Bundessozialgericht

Verhandlung B 3 KR 4/22 R

Gesetzliche Krankenversicherung - Direktlieferung - Kontrastmittel - Sprechstundenbedarf - Rahmenvertrag - Exklusivliefervertrag - Vergütungsanspruch

Verhandlungstermin 21.09.2023 11:00 Uhr

Terminvorschau

B. V. GmbH ./. AOK Rheinland-Pfalz/Saarland
Im Streit steht ein Anspruch eines pharmazeutischen Großhändlers auf Vergütung der Lieferung von vertragsärztlich als Sprechstundenbedarf verordneten Kontrastmitteln.

Die Klägerin belieferte auf der Grundlage vertragsärztlicher Verordnungen radiologische Vertragsarztpraxen in Rheinland-Pfalz und im Saarland direkt mit Kontrastmitteln als Sprechstundenbedarf. Auf ihre hierfür mit Rechnungen zwischen März 2017 und März 2018 gegen die beklagte Krankenkasse als den Sprechstundenbedarf abwickelnde Stelle für die gesetzlichen Krankenkassen in Rheinland-Pfalz und Saarland geltend gemachten Vergütungsansprüche zahlte diese nur insoweit, als nach Auffassung der Beklagten einer Begleichung der Rechnungen nicht Exklusivlieferverträge über Kontrastmittel mit anderen Lieferanten entgegenstanden. Rahmenverträge, denen sie eine entsprechende Exklusivität beimaß, hatte sie nach einem europaweiten Ausschreibungsverfahren mit den bezuschlagten Unternehmen abgeschlossen. Über die Verträge hatte die Beklagte nicht bezuschlagte Lieferanten informiert. Die Klägerin, mit der kein Rahmenvertrag abgeschlossen worden war, hielt den Rechnungskürzungen entgegen, auf der Grundlage der von den Gesamtvertragspartnern abgeschlossenen Sprechstundenbedarfsvereinbarungen Rheinland-Pfalz und Saarland einen Vergütungsanspruch gegen die Beklagte für Direktlieferungen zu haben, dem bilaterale Exklusivlieferverträge mangels Rechtsgrundlage hierfür nicht entgegen gehalten werden könnten.

Mit ihrer Klage hatte die Klägerin Erfolg. Das Sozialgericht hat die Beklagte antragsgemäß zur Zahlung von insgesamt 1 138 681,74 Euro nebst Zinsen verurteilt. Das Landessozialgericht hat - nach einer geringfügigen Klagerücknahme - die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Der Vergütungsanspruch der Klägerin ergebe sich aus den Sprechstundenbedarfsvereinbarungen in Verbindung mit den vertragsärztlichen Verordnungen, ohne dass die Beklagte dem die Exklusivität der Verträge mit anderen Unternehmen entgegenhalten könne. Für diese Verträge gebe es weder eine gesetzliche Rechtsgrundlage, noch enthielten die Sprechstundenbedarfsvereinbarungen eine Ermächtigung der Krankenkassen hierzu. Allein der Bezug auf das Wirtschaftlichkeitsgebot genüge nicht als Rechtsgrundlage. Auch aus einer Einhaltung der Vorschriften des Vergaberechts könne nicht auf die sozialrechtliche Statthaftigkeit der Exklusivlieferverträge geschlossen werden.

Mit ihrer vom Landessozialgericht zugelassenen Revision rügt die Beklagte die Verletzung materiellen Rechts (§§ 69 ff. SGB V, § 69 Absatz 1 Satz 3 SGB V in Verbindung mit §§ 328 f. BGB sowie § 53 SGB X in Verbindung mit dem Wirtschaftlichkeitsgebot aus § 12, § 73 Absatz 8 SGB V). Zum einen könne aus den Sprechstundenbedarfsvereinbarungen in Verbindung mit den vertragsärztlichen Verordnungen kein Vergütungsanspruch der Klägerin hergeleitet werden. Zum anderen würden die Rechtswirkungen der von der Beklagten geschlossenen Exklusivlieferverträge verkannt. Verkannt habe das Landessozialgericht mit seiner revisionsrechtlich überprüfbaren Auslegung der Sprechstundenbedarfsvereinbarungen auch das in diesen geregelte Wirtschaftlichkeitsgebot.

Verfahrensgang:
Sozialgericht Düsseldorf, S 8 KR 219/18, 29.11.2018
Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, L 16 KR 868/18, 09.12.2021

Sämtliche Vorschauen zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in der Terminvorschau 36/23.

Terminbericht

Die Revision der Beklagten war erfolglos. Der Klägerin steht als pharmazeutischer Großhändler auf der Grundlage der Sprechstundenbedarfsvereinbarungen Rheinland-Pfalz und Saarland in Verbindung mit den vertragsärztlichen Verordnungen der geltend gemachte Vergütungsanspruch gegen die Beklagte für die Lieferung von Kontrastmitteln als Sprechstundenbedarf an Vertragsarztpraxen zu. Diesem Anspruch stehen die von der Beklagten mit anderen Kontrastmittel-Lieferanten geschlossenen Rahmenverträge nicht entgegen, weil diese die Klägerin nicht von der Berechtigung zur Belieferung auf entsprechende vertragsärztliche Verordnungen ausgeschlossen haben.

