Bundessozialgericht

Verhandlung B 2 U 13/21 R

Unfallversicherung - Berufskrankheit - bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule - Überprüfungsverfahren - Rechtskraft - Feststellungsurteil - Streitgegenstand

Verhandlungstermin 27.09.2023 10:00 Uhr

Terminvorschau

I.Z. ./. Berufsgenossenschaft Holz und Metall
Der Kläger arbeitete seit 1973 in der Produktion eines Kfz-Herstellers und wechselte wegen Rückenbeschwerden ab 1994 in den Bereich Nacharbeit und Analyse. Die Beklagte stellte fest, es bestehe keine Berufskrankheit nach Nummer 2108 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (Bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugenhaltung, die zu chronischen oder chronisch-rezidivierenden Beschwerden und Funktionseinschränkungen <der Lendenwirbelsäule> geführt haben - BK 2108), weil ein belastungskonformes Schadensbild fehle. Klage, Berufung und Nichtzulassungsbeschwerde waren ohne Erfolg (Urteil des Sozialgerichts vom 24. Mai 2016, Urteil des Landessozialgerichts vom 26. Januar 2018, Beschluss des Bundessozialgerichts vom 5. Juni 2018 ‑ B 2 U 72/18 B). 

Den Überprüfungsantrag des Klägers lehnte die Beklagte ab. Das Sozialgericht hat die Klage abgewiesen, das Landessozialgericht die Berufung zurückgewiesen. Aufgrund des Berufungsurteils vom 26. Januar 2018 stehe rechtskräftig fest, dass keine BK 2108 vorliege. Damals habe der Kläger mit der Klage unter anderem erfolglos die Feststellung der BK 2108 begehrt. Werde eine auf Feststellung eines Rechtsverhältnisses gerichtete Klage rechtskräftig abgewiesen, stehe das Gegenteil der begehrten Feststellung, nämlich das Nichtbestehen des Rechtsverhältnisses fest. Die Rechtskraft des Feststellungsurteils könne - im Gegensatz zur Rechtskraft anderer Urteilsarten -  nicht durch § 44 SGB X überwunden werden.

Mit der Revision rügt der Kläger unter anderem die Verletzung materiellen Rechts (§ 44 Absatz 1 SGB X). Der Einwand der entgegenstehenden Rechtskraft könne nicht erhoben werden, weil im Zugunstenverfahren über einen anderen Streitgegenstand gestritten werde.

Verfahrensgang:
Sozialgericht Heilbronn, S 8 U 121/19, 10.09.2019
Landessozialgericht Baden-Württemberg, L 12 U 3510/19, 05.10.2020

Sämtliche Vorschauen zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in der Terminvorschau 39/23.

Terminbericht

Die Revision des Klägers ist im Sinne der Zurückverweisung erfolgreich. Aufgrund des rechtskräftigen Berufungsurteils vom 26. Januar 2018 im Ausgangsverfahren steht für das vom Kläger betriebene Zugunstenverfahren nicht bindend fest, dass keine Berufskrankheit Nummer 2108 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung vorliegt. Für eine abschließende Entscheidung über das Rücknahmebegehren des Klägers reichen die festgestellten Tatsachen indes nicht aus.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ist die Rücknahme eines nicht begünstigenden Verwaltungsaktes auch dann noch möglich, wenn dessen Rechtmäßigkeit bereits im Rahmen einer Anfechtungs-, Leistungs- oder Verpflichtungsklage durch rechtskräftiges Urteil inzident bestätigt worden ist. Nichts anderes gilt für rechtskräftige Feststellungsurteile. Sie haben weder eine höhere Richtigkeitsgewähr als andere Gerichtsentscheidungen noch ist unter Gleichheitsgesichtspunkten ein Sachgrund ersichtlich, die Rechtskraft von Feststellungsurteilen im Zugunstenverfahren anders zu behandeln als die Rechtskraft anderer Urteilsarten. Die Sonderregelung des § 44 SGB X gibt der materiellen Gerechtigkeit den Vorrang gegenüber dem Prinzip der Rechtssicherheit und schränkt damit auch in der gesetzlichen Unfallversicherung zugleich die Rechtskraftwirkung bereits ergangener Urteile ein.

Das Landessozialgericht wird daher im wiedereröffneten Berufungsverfahren inhaltlich prüfen und festzustellen haben, ob die arbeitstechnischen Voraussetzungen auf der Grundlage des modifizierten Mainz-Dortmunder-Dosis-Modells und die medizinischen Voraussetzungen auf der Basis der sogenannten Konsensempfehlungen im Erlasszeitpunkt erfüllt waren. Sollten diese Voraussetzungen ‑ mit Ausnahme der tatsächlichen Aufgabe der zur Schädigung geeigneten Tätigkeiten ‑ damals vorgelegen haben, wird das Landessozialgericht die Beklagte ‑ auch bei fortgesetzter Nichtaufgabe der schädigenden Tätigkeiten ‑ verpflichten müssen, die Berufskrankheit Nummer 2108 nach Aufgabe des Unterlassungszwangs jedenfalls ab dem 1. Januar 2021 festzustellen.

Sämtliche Berichte zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in dem Terminbericht 39/23.

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