Verhandlung B 7 AS 3/22 R
Grundsicherung für Arbeitsuchende - Erstattungsanspruch des Grundsicherungsträger - Einkommen - Vermögen - Beschränkung der Minderjährigenhaftung
Verhandlungstermin
21.06.2023 10:00 Uhr
Terminvorschau
J. S. ./. Jobcenter Saale-Holzland-Kreis
Im Streit steht eine Erstattungsforderung des beklagten Jobcenters. Der Kläger wendet gegen sie ein, zum Zeitpunkt des Eintritts der Volljährigkeit habe er über kein Vermögen verfügt, aus dem die Forderung hätte befriedigt werden dürfen (Einwand des § 1629a BGB).
Der am 30. Dezember 2016 volljährig gewordene Kläger lebte mit seinem Vater in einer Bedarfsgemeinschaft. Beide bezogen (aufstockend) Alg II, das der Vater für sie beantragt hatte. Der Kläger erhielt bis November 2016 eine Ausbildungsvergütung. Die Bundesagentur für Arbeit bewilligte ihm für Januar 2017 Insolvenzgeld, nachdem über das Vermögen des Ausbildungsbetriebs ein Insolvenzverfahren eröffnet worden war. Die Auszahlung dieser Leistung in Höhe von rund 450 Euro erfolgte am 15. Dezember 2016 auf das Girokonto des Klägers. Am selben Tag hob er 400 Euro von dem Girokonto ab. Das Guthaben betrug am 30. Dezember 2016 48,78 Euro.
Der Beklagte machte mit Bescheid vom 23. März 2016 eine Erstattungsforderung von 22,57 Euro gegenüber dem Kläger geltend, nachdem er die Leistungen für November 2015 endgültig festgesetzt hatte. Im Widerspruchsverfahren gegen diesen Erstattungsbescheid berief sich der Kläger erfolglos auf § 1629a BGB.
Die Klage hiergegen hat das Sozialgericht abgewiesen und das Landessozialgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Zur Begründung hat das Landessozialgericht ausgeführt, das Kontoguthaben zum Zeitpunkt des Eintritts der Volljährigkeit habe ausgereicht, um die Forderung des Beklagten zu begleichen. § 1629a BGB stehe dem nicht entgegen. Insbesondere sei es - anders als der Kläger vorgebracht habe - nicht von Bedeutung, dass sich das auf dem Girokonto befindliche Guthaben gegebenenfalls aus Einkommen - hier dem Insolvenzgeld - gespeist habe. Dieses sei bei der Ermittlung des Vermögens zum Zeitpunkt des Eintritts der Volljährigkeit auch dann zu berücksichtigen, wenn es bei der Zwangsvollstreckung den Pfändungsschutzvorschriften unterfalle.
Mit der vom Landessozialgericht zugelassenen Revision rügt der Kläger eine Verletzung von § 1629a BGB. Er macht unter anderem geltend, dass zwischen Einkommen und Vermögen zu differenzieren sei, wenn die Einrede des § 1629a BGB erhoben werde. Sein Resteinkommen aus Dezember 2016 sei Einkommen und kein Vermögen, aus dem die Erstattungsforderung des Beklagten bedient werden dürfe.
Verfahrensgang:
Sozialgericht Altenburg, S 42 AS 2918/17, 28.11.2019
Thüringer Landessozialgericht, L 7 AS 498/21, 24.08.2021
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Terminbericht
Die Revision des Klägers war erfolglos. Die Erstattungsforderung des Beklagten ist auch unter Beachtung der Grundsätze der Minderjährigenhaftungsbeschränkung rechtmäßig geblieben.
Zwar ist § 1629a BGB grundsätzlich auch dann anwendbar, wenn Schulden auf Erstattungsforderungen nach dem SGB II beruhen. Nach § 1629a BGB beschränkt sich die Haftung für Verbindlichkeiten, die die Eltern im Rahmen ihrer gesetzlichen Vertretungsmacht durch Rechtsgeschäft oder eine sonstige Handlung mit Wirkung für das Kind begründet haben, auf den Bestand des bei Eintritt in die Volljährigkeit vorhandenen Vermögens der volljährig gewordenen Person. Die Einrede der Beschränkung der Minderjährigenhaftung berührt dabei bereits die materielle Rechtmäßigkeit des Erstattungsbescheids.
Die Haftungsbeschränkung greift aber wegen der fehlenden Überschuldung des Klägers im Zeitpunkt der Volljährigkeit nicht. Die Verbindlichkeit des Klägers aus der streitgegenständlichen Forderung überstieg bei Eintritt der Volljährigkeit am 30. Dezember 2016 nicht dessen Vermögen. Die streitgegenständliche Erstattungsforderung beträgt 22,57 Euro und liegt damit unter dem Kontoguthaben von 48,78 Euro, über das der Kläger im Zeitpunkt seiner Volljährigkeit verfügte.
Anders als der Kläger vorbringt, ist maßgeblich für die Frage der Beschränkung der Haftung auf das zu diesem Zeitpunkt vorhandene Vermögen nicht eine nach den Grundsätzen des SGB II vorgenommene Bestimmung von Einkommen und Vermögen. Vielmehr bedient sich der Gesetzgeber in § 1629a BGB allein einer Stichtagsregelung, um “Altvermögen“ und “Neuvermögen“ voneinander abzugrenzen. Entscheidend ist grundsätzlich nur eine Saldierung von Schuld und Vermögen zum Zeitpunkt dieses Stichtags, also der Vollendung des 18. Lebensjahres.
Vermögen im Rahmen des § 1629a BGB ist das Aktivvermögen der volljährig gewordenen Person im Zeitpunkt des Erreichens der Volljährigkeit. Auf ein Nettovermögen als Differenz von Aktiva und Passiva kommt es nicht an.
Soweit sich der Kläger auf den “Pfändungsschutz“ nach § 811 ZPO beruft, greift diese Vorschrift für das Kontoguthaben schon nicht, weil es bei § 811 ZPO nur um die Unpfändbarkeit von Sachen, also verkörperten Gegenständen (§ 90 BGB) geht und nicht um Forderungen gegen Drittschuldner. Zudem ist der Stand des Vermögens im Sinne des § 1629a Absatz 1 Satz 1 BGB nicht unter Berücksichtigung aller Pfändungsschutzvorschriften bereits im Erkenntnisverfahren zu ermitteln. In diesem Rahmen ist es daher unerheblich, ob sich das Kontoguthaben des Klägers aus Zuflüssen speiste, die nicht pfändbar sind. Bei der Berücksichtigung des Vermögens zum Zeitpunkt des Eintritts der Volljährigkeit durfte der Beklagte das Bankguthaben des Klägers berücksichtigen, unabhängig davon, ob dieses auf unpfändbaren Leistungen beruhte.
Auf die Regelung des § 40 Absatz 9 SGB II in der Fassung des Bürgergeldgesetzes kann sich der Kläger ebenfalls nicht stützen. Die Vorschrift ist zum 1. Januar 2023 in Kraft getreten. Der Gesetzgeber hat eine rückwirkende Anwendung nicht angeordnet.
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