Bundessozialgericht

Verhandlung B 3 KR 9/22 R

Gesetzliche Krankenversicherung - örtliche Berufsausübungsgemeinschaft - ambulante spezialfachärztliche Versorgung - institutionelle Benennung - vertragsärztliche Versorgung - medizinisches Versorgungszentrum

Verhandlungstermin 21.09.2023 13:00 Uhr

Terminvorschau

R. Z. M.-P. /. Erweiterter Landesausschuss nach § 116b SGB V der Ärzte, Krankenhäuser und  Krankenkassen in Bayern
Im Streit steht ein Anspruch einer örtlichen Berufsausübungsgemeinschaft auf Teilnahme an der ambulanten spezialfachärztlichen Versorgung (ASV) nach § 116b SGB V im Rahmen einer institutionellen Benennung.

Die klagende örtliche Berufsausübungsgemeinschaft begehrte vom beklagten erweiterten Landesausschuss im Anzeigeverfahren ihre institutionelle Benennung als von einem an der ASV-Versorgung bereits teilnehmenden ASV-Kernteam zur Leistungserbringung hinzuzuziehende fachärztliche Institution. Der Beklagte teilte mit, dass die Klägerin hierzu nicht berechtigt sei (Negativmitteilung), weil sie selbst kein an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmender Leistungserbringer im Sinne des § 116b Absatz 2 Satz 1 SGB V sei. Die ASV-Berechtigung knüpfe bei den an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Leistungserbringern an deren zulassungsrechtlichen Status an; eine Berufsausübungsgemeinschaft verfüge aber, anders als ein medizinisches Versorgungszentrum, als Institution nicht selbst über eine Zulassung zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung nach § 95 Absatz 1 Satz 1 SGB V. Die zuvor mitgeteilte ASV-Berechtigung eines in der klagenden Berufsausübungsgemeinschaft tätigen, namentlich benannten Vertragsarztes (Positivmitteilung) bleibe hiervon unberührt.

Klage und Berufung blieben ohne Erfolg. Das Sozialgericht und das Landessozialgericht haben darauf abgestellt, dass nach § 95 Absatz 1 Satz 1 SGB V Berufsausübungsgemeinschaften keine an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Leistungserbringer und somit auch nicht als Institution leistungsberechtigt im Sinne des § 116b Absatz 2 Satz 1 SGB V seien. Ihr vertragsarztrechtlicher Status - Genehmigung nach § 33 Absatz 3 Ärzte-ZV - sei zwar dem eines zugelassenen medizinischen Versorgungszentrums angenähert, entspreche diesem jedoch mangels eines eigenen Zulassungsstatus nicht. Diese gesetzliche Unterscheidung im vertragsärztlichen Zulassungsrecht rechtfertige die unterschiedliche Behandlung auch im Rahmen der ASV. Anderes ergebe sich nicht aus den Tragenden Gründen des Gemeinsamen Bundesausschusses zu seiner ASV-Richtlinie vom 21. März 2013.

Mit ihrer vom Landessozialgericht zugelassenen Revision rügt die Klägerin eine Verletzung materiellen Rechts (insbesondere § 116b Absatz 2 Satz 1 SGB V). Allein der formale Unterschied zwischen der Zulassung eines medizinischen Versorgungszentrums und der Genehmigung einer Berufsausübungsgemeinschaft rechtfertige nicht die Ungleichbehandlung, dass die eine Einrichtung als Institution zur Teilnahme an der ASV berechtigt sei und die andere nicht.

Verfahrensgang:
Sozialgericht München, S 28 KR 499/21, 05.10.2021
Bayerisches Landessozialgericht, L 12 KR 546/21, 08.04.2022

Sämtliche Vorschauen zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in der Terminvorschau 36/23.

Terminbericht

Die Revision der Klägerin war erfolglos. Berufsausübungsgemeinschaften können nicht als im Rahmen der ambulanten spezialfachärztlichen Versorgung (ASV) hinzuzuziehende fachärztliche Einrichtung institutionell benannt werden.

Mit der ASV nach § 116b SGB V hat der Gesetzgeber einen eigenständigen, die Sektoren der ambulanten und stationären Versorgung verbindenden Versorgungsbereich neu etabliert. Die ASV umfasst die Diagnostik und Behandlung näher bestimmter Krankheiten, die unter anderem eine interdisziplinäre Zusammenarbeit erfordern (§ 116b Absatz 1 Satz 1 SGB V). Berechtigt, Leistungen der ASV zu erbringen, sind an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmende Leistungserbringer und nach § 108 SGB V zugelassene Krankenhäuser, soweit sie näher bestimmte Anforderungen und Voraussetzungen erfüllen (§ 116b Absatz 2 Satz 1).

Der Regelung des § 116b Absatz 2 Satz 1 SGB V kann keine eigenständige Definition des Begriffs “an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmende Leistungserbringer“ entnommen werden. Bezug genommen ist damit vielmehr auf § 95 Absatz 1 Satz 1 SGB V. Danach nehmen an der vertragsärztlichen Versorgung zugelassene Ärzte und zugelassene medizinische Versorgungszentren sowie ermächtigte Ärzte und ermächtigte Einrichtungen teil. Berufsausübungsgemeinschaften haben in diese abschließende Aufzählung der Teilnahmeformen keinen Eingang gefunden. Sie verfügen, anders als medizinische Versorgungszentren und ermächtigte Einrichtungen, nicht selbst als Einrichtung über eine vertragsarztrechtliche Zulassung oder Ermächtigung. Die gemeinsame Ausübung vertragsärztlicher Tätigkeit, die unter allen zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen Leistungserbringern in Form einer Berufsausübungsgemeinschaft zulässig ist, erfordert keine vertragsarztrechtliche Zulassung zur Versorgung, sondern bedarf der vorherigen Genehmigung des Zulassungsausschusses (§ 33 Absatz 2 und 3 Ärzte-ZV), die von den zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen Leistungserbringern zu beantragen ist und ihnen gegenüber erteilt wird. Diese Genehmigung ist anders als eine vertragsarztrechtliche Zulassung oder Ermächtigung ungeachtet ihrer Statusrelevanz lediglich die Gestattung einer besonderen Form der Berufsausübung.

