Verhandlung B 8 SO 22/22 R
Sozialhilfe - Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung - Altersrente - Einkommen - Sterbegeldversicherung - Abschluss vor Leistungsbezug - Angemessenheit
Verhandlungstermin
20.09.2023 12:00 Uhr
Terminvorschau
W. E. ./. Landkreis Karlsruhe
Die Klägerin begehrt die Berücksichtigung einer Sterbegeldversicherung bei der Berechnung von Sozialhilfe. Im September 2015 schloss die 1940 geborene Klägerin eine Sterbegeldversicherung ab und beantragte im Dezember 2016 erstmalig ergänzend zur Altersrente Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII. Im Rahmen der Leistungsbewilligung berücksichtigte der Beklagte die Aufwendungen für die Sterbegeldversicherung nicht. Der Widerspruch blieb erfolglos. Nachdem das Sozialgericht der Klägerin weitere Leistungen unter Berücksichtigung der Aufwendungen für die Sterbegeldversicherung zugesprochen hatte, hob das Landessozialgericht das Urteil auf die Berufung des Beklagten teilweise auf und gewährte der Klägerin lediglich in einigen Monaten höhere Leistungen wegen der Aufwendungen für weitere Versicherungen. Zur Begründung führte es aus, die Klägerin habe keinen Anspruch auf die Berücksichtigung der Aufwendungen für die Sterbegeldversicherung im Rahmen von § 82 Absatz 2 Satz 1 Nummer 3 SGB XII, weil diese nicht angemessen sei. Insbesondere gewährleiste die widerrufliche Bezugsberechtigung für die Tochter der Klägerin eine hinreichende objektive Zweckbindung nicht. Unangemessen sei zudem die Höhe der Beiträge im Verhältnis zur Versicherungssumme, zumal diese zusätzlich bei Unfalltod höher ausfalle.
Mit ihrer Revision macht die Klägerin geltend, dass nach der neuen Fassung des § 33 Absatz 2 Satz 1 SGB XII zum 1. Juli 2017 nicht mehr geprüft werden dürfe, ob eine Sterbegeldversicherung dem Grunde nach angemessen sei, wenn diese vor dem Leistungsbezug abgeschlossen wurde.
Verfahrensgang:
Sozialgericht Karlsruhe, S 12 SO 3577/18, 19.01.2021
Landessozialgericht Baden-Württemberg, L 7 SO 619/21, 17.11.2022
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Terminbericht
Der Senat hat auf die Revision der Klägerin das Urteil des Landessozialgerichts aufgehoben und die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts zurückgewiesen. Zu Unrecht hat das Landessozialgericht die Beiträge der Sterbegeldversicherung bei der Berechnung der Höhe der Grundsicherung nicht nach § 82 Absatz 2 Satz 1 Nummer 3 SGB XII von der Altersrente der Klägerin zum Abzug gebracht. Beiträge zu privaten Versicherungen können nur dann vom Einkommen abgesetzt werden, wenn mit der Zahlung sozialhilferechtlich anerkannte Zwecke verfolgt werden. Dies beurteilt sich stets nach der individuellen Lebenssituation des Leistungsempfängers. Obgleich die Sozialhilfe grundsätzlich nur zum Bestreiten des aktuellen Lebensunterhalts und nicht zum Aufbau eines Vermögens eingesetzt werden soll, wird dies nach dem Willen des Gesetzgebers durch die Berücksichtigung einer Sterbegeldversicherung bei Leistungen der Sozialhilfe ermöglicht. Diese Privilegierung der Sterbegeldversicherung gegenüber anderen privaten (kapitalbildenden) Versicherungen kommt in § 33 Absatz 2 SGB XII zum Ausdruck, demzufolge für vor Leistungsbeginn abgeschlossene Verträge ein besonderer individueller Grund nicht geltend gemacht werden muss. Erforderlich ist, dass durch eine verbindliche Vereinbarung im Sinne einer objektiven Zweckbestimmung sichergestellt wird, dass die Versicherungssumme für den Bestattungsfall aufgewendet wird. Hierfür ist es ausreichend, wenn bezugsberechtigt ein bestattungskostenpflichtiger Erbe wie im vorliegenden Fall die Tochter der Klägerin ist. Die Versicherungssumme ist zumindest dann angemessen, wenn die Kosten für eine angemessene Bestattung und eine angemessene Grabpflege, orientiert an § 850b Absatz 1 Nummer 4 ZPO nicht überschritten werden. Auf die prognostische Sozialhilfebedürftigkeit für die Deckung der Bestattungskosten kommt es hingegen nicht an. Die Höhe der Versicherungsbeiträge ist angemessen, wenn kein auffälliges Missverhältnis zwischen dem Gesamtbetrag der Prämien und der Versicherungssumme im Vergleich zu anderen am Markt angebotenen Versicherungen besteht. Dass die Sterbegeldversicherung den Unfalltod mit einer verdoppelten Versicherungssumme absichert, führt allein nicht zur Unangemessenheit, solange keine wesentlich erhöhte Prämie angefallen ist. Da die von der Klägerin abgeschlossene Versicherung den genannten Anforderungen genügte, waren die Beiträge von ihrem Einkommen abzusetzen.
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