Bundessozialgericht

Verhandlung B 3 A 1/23 R

Kranken- und Pflegeversicherung - Aufsichtsrecht - Pflegekasse - Aufgabenübertragung - privater Dienstleister - Outsourcing

Verhandlungstermin 30.08.2023 10:00 Uhr

Terminvorschau

BKK VBU  ./. Bundesrepublik Deutschland
Im Streit steht eine Aufsichtsmaßnahme der beklagten Bundesrepublik Deutschland ähnlich wie im Verfahren B 1 A 1/22 R.

Zugrunde liegt dem Streit ein von der klagenden Krankenkasse geschlossener Rahmenvertrag, durch den sie nach Ausschreibung für die Zeit vom 1.7.2019 bis zum 30.6.2023 nach näherer Maßgabe eines Leistungsverzeichnisses Aufgaben ihrer Pflegekasse (unter anderem Prüfung der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen der Leistungsgewährung und Rechnungsprüfung zu Beratungseinsätzen nach § 37 Absatz 3 SGB XI, zur Verhinderungspflege nach § 39 SGB XI, zum Entlastungsbetrag nach § 45b SGB XI sowie zur Kurzzeitpflege und deren Auswirkungen auf das Pflegegeld) sowie Aufgaben nach dem SGB V zur „Fallbearbeitungsunterstützung“ (Prüfung der Voraussetzungen für die teilweise Zuzahlungsbefreiung nach § 62 SGB V, Antrags- und Rechnungsprüfung der Arzneimittel und Impfungen, die die Klägerin entsprechend ihrer Satzung übernimmt) einer privaten Dienstleisterin übertragen hatte. Nach aufsichtsrechtlicher Beratung verpflichtete das Bundesamt für Soziale Sicherung die Klägerin, den Dienstleistungsvertrag unverzüglich außerordentlich zu kündigen.

Das Landessozialgericht hat die Klage abgewiesen. Die aufsichtsrechtliche Verpflichtung sei rechtmäßig gewesen, weil die Klägerin nicht zu einer Aufgabenübertragung der ihr gegenüber den Versicherten obliegenden Leistungen auf Dritte berechtigt gewesen sei. Für eine Aufgabenübertragung im Rahmen der sozialen Pflegeversicherung fehle es bereits an einer ermächtigenden Rechtsgrundlage und aufgrund von § 197b SGB V dürften wesentliche Aufgaben in der Krankenversicherung, wie die vorliegenden mit einem unmittelbaren Leistungsbezug, nicht auf Dritte übertragen werden.

Mit ihrer zuletzt auf die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Aufsichtsverfügung gerichteten Revision rügt die Klägerin eine Verletzung von § 75 SGG aufgrund unterlassener Beiladungen. Materiell-rechtlich seien die §§ 30, 89 und 90 SGB IV sowie § 197b SGB V in Verbindung mit §§ 1 und 46 SGB XI verletzt. § 197b SGB V gelte auch für die Pflegeversicherung. Eine Aufgabenübertragung sei aufgrund der wohlverstandenen Interessen der Betroffenen wirtschaftlich, erforderlich und rechtmäßig.

Verfahrensgang:
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, L 4 KR 28/21 KL, 21.10.2022

Die Vorschau zu dem Verhandlungstermin des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in der Terminvorschau 31/23.

Terminbericht

Die Revision der Klägerin war erfolglos. Zutreffend hat das Landessozialgericht entschieden, dass die Klägerin zur Übertragung der streitbefangenen Aufgaben auf ein privates Dienstleistungsunternehmen nicht berechtigt und die streitbefangene Aufsichtsanordnung daher rechtlich nicht zu beanstanden war.

Sozialversicherungsträger haben die ihnen übertragenen Aufgaben grundsätzlich durch eigene Verwaltungseinrichtungen, also mit eigenem Personal, eigenen Sachmitteln und eigener Organisation zu erfüllen, und dürfen sie durch Private nur wahrnehmen lassen, soweit sie dazu durch Gesetz ausdrücklich ermächtigt sind. Daran fehlt es hier bezogen auf die Übertragung von Aufgaben nach dem SGB XI schon insofern, als der Klägerin als Krankenkasse nach keiner Betrachtungsweise die Rechtsmacht zur Übertragung von Aufgaben der bei ihr errichteten Pflegekasse auf Dritte zustehen konnte. Pflegekassen sind unbeschadet ihrer organisatorischen und personellen Anbindung an die Krankenkassen gemäß § 46 Absatz 2 Satz 1 SGB XI rechtlich selbständige rechtsfähige Körperschaften des öffentlichen Rechts mit Selbstverwaltung. Dass ihre Aufgaben von den Krankenkassen wahrgenommen werden und sie sich dazu deren Beschäftigten zu bedienen haben, ändert an dieser Selbständigkeit nichts.

Ungeachtet dessen wäre auch die bei der Klägerin errichtete Pflegekasse selbst zu einer entsprechenden Aufgabenübertragung auf einen privaten Dienstleister nicht befugt gewesen. Insbesondere können sich Pflegekassen für eine Beteiligung Dritter an der Erledigung ihnen zugewiesener Aufgaben schon dem Grunde nach nicht auf die Ermächtigung des § 197b SGB V stützen, die Krankenkassen solche Übertragung bei für die Versorgung der Versicherten nicht wesentlichen Aufgaben erlaubt. Diese Regelung gilt begrenzt für die Aufgaben der Krankenkassen nach dem SGB V und wird nicht dadurch zu einer Befugnis nach dem SGB XI, dass sich die Pflegekassen zur Erfüllung ihrer Aufgaben der Organe und Beschäftigten der Krankenkassen zu bedienen haben. Dazu bedürfte es einer ausdrücklichen Legitimation durch den Gesetzgeber zum SGB XI selbst, die indes nicht zu erkennen ist. Vielmehr belegen bereichsspezifische Regeln wie die des § 197b SGB V gerade, dass nach der gesetzlichen Konzeption organisationsrechtliche Vorgaben jeweils für jeden Sozialversicherungszweig gesondert zu treffen sind, solange nicht übergreifende Bestimmungen wie nach § 88 SGB X gelten, die hier nicht eingreifen.

Indes könnten Aufgabenübertragungen wie hier nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts selbst dann nicht auf § 197b SGB V gestützt werden, wenn der Regelung Geltung für das SGB XI zukäme. Hiernach dürfen wesentliche Aufgaben zur Versorgung der Versicherten nicht in Auftrag gegeben werden (§ 197b Satz 2 SGB V). Wie der 1. Senat des Bundessozialgerichts dazu bereits entschieden hat, schließt das alle Aufgaben von der Übertragung auf private Dritte aus, die ihrer Art nach die Leistungsgewährung an Versicherte und damit eine Kernaufgabe der Krankenkassen und der gesetzlichen Krankenversicherung betreffen. Nur solche Aufgaben betraf jedoch nach den Feststellungen des Landessozialgerichts die Übertragung auf die private Dienstleisterin im Bereich des SGB XI hier. So lag es schließlich ebenfalls bei den Aufgaben, die die Klägerin nach dem SGB V übertragen hat; auch sie betrafen jeweils die Prüfung von Leistungsvoraussetzungen für Ansprüche Versicherter, über die im Verhältnis zwischen der Klägerin zu diesen Entscheidungen auf der Grundlage des SGB V zu treffen waren.

Die Berichte zu dem Verhandlungstermin des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in dem Terminbericht 31/23.

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