Verhandlung B 4 AS 5/22 R - ohne mündliche Verhandlung
Grundsicherung für Arbeitsuchende - private Krankenversicherung - Wechsel in Basistarif - Härtefallmehrbedarf - Rentennähe - Unbilligkeitsverordnung
Verhandlungstermin
06.06.2023 00:00 Uhr
Terminvorschau
R.M. ./. Jobcenter Berlin Mitte
Der Kläger bezog seit 2014 Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II. Seit dem 1. März 2018 bezieht er eine Altersrente. Er war im streitbefangenen Zeitraum (1. September 2017 bis 28. Februar 2018) in einem Tarif privat krankenversichert, für den er höhere Beiträge als bei einer Versicherung im Basistarif zu entrichten hatte. Der Beklagte gewährte dem Kläger für die Zeit vom 1. September 2017 bis zum 28. Februar 2018 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts einschließlich eines Zuschusses zu den Beiträgen zur Krankenversicherung in Höhe des Beitrags, den der Kläger als SGB II-Leistungsbezieher zu entrichten hätte, wenn er bei seiner privaten Krankenversicherung im Basistarif versichert wäre. Das Sozialgericht hat die auf höhere Leistungen gerichtete Klage abgewiesen, das Landessozialgericht die Berufung des Klägers zurückgewiesen.
Hiergegen richtet sich die vom Senat zugelassene Revision des Klägers. Er rügt eine Verletzung der Härtefallregelung des § 21 Absatz 6 SGB II. Bei dem Beitrag zur privaten Krankenversicherung handele es sich um einen im Einzelfall gegebenen besonderen Bedarf, der unabweisbar und seiner Höhe nach erheblich gewesen sei. Ein Wechsel in den Basistarif sei ihm nicht zumutbar gewesen, weil er nahe an der Grenze zum Bezug einer Altersgrenze gestanden habe. Ein Wechsel in den Basistarif hätte zur Folge gehabt, dass er dauerhaft und insbesondere auch nach Beginn des Rentenbezugs im Basistarif “gefangen“ wäre. Die Erwägungen des Verordnungsgebers in §§ 3 und 6 Unbilligkeitsverordnung zur Unzumutbarkeit einer Inanspruchnahme einer Rente mit Abschlägen seien auf die hiesige Konstellation zu übertragen. Hilfsweise müssten §§ 3 und 6 Unbilligkeitsverordnung analog angewendet werden.
Verfahrensgang:
Sozialgericht Berlin, S 140 AS 9989/17, 30.04.2019
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, L 10 AS 802/19, 20.04.2021
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Terminbericht
Der Senat hat die Revision des Klägers zurückgewiesen, da dieser keinen Anspruch auf höhere Leistungen nach dem SGB II hat. Der Anspruch aus § 26 Absatz 1 Satz 1 SGB II auf einen Zuschuss zur privaten Krankenversicherung ist auf den Betrag begrenzt, den der Leistungsberechtigte zahlen müsste, wenn er bei seinem privaten Krankenversicherungsunternehmen im Basistarif versichert wäre. § 26 Absatz 1 Satz 1 SGB II stellt die Begrenzung des Beitragszuschusses auch nicht unter den Vorbehalt, dass dem Leistungsberechtigten ein Wechsel in den Basistarif zumutbar ist. Dass der Kläger nicht von der Neufassung des § 204 Absatz 2 Versicherungsvertragsgesetz mit Wirkung zum 23. Mai 2020 und der dadurch ermöglichten Rückkehr in einen Normaltarif nach vorherigem Wechsel in den Basistarif profitiert, entspricht der mit jeder Stichtagsregelung verbundenen, nicht zu beanstandenden Härte.
Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf einen Härtefallmehrbedarf aus § 21 Absatz 6 SGB II. Der Anwendungsbereich der Norm ist nicht eröffnet; § 26 Absatz 1 Satz 1 SGB II ist insoweit vorrangig und abschließend. § 21 Absatz 6 SGB II dient dazu, Bedarfe zu erfassen, die aufgrund ihres individuellen Charakters bei der pauschalierenden Regelbedarfsbemessung der Art oder der Höhe nach nicht erfasst werden können. An der Notwendigkeit und damit an der Rechtfertigung für einen Rückgriff auf die Härtefallklausel fehlt es, wenn der Gesetzgeber die Deckung bestimmter Bedarfe - wie hier - außerhalb des Regelbedarfs gesondert geregelt hat. Vor diesem Hintergrund kommt es auf die vom Kläger aufgeworfene Frage, ob und in welcher Weise die Regelungen der §§ 3 und 6 Unbilligkeitsverordnung bei der Anwendung des § 21 Absatz 6 SGB II im hiesigen Kontext zu berücksichtigen sind, nicht an.
Den Bericht zu dem Verhandlungstermin des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie in dem Nachtrag zum Terminbericht 19/23.