Verhandlung B 2 U 19/21 R
Unfallversicherung - Arbeitsunfall - Sturz in einen Bergwerksschacht - Promotionsstudentin
Verhandlungstermin
22.06.2023 11:00 Uhr
Terminvorschau
A. A. ./. Unfallkasse Sachsen-Anhalt
Die Klägerin war immatrikulierte Promotionsstudentin, Stipendiatin und Mitarbeiterin am Institut für Geowissenschaften der Universität H. Als solche betreute sie Bachelorarbeiten, leitete Studierende an und begleitete sie beim Einbringen von Markierstoffen (Tracer) in öffentlich zugänglichen Höhlen. Das Thema ihrer Dissertation war die Dokumentation der Veränderungen in der Höhlenbildung durch menschlichen Einfluss im Südharz und im südlichen Kyffhäuser. Außerhalb dieses Gebiets stürzte sie am Sonntag, den 17. Mai 2015 im Zuge einer Bergwerksbefahrung durch Mitglieder ihres Höhlenklettervereins in einem Alt-Bergwerk und zog sich eine Querschnittssymptomatik zu.
Die Beklagte lehnte es ab, den Sturz als Arbeitsunfall anzuerkennen. Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Die Klägerin sei weder als Beschäftigte noch als Wie-Beschäftigte verunglückt, weil sie die Grube nicht fremdbestimmt zu Forschungszwecken der Universität, sondern eigenwirtschaftlich und privatnützig zur Förderung ihres Promotionsvorhabens erkundet habe. Sie sei auch nicht als studierende Promovendin unfallversichert gewesen, weil das Befahren des Bergwerks nicht im organisatorischen Verantwortungsbereich der Hochschule gestanden habe. An der fehlenden Organisationsgewalt der Universität ändere nichts, dass diese Materialien unterstützend zur Verfügung gestellt habe.
Mit ihrer Revision rügt die Klägerin neben einer Gehörsverletzung die Verletzung des § 2 Absatz 1 Nummern 1 und 8 Buchstabe c SGB VII.
Verfahrensgang:
Sozialgericht Halle, S 11 U 149/16, 27.09.2018
Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, L 6 U 4/19, 11.03.2021
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Terminbericht
Die Revision der Klägerin war ohne Erfolg. Die Vorinstanzen haben die Klage zu Recht abgewiesen. Die Klägerin hat am 17.5.2015 keinen Arbeitsunfall erlitten.
Die Befahrung des Alt-Bergwerks vor dem Unfallereignis am 17.5.2015 ist der versicherten Tätigkeit der Klägerin als Promotionsstudierende nicht zuzurechnen. Als immatrikulierte Promotionsstudentin gehörte sie zwar zu dem kraft Gesetzes versicherten Personenkreis der Studierenden während der Aus- und Fortbildung an Hochschulen. Die Rechtsprechung des 12. Senats, die die Versicherungspflicht von Promotionsstudenten in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung verneint (BSG Urteil vom 7.6.2018 ‑ B 12 KR 15/16 R ), ist auf den weiter gefassten unfallversicherungsrechtlichen Versicherungspflichttatbestand nicht übertragbar. Der versicherten Tätigkeit als Promotionsstudierende ist die konkrete Verrichtung der Klägerin vor dem Unfallereignis indes nicht zuzurechnen, weil die Befahrung des Alt-Bergwerks nicht im organisatorischen Verantwortungsbereich der Hochschule erfolgte. Eine zumindest organisatorische Mitverantwortung im Sinne einer Einflussmöglichkeit auf Zeit, Ort, Art oder Dauer der Tätigkeit hat die Hochschule für die Erkundung des Alt-Bergwerks nicht übernommen. Denn die Klägerin hatte die Exkursion eigeninitiativ, völlig frei, selbstständig und auf eigene Rechnung organisiert, ohne dass der Hochschule oder Fakultätsangehörigen Zeit, Ort und Dauer der Expedition bekannt waren.
Die Verrichtung der Klägerin vor dem Unfall kann auch nicht ihrer versicherten Tätigkeit als beschäftigte Hochschulmitarbeiterin zugerechnet werden. Denn die Erforschung des Bergwerks diente allein dem eigenen Unternehmen "Dissertation“ der Klägerin und sollte nicht der Hochschule unmittelbar zum Vor- oder Nachteil gereichen. Ebenso wenig war die Klägerin deshalb als Wie-Beschäftigte versichert.
Auch eine Aufenthaltsversicherung kraft Satzung der Berufsgenossenschaft Rohstoffe und chemische Industrie scheidet aus. Dass sich die Klägerin als Doktorandin auf der Unternehmensstätte des Alt‑Bergwerks im Auftrag oder mit Zustimmung des (gegebenenfalls bergrechtlich verantwortlichen) Unternehmers aufgehalten haben könnte, ist weder tatrichterlich festgestellt noch sonst erkennbar.
Die Rüge der unterlassenen Zulassung hat sich mit dem Senatsbeschluss über die Zulassung der Revision erledigt.
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