcenter Günzburg ./. Bundesrepublik Deutschland
Der Kläger - ein zugelassener kommunaler Träger - begehrt von der Bundesrepublik Deutschland (Beklagte) die Zahlung weiterer Personalkosten in Höhe von nunmehr noch rund 176.500 Euro für den Einsatz von Staatsbeamten des Freistaats Bayern bei der Durchführung der Aufgaben der Grundsicherung für Arbeitsuchende in den Jahren 2016 bis 2018.

Die Beklagte gewährleistete - zunächst mittels monatlicher Abschläge - unter anderem die Deckung von Personal- und Verwaltungskosten des Klägers, die dieser anlässlich der Durchführung der Grundsicherung für Arbeitsuchende geltend gemacht hatte. Die endgültige Mittelzuweisung erfolgte nach einer anschließenden Spitzabrechnung durch den Kläger. In diesem Zusammenhang berechnete der Kläger 84,8 % seiner Personalkosten als erstattungsfähigen Aufwand. In die Berechnung bezog er dabei neben dem in seinem Jobcenter beschäftigten eigenen Personal auch zwei bayerische Staatsbeamte ein, die er als Sachbearbeiter eingesetzt hatte. Letztere hatte der Freistaat Bayern dem Landkreis zugewiesen und trug auch die Kosten für deren Einsatz dort. Die auf dieser Basis jeweils erfolgte Spitzabrechnung blieb von 2012 bis 2016 unbeanstandet.

Erstmals für das Jahr 2017 lehnte die Beklagte den Ersatz der Personalkosten für einen eingesetzten Staatsbeamten in Höhe von rund 46.000 Euro ab. Für 2018 beanstandete sie die beantragte Kostenübernahme für zwei Staatsbeamte in Höhe von circa 87.000 Euro und forderte für 2016 Personalkosten in Höhe von rund 44.000 Euro für einen Staatsbeamten zurück. Letzterem kam der Kläger unter Vorbehalt und ohne Anerkennung einer Rechtspflicht nach.

Mit seiner zum Bayerischen Landessozialgericht erhobenen Klage, zunächst gerichtet auf Ersatz weiterer Personalkosten für das Jahr 2017 und später erweitert um die benannten Beträge für die Jahre 2016 und 2018 nebst Zinsen, ist der Kläger im Wesentlichen erfolgreich gewesen. Zur Begründung hat das Landessozialgericht ausgeführt, die Beklagte habe auch Kosten für im Vollzug des SGB II eingesetzte Staatsbeamte zu ersetzen. Dies folge aus § 6b Absatz 2 SGB II. Danach trägt der Bund die Aufwendungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende einschließlich der Verwaltungskosten mit Ausnahme der Aufwendungen für Aufgaben nach § 6 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 SGB II. Was unter "Aufwendungen" im Sine dieser Vorschrift zu verstehen sei, folge aus verfassungsrechtlichen Vorgaben, insbesondere Artikel 91e Absatz 2 Satz 2, Artikel 104a und Artikel 106 Grundgesetz. Zwar könne der zugelassene kommunale Träger finanzverfassungsrechtlich keine konkreten Kosten für einen bayerischen Staatsbeamten vom Bund erstattet verlangen. Anderes gelte jedoch für die eines vergleichbaren kommunalen Beamten, der für den im Vollzug des SGB II tätigen Staatsbeamten hätte eingesetzt werden können. Denn Personalauswahl und -einsatz unterfielen als Teil der Organisationshoheit der Gemeinden und Gemeindeverbände - auch bei übertragenem Wirkungskreis - der Verfassungsgarantie des Artikel 28 Absatz 2 Grundgesetz. Hieraus folge, dass der zugelassene kommunale Träger dem Bund Kosten für kommunale Bedienstete in Rechnung stellen können müsse, die (fiktiv) anstelle der eingesetzten Staatsbeamten für den Vollzug des SGB II oder kommunaler beziehungsweise Staatsaufgaben hätten tätig werden können; sogenannte mittelbare Kosten. Die Regelungen der Kommunalträger-Abrechnungsverwaltungsvorschrift (KoA VV) seien nicht geeignet, diesen gesetzlichen Zahlungsanspruch einzuschränken oder auszuschließen.

