Bundessozialgericht

Verhandlung B 4 AS 86/21 R

Grundsicherung für Arbeitsuchende - Ausschluss von SGB II-Leistungen als Auszubildender - Abbruch der Ausbildung - Aufhebung und Rückforderung von BaföG - Wirkung der Antragstellung

Verhandlungstermin 06.06.2023 11:00 Uhr

Terminvorschau

J.H. ./. Jobcenter Kiel
Der Kläger besuchte ab August 2015 eine Berufsschule und bezog Leistungen nach dem BAföG. Der Beklagte gewährte daneben einen Unterkunftskostenzuschuss für Auszubildende nach § 27 Absatz 3 SGB II (in der bis zum 31. Juli 2016 geltenden Fassung). Krankheitsbedingt nahm der Kläger letztmals im Dezember 2015 am Unterricht teil. Im Oktober 2016 ist die Bewilligung von Leistungen nach dem BAföG rückwirkend zum 1. April 2016 aufgehoben und sind die Leistungen zurückgefordert worden. Wegen der krankheitsbedingten Hinderung an der Ausbildung habe der Anspruch auf Leistungen nach dem BAföG mit Ablauf des 31. März 2016 geendet. Den daraufhin für die Zeit von April bis Juli 2016 gestellten Antrag auf Arbeitslosengeld II lehnte der Beklagte ab.

Klage und Berufung sind erfolglos geblieben. Zur Begründung hat das Landessozialgericht ausgeführt, der Kläger sei zwar ab dem 1. April 2016 nicht mehr als Auszubildender von Arbeitslosengeld II ausgeschlossen gewesen. Auch wirke der gestellte Antrag gemäß § 28 SGB X auf den streitbefangenen Zeitraum zurück; der Kläger habe von der Beantragung des Arbeitslosengelds II zunächst abgesehen, weil er zunächst die nun zu erstattenden Leistungen nach dem BAföG geltend gemacht habe. Jedoch sei sein Bedarf durch Einkommen gedeckt gewesen. Hierzu rechneten neben dem Unterkunftskostenzuschuss und einer Halbwaisenrente trotz Aufhebung und Rückforderung auch die Leistungen nach dem BAföG. Diese hätten als bereites Mittel zur Verfügung gestanden. § 28 SGB X stehe deren Berücksichtigung als Einkommen nicht entgegen.

Mit seiner vom Landessozialgericht zugelassenen Revision rügt der Kläger unter anderem eine Verletzung von § 28 SGB X. Diese Vorschrift liefe im SGB II weitgehend leer, wenn die zu erstattende Leistung auf den Arbeitslosengeld II-Anspruch anzurechnen wäre.

Verfahrensgang:
Sozialgericht Kiel, S 36 AS 1011/16, 07.02.2020
Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, L 6 AS 26/20, 11.11.2021

Sämtliche Vorschauen zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in der Terminvorschau 19/23.

Terminbericht

Der Senat hat das Urteil des Landessozialgerichts aufgehoben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen. Auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen kann der Senat nicht abschließend entscheiden, ob (und gegebenenfalls in welcher Höhe) der Kläger im streitigen Zeitraum einen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II hat.

Der Kläger war im streitigen Zeitraum nicht gemäß § 7 Absatz 5 Satz 1 SGB II in der bis zum 31. Juli 2016 geltenden Fassung als Auszubildender von Arbeitslosengeld II ausgeschlossen, nachdem er bereits seit Anfang Dezember 2015 die Schule krankheitsbedingt nicht mehr besucht hatte. Nur die ersten drei Monate der Krankheit behalten gemäß § 15 Absatz 2a BAföG den Charakter förderungsfähiger Ausbildungszeiten.

Der gemäß § 37 SGB II erforderliche Leistungsantrag liegt vor. Der Antrag vom 2. November 2016 wirkt gemäß § 40 Absatz 1 Satz 1 SGB II in Verbindung mit § 28 SGB X auf den streitigen Zeitraum zurück. Für die Anwendung von § 28 SGB X genügt es, dass die zunächst beantragten, nunmehr zu erstattenden Leistungen nach dem BAföG und das (vorerst) nicht beantragte Arbeitslosengeld II nach ihren jeweiligen Tatbestandsvoraussetzungen in einem Ausschließlichkeitsverhältnis stehen und der Kläger aus diesem Grund zunächst nur die Leistungen nach dem BAföG geltend gemacht hat.

Zu Recht ist das Landessozialgericht weiterhin davon ausgegangen, dass die Leistungen nach dem BAföG dem Grunde nach als Einkommen im Sinne von § 11 Absatz 1 Satz 1 SGB II anzurechnen sind. Sie waren als bereite Mittel zur Sicherung des Lebensunterhalts einzusetzen. Auch § 28 SGB X steht ihrer Anrechnung als Einkommen nicht entgegen. Es handelt sich um eine rein verwaltungsverfahrensrechtliche Regelung, die die bereichsspezifischen Vorgaben des materiellen Rechts unberührt lässt. Allerdings hat das Landessozialgericht nicht festgestellt, zu welchen Zeitpunkten dem Kläger die einzelnen Leistungen nach dem BAföG zugeflossen sind. Dies wird es nachzuholen haben. Zudem wird es zu beachten haben, dass nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zu § 11a SGB II in der vor dem 1. August 2016 geltenden Fassung 20 Prozent des durch den Gesetzgeber im BAföG festgesetzten Gesamtbedarfs eines Auszubildenden nicht als Einkommen zu berücksichtigen sind. Dagegen schmälert der gemäß § 11a Absatz 1 Nr 1 SGB II privilegierte Unterkunftskostenzuschuss für Auszubildende nach § 27 Absatz 3 SGB II in der bis zum 31. Juli 2016 geltenden Fassung die Ansprüche des Klägers nicht.

Sämtliche Berichte zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in dem Terminbericht 19/23.

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