Verhandlung B 1 KR 14/22 R
Krankenversicherung - Krankenhausvergütung - landesrechtliches Aufrechnungsverbot - Nordrhein-Westfalen
Verhandlungstermin
11.05.2023 11:00 Uhr
Terminvorschau
Gegenstand der Verfahren B 1 KR 32/21 R, B 1 KR 5/22 R, B 1 KR 14/22 R, B 1 KR 38/22 R und B 1 KR 42/22 R ist jeweils die Wirksamkeit von Aufrechnungen durch Krankenkassen unter dem Gesichtspunkt der Aufrechnungsbefugnis
In den zur Verhandlung anstehenden fünf Verfahren machen Träger von Krankenhäusern gegen Krankenkassen Vergütungsansprüche geltend, deren Bestehen nicht streitig ist. Die jeweils beklagten Krankenkassen haben hiergegen die Aufrechnung mit Erstattungsansprüchen erklärt. Die Krankenhausträger vertreten in den Klageverfahren die Auffassung, ihre Forderungen seien nicht durch Aufrechnung erloschen, da in den jeweiligen Landesverträgen nach § 112 SGB V ein Aufrechnungsverbot wirksam vereinbart worden sei. Die Krankenkassen wenden ein, die landesvertraglichen Aufrechnungsverbote seien wegen Verstoßes gegen höherrangiges Recht unwirksam.
S. K. D. GmbH ./. VIACTIV BKK
Das Krankenhaus behandelte einen Versicherten der Krankenkasse im Jahr 2015 stationär. Die Krankenkasse zahlte die in Rechnung gestellte Vergütung. Sie rechnete später einen Betrag von 34.608,59 Euro gegen unstreitige Vergütungsansprüche des Krankenhauses mit der Begründung auf, insbesondere sei eine andere Prozedur zu kodieren und eine erlösrelevante Nebendiagnose zu streichen. Hierdurch ergebe sich eine geringer vergütete Fallpauschale.
Das Sozialgericht hat die Krankenkasse zur Zahlung der Vergütung in Höhe des aufgerechneten Betrages nebst Zinsen verurteilt. Das Landessozialgericht hat die Berufung der Krankenkasse zurückgewiesen. Der Vergütungsanspruch aus den unstreitigen Behandlungsfällen sei nicht durch Aufrechnung erloschen. Dem stehe das sich aus § 15 Absatz 4 des nordrhein-westfälischen Landesvertrages über die allgemeinen Bedingungen der Krankenhausbehandlung ergebende, wirksame Aufrechnungsverbot entgegen.
Mit ihrer Revision rügt die Beklagte die Verletzung von § 76 Absatz 1 SGB IV, § 71 Absatz 1, § 112 Absatz 2 Satz 1 Nummer 1 und § 109 SGB V sowie § 69 Absatz 1 Satz 3 SGB V in Verbindung mit §§ 387 ff BGB.
Verfahrensgang:
Sozialgericht Duisburg, S 59 KR 1987/19- 24.08.2020
Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, L 11 KR 637/20, 22.12.2021
Die Vorschau zu dem Verhandlungstermin des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in der Terminvorschau 16/23.
Terminbericht
Der Senat hat im Verfahren B 1 KR 14/22 R über die Wirksamkeit von Aufrechnungen nach einem Landesvertrag über die allgemeinen Bedingungen der Krankenhausbehandlung gemäß § 112 SGB V entschieden. In den übrigen Verfahren haben die Krankenkassen die Revision zurückgenommen (B 1 KR 32/21 R, B 1 KR 5/22 R, B 1 KR 38/22 R, B 1 KR 42/22 R).
Die Revision der Krankenkasse hatte keinen Erfolg. Der Vergütungsanspruch des Krankenhauses ist nicht durch Aufrechnung mit einer Erstattungsforderung der Krankenkasse erloschen. Dem stand gemäß dem nordrhein-westfälischen Landesvertrag eine Aufrechnungsbeschränkung entgegen.
Die Vereinbarung in dem nordrhein-westfälischen Landesvertrag über die allgemeinen Bedingungen der Krankenhausbehandlung, welche die Aufrechnung gegen Vergütungsforderungen des Krankenhauses verbietet, war im Jahr 2015 außerhalb des Anwendungsbereichs der Prüfverfahrensvereinbarung mit höherrangigem Recht vereinbar. Rechtsgrundlage hierfür ist § 112 Absatz 1 und Absatz 2 Satz 1 Nummer 1b SGB V. Die Vorschrift ermächtigt die Vertragspartner unter anderem, die Abrechnung der Entgelte zu regeln, was die Vereinbarung eines Aufrechnungsverbots einschließt. § 9 Prüfverfahrensvereinbarung 2014, der eine vorrangige Aufrechnungsbefugnis enthält, war vorliegend nicht anwendbar, da die Prüfung nicht in den Anwendungsbereich der Prüfverfahrensvereinbarung 2014 fiel. Gegenstand war allein eine sachlich-rechnerische Prüfung.
Der Grundsatz der Beitragssatzstabilität (§ 71 Absatz 1 Satz 1 SGB V) sowie die Verpflichtung der Krankenkasse, Einnahmen rechtzeitig und vollständig zu erheben (§ 76 Absatz 1 SGB IV), stehen der Wirksamkeit des landesvertraglichen Aufrechnungsverbots nicht entgegen, da die anderweitige Durchsetzung der Ansprüche hierdurch nicht verhindert wird. Allerdings kann bei einer wirtschaftlichen Krise des Krankenhausträgers oder seiner Insolvenz eine Aufrechnung die Liquidierung von Gegenansprüchen der Krankenkassen erleichtern und sichern. Das Aufrechnungsverbot ist jedoch vor dem Hintergrund der Vorleistungspflicht des Krankenhauses zu betrachten. Es bietet den Vertragsparteien die Möglichkeit, das kompensatorische Beschleunigungsgebot zu stärken. Die Verständigung der Vertragsparteien auf ein Aufrechnungsverbot ist unter Abwägung der sich aus § 71 Absatz 1 Satz 1 SGB V und § 76 Absatz 1 SGB IV ergebenden gewichtigen Interessen der Krankenkassen zwar nicht rechtlich geboten, aber ebenso wenig rechtlich zu beanstanden. Der Grundsatz der Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit (§ 4 Absatz 4 SGB V) bezieht sich nur auf die Betriebs- und Haushaltsführung der Krankenkassen. Ebenfalls steht das allgemeine Wirtschaftlichkeitsgebot (§§ 2 Absatz 1 Satz 1 und Absatz 4, 12 Absatz 1, 70 Absatz 1 Satz 2 SGB V) der Vereinbarung von Aufrechnungsverboten nicht entgegen, da Ansprüche der Krankenkassen dadurch weder aufgegeben werden noch deren Durchsetzung vereitelt wird. Eine Einschränkung des Gestaltungsspielraums ergibt sich schließlich nicht aus der entsprechenden Anwendung zivilrechtlicher Vorschriften (§ 69 Absatz 1 Satz 3 SGB V in Verbindung mit §§ 134, 138, 242 BGB).
Auch stellt es grundsätzlich keine unzulässige Rechtsausübung dar, wenn sich das Krankenhaus auf das vertragliche Aufrechnungsverbot beruft, selbst wenn die Gegenforderung der Krankenkasse vom Krankenhaus nicht bestritten wird.
Sämtliche Berichte zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in dem Terminbericht 16/23.