Mit ihrer Revision rügt die Beklagte die Verletzung von § 6b Absatz 2 Satz 1 SGB II, Artikel 91e Absatz 2 Satz 2 Grundgesetz und Artikel 104a Absatz 1 Grundgesetz. Der Kläger habe hinsichtlich der Staatsbeamten keine Ausgaben gehabt. Nach § 6b Absatz 2 Satz 1 SGB II und Artikel 104a Absatz 1 Grundgesetz könnten nur konkrete Ausgaben berücksichtigt werden. Etwas anderes ergebe sich nicht aus Artikel 28 Absatz 2 Satz 2 Grundgesetz.

Verfahrensgang:
Bayerische Landessozialgericht, L 7 AS 707/19 KL, 28.09.2021

Sämtliche Vorschauen zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in der Terminvorschau 15/23.

Terminbericht

Die Beklagte war mit ihrer Revision erfolgreich - das Urteil des Landessozialgerichts war aufzuheben. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Ersatz der Personalkosten für den Einsatz von Staatsbeamten des Freistaats Bayern bei der Durchführung der Aufgaben der Grundsicherung für Arbeitsuchende in den Jahren 2016 bis 2018. Dem zugelassenen kommunalen Träger sind hierdurch keine Aufwendungen im Sinne des § 6b Absatz 2 Satz 1 SGB II entstanden, die vom Bund zu ersetzen wären.

Nach § 6b Absatz 2 Satz 1 SGB II trägt der Bund die Aufwendungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende einschließlich der Verwaltungskosten mit Ausnahme der Aufwendungen für Aufgaben nach § 6 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 SGB II. Verwaltungskosten im Sinne der Vorschrift sind auch Personalkosten. Tatsächliche Aufwendungen sind dem Kläger durch den Einsatz der Staatsbeamten nicht entstanden. Sie werden den Gemeinden oder Gemeindeverbänden durch den Freistaat Bayern kostenfrei zugewiesen. Aber auch mittelbare oder fiktive Aufwendungen des zugelassenen kommunalen Trägers insoweit sind vom Bund nicht zu übernehmen. Denn Aufwendungen im Sinne des § 6b Absatz 2 Satz 1 SGB II sind im Grundsatz nur solche, die mit einer “echten“ Ausgabe für das zum Vollzug des SGB II eingesetzte Personal auf Seiten des zugelassenen kommunalen Trägers verbunden sind. Dies folgt aus der Entstehungsgeschichte der Vorschrift, ihrem Sinn und Zweck, folgend den verfassungsrechtlichen Vorgaben der Artikel 91e und 104a Grundgesetz sowie der Ausformung der Abrechnungsmodalitäten zwischen dem Bund und den zugelassenen kommunalen Trägern durch die Kommunalträger-Abrechnungs-verwaltungsvorschrift (KoA-VV).

Derartige Ausgaben des Klägers sind bei dem Einsatz von Staatsbeamten im Rahmen der Aufgabenwahrnehmung des SGB II nicht entstanden. Personalkosten, die für Kommunalbeamte anfallen würden, welche - hätte das Land keine Staatsbeamten zugewiesen - bei dem zugelassenen kommunalen Träger hätten eingesetzt werden können, sind nicht im Vollzug des SGB II entstanden. Dies gilt auch, soweit der Kläger geltend macht, anstelle der Staatsbeamten hätte er kommunale Mitarbeiter mit anderen Aufgaben betrauen müssen.

Auch verletzt diese Gesetzesauslegung nicht Artikel 28 Absatz 2 Grundgesetz. Das Recht der Gemeinden oder Gemeindeverbände, ihnen zugewiesene Aufgaben eigenverantwortlich zu regeln, wird nicht dadurch verletzt, dass dem zugelassenen kommunalen Träger der Ersatz von Personalkosten verwehrt wird, die nicht bei ihm, sondern bei Dritten entstehen, auch wenn das Personal für die Erledigung von Aufgaben nach dem SGB II eingesetzt wird. Eine eigenständige organisatorische Gestaltungsfähigkeit der Kommune wird dadurch nicht erstickt.

Eine Verletzung des interkommunalen Gleichbehandlungsgebots ist damit ebenso wenig verbunden. In dem Abstellen allein auf Ausgleich von Aufwendungen einschließlich Verwaltungsaufwendungen, die im Vollzug des SGB II tatsächlich anfallen, liegt ein nachvollziehbares und sachgerechtes Differenzierungskriterium.

Sämtliche Berichte zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in dem Terminbericht 15/23.

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