Rechtsgrundlage des Vergütungsanspruchs der Klägerin gegen die Beklagte sind die Sprechstundenbedarfsvereinbarungen in Verbindung mit den vertragsärztlichen Verordnungen von Kontrastmitteln der Klägerin, die diese als Sprechstundenbedarf direkt an die verordnenden Vertragsarztpraxen geliefert hat. Zu einer eigenen Auslegung der hier maßgeblichen Sprechstundenbedarfsvereinbarungen ist der Senat jedenfalls deshalb selbst berechtigt, weil sich die strittigen Regelungen zur Direktlieferung von Kontrastmitteln durch Großhändler und zur Begleichung von deren Rechnungen durch die den Sprechstundenbedarf abwickelnde Krankenkasse auch in anderen landesrechtlichen Sprechstundenbedarfsvereinbarungen finden und diese Wiederholung bewusst und gewollt ist, so dass ein Bedarf für eine bundeseinheitliche Auslegung durch das Revisionsgericht besteht.

Der Senat legt wie schon das Landessozialgericht die Sprechstundenbedarfsvereinbarungen dahin aus, dass sie einen unmittelbaren eigenen öffentlich-rechtlichen Vergütungsanspruch der auf vertragsärztliche Verordnung von Sprechstundenbedarf direkt an Vertragsärzte Kontrastmittel liefernden Großhändler gegen die Krankenkassen begründen. Dieser Anspruch ist in den einschlägigen Regelungen der Sprechstundenbedarfsvereinbarungen teils angelegt und teils vorausgesetzt, und er steht in Übereinstimmung mit den Strukturen des Leistungserbringungsrechts in der gesetzlichen Krankenversicherung: Pharmazeutische Großhändler als sonstige nichtärztliche Leistungserbringer im Sinne des § 69 Absatz 1 Satz 1 SGB V geben Kontrastmittel als Sprechstundenbedarf an verordnende Vertragsärzte im Direktvertriebsweg ab und werden hierfür von den Krankenkassen vergütet; Verordnung durch Vertragsärzte wie Leistungserbringung durch Großhändler und deren Vergütung durch die Krankenkassen stützen sich auf die Sprechstundenbedarfsvereinbarungen als untergesetzliches Kollektivvertragsrecht der Gesamtvertragspartner nach § 83 Satz 1 SGB V. Mit dieser Vergütungsübernahme durch die Krankenkassen wird nicht zuletzt die Belieferung der Vertragsarztpraxen mit den verordneten Kontrastmitteln als Sprechstundenbedarf und somit die Versorgung der gesetzlich Krankenversicherten sichergestellt. Dem entspricht auch vorliegend die langjährige Abrechnungspraxis der Beklagten selbst.

Diesem Vergütungsanspruch der Klägerin stehen die von der Beklagten mit anderen Kontrastmittel-Lieferanten nach einer europaweiten Ausschreibung geschlossenen Rahmenverträge nicht entgegen. Diesen kommt eine Ausschlusswirkung gegenüber nicht bezuschlagten Lieferanten wie der Klägerin nicht zu. Dabei kann letztlich offen bleiben, ob mit den Rahmenverträgen überhaupt eine entsprechende Exklusivität vereinbart worden ist. Jedenfalls fehlt es für eine solche Ausschlusswirkung gegenüber auf vertragsärztliche Verordnung Kontrastmittel als Sprechstundenbedarf liefernde Großhändler, die nicht Rahmenvertragspartner sind, an einer hinreichenden normativen Grundlage. Diese vermag sich nicht bereits aus dem allgemeinen Wirtschaftlichkeitsgebot in der gesetzlichen Krankenversicherung zu ergeben. Dieses legitimiert nicht den Ausschluss nicht bezuschlagter Lieferanten von der Lieferung vertragsärztlich verordneter Kontrastmittel als Sprechstundenbedarf und deren Vergütung hierfür durch die Krankenkassen auf der Grundlage der Sprechstundenbedarfsvereinbarungen. Für einen Ausschluss nicht bezuschlagter Lieferanten von der Leistungserbringung und damit faktisch für einen entsprechenden Verordnungsausschluss gegenüber Vertragsärzten in Abweichung von den Sprechstundenbedarfsvereinbarungen bedürfte es im Rahmen des hoch ausdifferenzierten Regelungssystem der Versorgung und Leistungserbringung in der gesetzlichen Krankenversicherung einer dahin gehenden näheren normativen Konkretisierung des abstrakt formulierten Wirtschaftlichkeitsgebots. Ohne eine solche bleibt es dabei, dass von Vertragsärzten als Sprechstundenbedarf verordnete und von Großhändlern gelieferte Kontrastmittel diesen von den Krankenkassen zu vergüten sind.

Der Senat kann offen lassen, ob und gegebenenfalls welche Folgen es für Vertragsärzte haben kann, wenn diese als Sprechstundenbedarf Kontrastmittel verordnen, ohne dabei von Krankenkassen geschlossene Rahmenverträge über Kontrastmittellieferungen zu beachten, über die sie als wirtschaftlichen Bezugsweg informiert worden sind, und wenn Krankenkassen, anders als vorliegend, die Kontrastmittellieferungen gegenüber dem nicht bezuschlagten Lieferanten vergüten. Dies kann nur Gegenstand einer nachgelagerten vertragsarztrechtlichen Wirtschaftlichkeitsprüfung sein, der indes keine rechtlichen Vorwirkungen mit Blick auf die Lieferberechtigung und den Vergütungsanspruch nicht bezuschlagter Lieferanten zuzukommen vermögen.

Sämtliche Berichte zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in dem Terminbericht 36/23.

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