Verhandlung B 1 KR 12/22 R
Krankenversicherung - Kostenerstattung - stationäre Krankenhausbehandlung - Strafgefangener - Haftunfähigkeit
Verhandlungstermin
29.06.2023 10:00 Uhr
Terminvorschau
Land Berlin ./. IKK classic
Die Beteiligten streiten über die Erstattung von Kosten einer stationären Krankenhausbehandlung nebst Zinsen.
Der bis September 2008 bei der Rechtsvorgängerin der beklagten Krankenkasse Versicherte war im Justizvollzug des Klägers inhaftiert. Er wurde zunächst im Justizvollzugskrankenhaus stationär behandelt und aufgrund der Schwere seiner Erkrankungen Anfang September 2010 in ein Universitätsklinikum verlegt, wo er im Dezember 2010 verstarb. Zuvor war ab 15. September 2010 die Haftunterbrechung wegen Haftunfähigkeit angeordnet worden. Das Universitätsklinikum stellte entsprechend der vom Kläger abgegebenen Kostenzusage für den kompletten Behandlungszeitraum insgesamt 169 668,33 Euro in Rechnung. Der Kläger sah eine Zuständigkeit der Justiz als Kostenträger ab der Haftunterbrechung nicht mehr als gegeben an und wandte sich zur Ermittlung eines Kostenträgers zunächst erfolglos an das Universitätsklinikum. Er beglich die Rechnung sodann vollständig. Im Oktober 2011 machte er gegenüber einer anderen Krankenkasse einen Erstattungsanspruch geltend, den diese unter Hinweis auf eine spätere Versicherung bei einer dritten Krankenkasse ablehnte. Diese lehnte die Zahlung unter Hinweis auf die zuletzt bis September 2008 bei der Beklagten bestehende Pflichtversicherung ebenso ab. Gegenüber der beklagten Krankenkasse machte der Kläger den Erstattungsanspruch im Oktober 2013 geltend.
Das Sozialgericht hat die Klage auf Zahlung von 157 166,44 Euro nebst Zinsen für die anteiligen Behandlungskosten ab der Haftunterbrechung abgewiesen, das Landessozialgericht die Berufung zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, ein Erstattungsanspruch nach § 105 SGB X bestehe zwar dem Grunde nach. Der Kläger habe als sachlich unzuständiger Leistungsträger Sozialleistungen – Hilfe bei Krankheit nach dem SGB XII – geleistet. Die stationäre Krankenbehandlung des Versicherten sei ihm für die Zeit ab der Haftunterbrechung zuzurechnen. Er habe insoweit als zuständiger Sozialhilfeträger gehandelt. Der Erstattungsanspruch sei jedoch wegen Ablaufs der hierfür geltenden Jahresfrist nach § 111 Satz 1 SGB X ausgeschlossen. Ein Anspruch aus einer öffentlich-rechtlichen Geschäftsführung ohne Auftrag scheide aus, da der Kläger aufgrund seiner Kostenzusage eine eigene Verbindlichkeit erfüllt habe und ein Fremdgeschäftsführungswille nicht vorliege. Ein öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch gegen die Beklagte scheitere am Vorrang der Leistungsbeziehung, da der Kläger die Rechnung des Universitätsklinikums aufgrund einer eigenen Verpflichtung beglichen habe. Andere Anspruchsgrundlagen kämen nicht in Betracht.
Mit seiner Revision rügt der Kläger eine Verletzung von § 105 SGB X und § 111 SGB X.
Verfahrensgang:
Sozialgericht Berlin, S 51 KR 2636/13, 31.01.2019
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, L 28 KR 104/19, 07.04.2022
Die Vorschau zu dem Verhandlungstermin des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in der Terminvorschau 26/23.
Terminbericht
Die Revision des klagenden Landes hatte keinen Erfolg.
Das Landessozialgericht hat die Berufung gegen das klagabweisende Urteil des Sozialgerichts zu Recht zurückgewiesen. Ob die §§ 102 ff SGB X als Anspruchsgrundlage überhaupt infrage kommen, kann dahinstehen. Erstattungsansprüche wären jedenfalls aufgrund des Ablaufs der Jahresfrist nach § 111 SGB X ausgeschlossen. Die Krankenhausbehandlung fand bereits im Jahr 2010 statt, das klagende Land hat seinen Erstattungsanspruch gegenüber der beklagten Krankenkasse aber erstmals mit Schreiben vom 26.9.2013 geltend gemacht. Dass das klagende Land sich zuvor innerhalb der Frist an eine andere Krankenkasse gewandt hatte, ist unerheblich. Denn das Erstattungsbegehren ist an den erstattungspflichtigen Leistungsträger zu richten. § 16 SGB I, wonach der beim unzuständigen Träger gestellte Antrag mit fristwahrender Wirkung weiterzuleiten ist, findet hier keine Anwendung. § 111 Satz 2 SGB X, wonach die Frist erst mit der Entscheidung des als erstattungspflichtig in Anspruch genommenen Leistungsträgers über seine Leistungspflicht beginnt, ist ebenfalls nicht einschlägig. Auch bei Bestehen einer Auffang-Pflichtversicherung nach § 5 Absatz 1 Nummer 13 SGB V geht es grundsätzlich zu Lasten des Erstattung begehrenden Leistungsträgers, wenn es ihm nicht gelingt, die erstattungspflichtige Krankenkasse innerhalb der einjährigen Ausschlussfrist zu ermitteln. Eine abweichende Risikoverteilung ist dem Gesetz nicht zu entnehmen.
Ein Anspruch aufgrund öffentlich-rechtlicher Geschäftsführung ohne Auftrag wie auch ein öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch sind ausgehend von den bindenden Feststellungen des Landessozialgerichts nicht entstanden. Andere Anspruchsgrundlagen kommen nicht in Betracht.
Die Berichte zu dem Verhandlungstermin des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in dem Terminbericht 26/23.