Bundessozialgericht

Verhandlung B 1 KR 33/22 R

Krankenversicherung - Mann-zu-Frau-Transsexualismus - geschlechtsangleichende Maßnahme - Nadelepilation - Kostenübernahme

Verhandlungstermin 29.08.2023 12:45 Uhr

Terminvorschau

N.N. ./. Techniker Krankenkasse und 4 Beigeladene
Die Beteiligten streiten um einen Anspruch auf Übernahme der Kosten zur Durchführung einer Nadelepilation zur Entfernung von Barthaaren.

Die 1977 als biologischer Mann geborene Klägerin ist transsexuell und lebt seit dem Jahr 2012 ausschließlich als Frau. Im Juli 2017 beantragte sie bei der beklagten Krankenkasse die Gewährung von geschlechtsangleichenden Sachleistungen, unter anderem die Durchführung einer Nadelepilation ihres weiß-gräulichen Bartwuchses unter Vorlage eines Kostenvoranschlags eines Kosmetikinstituts. Die Behandlung wird dort durch geschulte Kosmetikerinnen und Heilpraktikerinnen ohne ärztliche Anleitung oder Überwachung durchgeführt. Die Krankenkasse lehnte den Antrag zunächst ab, teilte der Klägerin nach medizinischer Ermittlung jedoch mit, dass die Nadelepilationsbehandlung indiziert sei und sie ein Leistungsangebot eines zugelassenen Leistungserbringers einreichen könne. Die Klägerin reichte einen aktuellen Kostenvoranschlag in Höhe von 7800 Euro sowie Rechnungen des Kosmetikinstituts für bereits erfolgte Haarentfernungen im Gesicht ein. Sie forderte die Krankenkasse zur Kostentragung der Behandlungen durch das Kosmetikinstitut auf, da eine alternative Behandlungsversorgung für die Epilation nicht benannt worden sei. Die Krankenkasse wies den Widerspruch der Klägerin zurück. Eine Kostenübernahme für eine Nadelepilation sei auf Grund des Arztvorbehalts ausgeschlossen.

Das Sozialgericht hat die Klage auf Verpflichtung der Beklagten zur Übernahme der Kosten von Nadelepilationen durch eine Kosmetikerin/Elektrologistin, hilfsweise angeordnet und verantwortet durch einen Arzt, hilfsweise durchgeführt durch einen Arzt sowie zur Erstattung der bereits durch Epilationsbehandlungen entstandenen Kosten abgewiesen. Es bestehe kein Anspruch auf die Verschaffung der Leistung durch einen Nichtarzt. Die Hilfsanträge auf Versorgung mit einer ärztlich verantworteten oder ärztlichen Nadelepilation seien bereits unzulässig, da ein entsprechender Tenor nicht vollstreckbar wäre. Im Berufungsverfahren hat die Beigeladene zu 4), eine zugelassene Fachärztin für Haut- und Geschlechtskrankheiten, einen Kostenvoranschlag auf Grundlage der Gebührenordnung für Ärzte in Höhe von 7755,50 Euro eingereicht. Das Landessozialgericht hat die Krankenkasse nach Rücknahme der Anträge im Übrigen verpflichtet, die Kosten einer Nadelepilationsbehandlung zur dauerhaften Barthaarentfernung durch die Beigeladene zu 4) oder durch einen anderen zur Behandlung bereiten approbierten Arzt zu übernehmen. Die Klägerin habe Anspruch auf Entfernung der Barthaare, um den besonders ausgeprägten fortbestehenden Leidensdruck durch eine deutliche Annäherung an das Erscheinungsbild des anderen Geschlechts zu mildern. Es bestehe nicht die Möglichkeit, den verbliebenen hellen Bartwuchs zuverlässig durch eine Laserepilation dauerhaft zu beseitigen. Alternative Behandlungsmethoden der Epilation der Barthaare stünden nicht zur Verfügung. Aufgrund eines bestehenden vertragsärztlichen Systemversages bestünden keine Einwände gegen eine Abrechnung der Kosten nach der Gebührenordnung für Ärzte. Trotz intensiver Suchbemühungen sei es nicht gelungen, einen Vertragsarzt ausfindig zu machen, der bereit sei, die Klägerin zu den Bedingungen der gesetzlichen Krankenversicherung mit einer Barthaarnadelepilation zu behandeln. Allein die Beigeladene zu 4) habe als Vertragsärztin Behandlungsbereitschaft angezeigt, allerdings nur bei privatärztlicher Abrechnung. Zwar verletze die Beigeladene zu 4) hierdurch ihre aus der Zulassung als Vertragsärztin folgenden Pflichten, dies betreffe indes nur das Rechtsverhältnis zwischen ihr und der Kassenärztlichen Vereinigung. Eine nach den Vorgaben der Gebührenordnung für Ärzte geschlossene Honorarvereinbarung zwischen ihr und der Klägerin verstoße weder gegen ein gesetzliches Verbot noch wäre sie sittenwidrig.

Mit ihrer Revision rügt die Krankenkasse einen Verstoß gegen grundlegende Strukturprinzipien der gesetzlichen Krankenversicherung, insbesondere des Naturalleistungsprinzips.

Verfahrensgang:
Sozialgericht Berlin, S 51 KR 1575/18, 31.10.2019
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, L 4 KR 454/19, 22.09.2022

Die Vorschau zu dem Verhandlungstermin des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in der Terminvorschau 32/23.

Terminbericht

Die Beteiligten haben sich verglichen.

Die Berichte zu dem Verhandlungstermin des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in dem Terminbericht 32/23.

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