Verhandlung B 7 AS 17/22 R
Grundsicherung für Arbeitsuchende - vorläufige Bewilligung - Fiktionswirkung - Antrag auf abschließende Entscheidung
Verhandlungstermin
27.09.2023 10:30 Uhr
Terminvorschau
G. K. ./. Jobcenter Lippe
Im Streit ist eine Erstattungsforderung im Rahmen einer abschließenden Entscheidung nach vorläufiger Bewilligung für Juli bis Dezember 2016.
Das beklagte Jobcenter bewilligte der Klägerin, die unter anderem Einkommen aus einer selbständigen Tätigkeit erzielte, vorläufig Alg II (Bescheid vom 4. Juli 2016). Während des dagegen geführten Klageverfahrens legte sie dem Beklagten Unterlagen mit abschließenden Angaben zu ihren Einnahmen und Ausgaben vor (Formular “EKS“). Der Beklagte setzte sodann die Leistungen abschließend fest (Bescheid vom 7. Mai 2018) und forderte die Klägerin auf, 843,70 Euro zu erstatten.
Die zunächst auf höhere Leistungen und auf Aufhebung des Festsetzungs- und Erstattungsbescheids gerichtete Klage hat das Sozialgericht abgewiesen. Das Landessozialgericht hat das Urteil des Sozialgerichts geändert und den Bescheid vom 7. Mai 2018 aufgehoben. Dieser sei alleiniger Gegenstand der Klage und aufzuheben, weil im Zeitpunkt seines Erlasses die mit Bescheid vom 4. Juli 2016 vorläufig bewilligten Leistungen wegen der Fiktion des § 41a Absatz 5 Satz 1 SGB II als abschließend festgesetzt galten. Insbesondere habe die Klägerin nicht innerhalb der Jahresfrist eine abschließende Entscheidung beantragt. Dem Eintritt der Fiktion stehe auch nicht der Umstand entgegen, dass die vorläufige Entscheidung noch nicht bestandskräftig, sondern Gegenstand einer Klage gewesen sei. Offen bleiben könne, ob der Beklagte den endgültig gewordenen Bescheid nach §§ 45 ff SGB X hätte teilweise aufheben können, denn eine solche Entscheidung treffe der Bescheid vom 7. Mai 2018 nicht.
Hiergegen wendet sich der Beklagte mit seiner vom Landessozialgericht zugelassenen Revision. Er rügt eine Verletzung des § 41a Absatz 5 Satz 2 Nummer 1 SGB II. Bei der Einreichung des Formulars "EKS" mit abschließenden Angaben handele es sich um einen Antrag im Sinne dieser Regelung.
Verfahrensgang:
Sozialgericht Detmold, S 19 AS 1430/16, 11.11.2020
Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, L 6 AS 1867/20, 03.02.2022
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Terminbericht
Die Revision des Beklagten ist ohne Erfolg geblieben. Zutreffend hat das Landessozialgericht entschieden, dass der Bescheid vom 7. Mai 2018 rechtswidrig ist und die Klägerin in ihren Rechten verletzt.
Zu Unrecht ist der Beklagte bei Erlass des Bescheids vom 7. Mai 2018 davon ausgegangen, die Voraussetzungen für eine abschließende Entscheidung nach vorläufiger Bewilligung lagen zu diesem Zeitpunkt noch vor. Dies hätte vorausgesetzt, dass im Zeitpunkt des Bescheiderlasses noch eine vorläufige Bewilligung besteht, die durch eine abschließende Bewilligung ersetzt werden kann. Daran fehlte es jedoch, denn die vorläufige Bewilligung im Bescheid vom 4. Juli 2016 galt bereits mit Ablauf des 31. Dezember 2017 nach Maßgabe des § 41a Absatz 5 Satz 1 SGB II als abschließend festgesetzt (Fiktionswirkung) und damit vor Erlass des hier angefochtenen Bescheids.
Eine der gesetzlich vorgesehenen Ausnahmen vom Eintritt der Fiktionswirkung liegt nicht vor. Die Klägerin hat nach Maßgabe der vom Landessozialgericht festgestellten Tatsachen, an die das Revisionsgericht gebunden ist und zu denen auch ihr im Wege der Auslegung zu ermittelnder Erklärungswille zählt, mit ihrer E-Mail vom 24. November 2017 keinen Antrag auf Erlass einer abschließenden Entscheidung gestellt. Ein solcher Antrag ist auch nicht darin zu sehen, dass sie auf dem im März 2017 eingereichten Formular “EKS“ das Erklärungsfeld “abschließende Angaben“ angekreuzt hatte. Insoweit erfüllte sie lediglich ihre Mitwirkungsobliegenheiten, auf die sie im vorläufigen Bewilligungsbescheid hingewiesen worden war. Diese Auslegung durch das Landessozialgericht kann das Revisionsgericht uneingeschränkt überprüfen, weil es sich um eine für das SGB II typische, formularmäßige Erklärung handelt.
Die abschließende Entscheidung vom 7. Mai 2018 kann auch nicht dahin ausgelegt werden, der Beklagte habe eine Aufhebungsentscheidung nach §§ 45, 48 SGB X treffen wollen. Die Fiktionswirkung umfasst zwar nicht auch die Frage der inhaltlichen Richtigkeit, sondern beschränkt sich auf die Erledigung der Vorläufigkeit der Entscheidung. Zugleich ist die Überprüfung der Bewilligung auch nicht darauf beschränkt, ob die Voraussetzungen für den Eintritt der Fiktionswirkung vorgelegen haben. Doch liegt im Bescheid vom 7. Mai 2018 weder eine ausdrückliche Aufhebung der vorläufigen Bewilligung noch ist eine solche im Wege der Auslegung zu erkennen. Schließlich scheidet auch eine Umdeutung des angefochtenen Bescheids in eine Aufhebungsentscheidung aus.
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