Eine Erweiterung der ASV-Berechtigung über § 116b Absatz 2 Satz 1 in Verbindung mit § 95 Absatz 1 Satz 1 SGB V hinaus ergibt sich nicht aus der auf § 116b Absatz 4 und 5 gestützten Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses (ASV-RL vom 21. März 2013). Soweit diese neben der sonst erforderlichen namentlichen Benennung für bei medizinischer Notwendigkeit vom ASV-Kernteam hinzuzuziehende Fachärztinnen und Fachärzte auch eine institutionelle Benennung ausreichen lässt (§ 2 Absatz 2 Satz 5 und 7 ASV-RL), kann dem eine ASV-Berechtigung einer hinzuzuziehenden Institution auch ohne deren vertragsarztrechtliche Zulassung oder Ermächtigung nicht entnommen werden. Da § 2 Absatz 1 Satz 1 ASV-RL die ASV-Berechtigung in Übereinstimmung mit § 116b Absatz 2 Satz 1 SGB V definiert und nach § 2 Absatz 3 Satz 1 ASV-RL die Teilnahme an der ASV mit dem Ende der entsprechenden vertragsarztrechtlichen Zulassung endet, kann als Institution nur eine solche benannt werden, die wie ein medizinisches Versorgungszentrum selbst über eine vertragsarztrechtliche Zulassung verfügt. Anderes folgt nicht aus den Tragenden Gründen des Gemeinsamen Bundesausschusses zur ASV-RL. Soweit in diesen als Beispiel einer nach § 2 Absatz 2 Satz 5 ASV-RL hinzuzuziehenden Institution neben einem medizinischen Versorgungszentrum oder einem Krankenhaus auch eine Berufsausübungsgemeinschaft genannt ist, trägt allein dies nicht den Schluss, dass mit der ASV-RL die gesetzlich geregelte ASV-Berechtigung aufgrund einer vertragsarztrechtlichen Zulassung auf eine Berufsausübungsgemeinschaft erweitert worden ist. Dieser Schluss ist auch nicht durch den insbesondere in einer Verfahrenserleichterung und Verwaltungsvereinfachung liegenden Sinn und Zweck der Ermöglichung einer institutionellen Benennung geboten.

Verfassungsrecht steht dem nicht entgegen. Insbesondere verstößt es nicht gegen das Gleichbehandlungsgebot des Artikels 3 Absatz 1 GG, dass Berufsausübungsgemeinschaften anders als medizinische Versorgungszentren nicht im Rahmen der ASV als hinzuzuziehende fachärztliche Institution benannt werden können. Anders als medizinische Versorgungszentren verfügen Berufsausübungsgemeinschaften nicht selbst über einen eigenen vertragsarztrechtlichen Zulassungsstatus; in ihr kooperieren vielmehr zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassene Leistungserbringer und der Status einer Berufsausübungsgemeinschaft ist dem eines Einzelarztes angenähert. An diesen rechtlich geprägten unterschiedlichen Status durfte der Gesetzgeber mit der ASV-Berechtigung anknüpfen, ohne gegen Artikel 3 Absatz 1 GG zu verstoßen, zumal neben dem unterschiedlichen vertragsarztrechtlichen Status weitere Unterschiede zwischen Berufsausübungsgemeinschaften und medizinischen Versorgungszentren bestehen, etwa bei vertragsarztrechtlichen und zivilrechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten; Änderungen des Rechts der medizinischen Versorgungszentren (etwa § 95 Absatz 1a SGB V zur Einschränkung zulässiger Organisationsformen) sowie die Rechtsprechung zu Berufsausübungsgemeinschaften (etwa zu einer der Berufsausübungsgemeinschaft und nicht einem ihr angehörenden einzelnen Mitglied zu erteilenden Genehmigung zur Anstellung eines Arztes oder zu ihrer Stellung in einem Nachbesetzungsverfahren) haben zwar zur Annäherung beider Kooperationsformen geführt, die neben dem formal unterschiedlichen Status bestehenden Unterschiede aber nicht vollständig entfallen lassen. An diese fortbestehenden Unterschiede von Berufsausübungsgemeinschaften und medizinischen Versorgungszentren durfte der Gesetzgeber mit der derzeit geltenden ASV-Berechtigung sachgerecht anknüpfen, auch wenn allein diese Unterschiede die gesetzliche Regelung einer ASV-Berechtigung von Berufsausübungsgemeinschaften als hinzuzuziehende Institution nicht ausschließen dürften. Ohnehin unberührt von der unterschiedlichen Behandlung von Berufsausübungsgemeinschaften und medizinischen Versorgungszentren im Rahmen der ASV-Berechtigung bleibt die Berechtigung zur Teilnahme an der ASV von in einer Berufsausübungsgemeinschaft kooperierenden und zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen Leistungserbringern. Entsprechend war auch vorliegend die ASV-Berechtigung eines der Klägerin angehörenden Vertragsarztes als von einem ASV-Team hinzuzuziehender, namentlich benannter Facharzt vom Beklagten mitgeteilt worden und ist dies von der festgestellten fehlenden Berechtigung der Berufsausübungsgemeinschaft unberührt geblieben.

Sämtliche Berichte zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in dem Terminbericht 36/23.

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