Verhandlung B 12 BA 1/23 R
Versicherungs- und Beitragsrecht - Krankenpfleger - alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer - haftungsbeschränkte Unternehmergesellschaft - selbstständige Erbringung - Pflegedienstleistungen - Dienstleistungsverträge - Krankenhaus - Weisungsrecht -Versicherungspflicht - sozialversicherungsrechtliche Statuszuordnung
Verhandlungstermin
20.07.2023 11:30 Uhr
Terminvorschau
O. P. ./. Deutsche Rentenversicherung Bund, beigeladen: 1. D. - D. C. L. gGmbH, 2. AOK PLUS - Die Gesundheitskasse für Sachsen und Thüringen, 3. Bundesagentur für Arbeit, 4. Pflegekasse bei der AOK PLUS - Die Gesundheitskasse für Sachsen und Thüringen 5. p. c. 23 UG - Krankenpflege mit Herz
Der Kläger ist ausgebildeter Krankenpfleger sowie alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer der zu 5. beigeladenen haftungsbeschränkten Unternehmergesellschaft (UG). Unternehmensgegenstand ist unter anderem die selbstständige Erbringung von Pflegedienstleistungen im ambulanten und stationären Bereich. Eine Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung besitzt die UG nicht. Für die Tätigkeit als Geschäftsführer sieht der vom Kläger und der UG abgeschlossene Anstellungsvertrag ein monatliches Bruttogehalt von 500 Euro und eine Tantieme von 15 % des Jahresgewinns vor. Für konkrete Einsatzzeiträume im Jahr 2017 schloss die UG als "Auftragnehmer" mit der zu 1. beigeladenen Trägerin eines Krankenhauses als "Auftraggeber" Dienstleistungsverträge über die eigenverantwortliche Planung, Durchführung, Dokumentation und Überprüfung von häuslicher/stationärer Kranken-/Altenpflege. Vereinbart war der Einsatz fachlich geeigneter und qualifizierter Personen zu einem Stundenhonorar von 36 Euro, ein außerordentliches Kündigungsrecht der UG bei Verhinderung des eigenen Personals und eine Weisungsfreiheit bei Durchführung der übertragenen Tätigkeiten. Während der vertraglich vereinbarten Einsatzzeiten war der Kläger die einzige ausgebildete Pflegefachkraft der UG; er wurde für die Beigeladene zu 1. auf einer ihrer Krankenhausstationen tätig. Insoweit stellte die Beklagte die Versicherungspflicht des Klägers in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung aufgrund Beschäftigung fest.
Das Sozialgericht hat die Verwaltungsentscheidung aufgehoben und festgestellt, dass der Kläger nicht versicherungspflichtig beschäftigt gewesen sei. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts aufgehoben und die Klage abgewiesen. Bei den Dienstleistungsverträgen handele es sich nicht um Scheingeschäfte. Der Kläger sei dem Weisungsrecht der Beigeladenen zu 1. unterworfen und in deren Betriebsablauf eingegliedert gewesen. Der sozialversicherungsrechtlichen Statuszuordnung stehe ein zwischen zwei juristischen Personen des Privatrechts geschlossener Dienstleistungsvertrag nicht entgegen. Mit der Überlassung des Klägers als Pflegefachkraft habe seine Organstellung als Geschäftsführer der UG geendet.
Mit ihren Revisionen rügen der Kläger und die UG die Verletzung von § 7 Absatz 1 SGB IV, § 32 SGB I, § 13 Absatz 1 und § 35 Absatz 1 GmbHG sowie Artikel 12, 14 und 20 GG. Das allein mit der UG zustande gekommene Vertragsverhältnis über die vereinbarten Pflegeleistungen sei nicht rechtsmissbräuchlich. Das Landessozialgericht habe mit seiner Auslegung ungerechtfertigt in die Berufswahl- und -ausübungsfreiheit des Klägers eingegriffen und Vermögenswerte in Gestalt der Gesellschaftsanteile entzogen. Die grundrechtsfähige UG sei gehindert, ihrem Gesellschaftszweck nachzukommen, und einer zivilrechtlichen Rückabwicklung der Dienstverhältnisse ausgesetzt. Zudem sei der Grundsatz der Rechtsklarheit sowie Rechtssicherheit und damit das Rechtsstaatsprinzip verletzt.
Verfahrensgang:
Sozialgericht Chemnitz, S 36 BA 18/19, 19.11.2019
Sächsisches Landessozialgericht, L 9 BA 38/19, 15.11.2022
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Terminbericht
Die Revisionen des Klägers und der beigeladenen Unternehmergesellschaft (UG) hatten im Sinn der Aufhebung des Berufungsurteils und der Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Landessozialgericht Erfolg. Der Kläger unterlag in seiner Tätigkeit für die beigeladene Krankenhausträgerin in den streitigen Zeiträumen aufgrund Beschäftigung der Versicherungspflicht in der GRV sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung. Geschäftsinhalt der Vereinbarungen zwischen der UG und der Krankenhausträgerin war der weisungsgebundene Einsatz geeigneter Personen zur Krankenpflege allein im Interesse der Krankenhausträgerin und unter Eingliederung in die Organisation des Krankenhauses. Ein für eine selbstständige Werk- oder Dienstleistung erforderlicher unternehmerischer Gestaltungsspielraum kam der UG nicht zu. Verpflichtet sich eine Ein-Personen-UG gegenüber einem anderen Unternehmen vertraglich zur Erbringung von Tätigkeiten, die ihrer Art nach eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des anderen Unternehmens und eine Weisungsgebundenheit an dortige Weisungsgeber bedingen, sind ausdrückliche vertragliche Vereinbarungen zwischen dem die Tätigkeit selbst ausführenden Gesellschafter-Geschäftsführer der UG und dem anderen Unternehmen zur Begründung eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses nicht erforderlich. Vergleichbar dem Rechtsinstitut des fingierten Arbeitsverhältnisses nach § 10 Absatz 1 Satz 1 AÜG im Fall einer unwirksamen Arbeitnehmerüberlassung bestimmt sich die rechtliche Beurteilung als Beschäftigung vielmehr anhand der Vereinbarungen zwischen der UG und dem anderen Unternehmen sowie der praktischen Durchführung dieses Vertrags.
Eine erlaubte Arbeitnehmerüberlassung scheidet aus, weil die UG weder über die erforderliche Erlaubnis noch über weitere qualifizierte Arbeitskräfte zur Erfüllung der übernommenen Tätigkeit verfügte. Auf den Eintritt der Fiktion eines Arbeitsverhältnisses nach § 10 Absatz 1 Satz 1 AÜG infolge einer unerlaubten Arbeitnehmerüberlassung kommt es nicht an, weil eine Beschäftigung nach § 7 SGB IV nicht das Zustandekommen eines Arbeitsvertrags voraussetzt. Nach der im Sozialversicherungsrecht herrschenden Eingliederungstheorie genügt grundsätzlich die tatsächliche Eingliederung in eine fremde Arbeitsorganisation.
Dem Senat war allerdings mangels ausreichender Feststellungen des Landessozialgerichts zu dem vom Kläger erzielten regelmäßigen Jahresarbeitsentgelt eine abschließende Entscheidung über die Versicherungspflicht in der gesetzlichen Kranken- und sozialen Pflegeversicherung verwehrt.
Die Berichte zu dem Verhandlungstermin des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in dem Terminbericht 29/23.