Bundessozialgericht

Verhandlung B 12 R 9/21 R

Versicherungs- und Beitragsrecht - Zahnarzt im Notdienst - Notfalldienstzentrum - Statusfeststellung - abhängige Beschäftigung - selbständige Tätigkeit

Verhandlungstermin 24.10.2023 11:45 Uhr

Terminvorschau

H. K. ./. Deutsche Rentenversicherung Bund, beigeladen: Kassenzahnärztliche Vereinigung Baden-Württemberg
Der klagende Zahnarzt verfügt seit dem Verkauf seiner Praxis im Jahr 2017 nicht mehr über eine Zulassung zur vertragszahnärztlichen Versorgung. Ab 20.1.2018 bis einschließlich 19.4.2019 war er an bestimmten Tagen für die beigeladene Kassenzahnärztliche Vereinigung Baden-Württemberg als Zahnarzt im Rahmen des Notdienstes überwiegend am Wochenende tätig. Die Tätigkeit fand in durch die Beigeladene angemieteten und durch diese mit Geräten, Material und Personal ausgestatteten Räumlichkeiten eines Notfalldienstzentrums statt. Der Notdienst wurde sowohl durch an der zahnärztlichen Versorgung teilnehmende Zahnärzte als auch durch nicht zugelassene Zahnärzte - wie den Kläger - durchgeführt. Der Kläger konnte der Beigeladenen seine Bereitschaft zur Übernahme konkreter Schichten erklären. Hiervon ausgehend teilte ihn die Beigeladene nach ihrem Ermessen zu konkreten Schichten ein. Während einer Schicht waren neben dem Kläger ein bis zwei zahnmedizinische Fachangestellte anwesend, die Assistenz- und Dokumentationstätigkeiten ausführten. Die Vergütung des Klägers richtete sich nach der jeweiligen Schicht und lag pro Stunde zwischen 34 Euro und 50 Euro.

Auf den Statusfeststellungsantrag des Klägers stellte die beklagte Deutsche Rentenversicherung Bund fest, dass die im Zeitraum 20.1.2018 bis 19.4.2019 verrichteten Einsätze des Klägers nicht im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses ausgeübt worden seien und daher keine Versicherungspflicht bestanden habe. Das Sozialgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landessozialgericht hat die auf die Feststellung der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung beschränkte Berufung zurückgewiesen. An einem Beschäftigungsverhältnis fehle es insbesondere deshalb, weil der Kläger durch die Beigeladene mittels eines (mitwirkungsbedürftigen) Verwaltungsakts zum zahnärztlichen Notdienst herangezogen worden sei und er gemäß § 75 Absatz 1b Satz 5 SGB V für die Dauer des Notdienstes an der vertragszahnärztlichen Versorgung teilgenommen habe. Dieses Rechtsverhältnis sei nahezu vollständig durch öffentlich-rechtliche Normen geprägt. Die Beigeladene habe auch keinen "Betrieb" im arbeitsrechtlichen Sinne organisiert.

Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Revision. Er rügt unter anderem eine Verletzung von § 7 Absatz 1 Satz 1 SGB IV. Das Landessozialgericht habe die aktuelle Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zu Honorarärzten vom 4.6.2019 nicht ausreichend gewürdigt. Beim Notfalldienstzentrum handele es sich um einen Betrieb der Beigeladenen. Sie habe Räumlichkeiten, Ausstattung und Personal zur Verfügung gestellt und den Schichtplan organisiert. Bei der Tätigkeit habe er konkrete Vorgaben der Beigeladenen zu beachten gehabt. Zudem habe er im Kernbereich seiner Aufgaben arbeitsteilig mit den Mitarbeitern der Beigeladenen in medizinischen Fragen zusammenwirken müssen. Die vom Landessozialgericht konstruierte Annahme seiner partiellen Einbeziehung in die vertragszahnärztliche Versorgung durch Verwaltungsakt begründe keine Selbstständigkeit. Anders als einem Vertragszahnarzt würde ihm bereits die Abrechnungsbefugnis fehlen. Tatsächlich habe er nur eine feste Stundenvergütung erhalten. Zudem sei nur konkret die Tätigkeit im zahnärztlichen Notfalldienstzentrum genehmigt worden.

Verfahrensgang:
Sozialgericht Stuttgart, S 7 BA 108/20, 08.09.2020
Landessozialgericht Baden-Württemberg, L 11 BA 3136/20, 20.07.2021

Sämtliche Vorschauen zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in der Terminvorschau 43/23.

Terminbericht

Die Revision des Klägers ist erfolgreich gewesen. In seiner Tätigkeit für die beigeladene Kassenzahnärztliche Vereinigung Baden-Württemberg im Rahmen des vertragszahnärztlichen Notdienstes unterlag der Kläger aufgrund Beschäftigung der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung.

Der Kläger war in einer seine Tätigkeit prägenden Weise in die durch die beigeladene Kassenzahnärztliche Vereinigung vorgehaltenen Abläufe eingegliedert. Bei seinen Diensten fügte er sich in die von der Beigeladenen vorgegebene Organisation des vertragszahnärztlichen Notdienstes ein. Sie mietete die Räumlichkeiten an und sorgte für die personelle und materielle Ausstattung. Auf diese Ausstattung war der Kläger angewiesen. Dem Kläger war auch nicht das Recht eingeräumt, nach seinem Ermessen eine (qualifizierte) Vertretung zu organisieren. Vielmehr konnte er nur mit einem anderen, am Notdienst im jeweiligen Quartal teilnehmenden Zahnarzt eine Schicht tauschen. Unternehmerischer Spielraum ergibt sich daraus nicht. Vielmehr erweist sich seine Tätigkeit - abgesehen vom Kernbereich der medizinischen Behandlung - als fremdbestimmt. Auch war der Kläger nicht einem nennenswerten Unternehmerrisiko ausgesetzt. Er erhielt einen festen Lohn für geleistete Einsatzstunden und hatte keinen Verdienstausfall zu befürchten.

Besonderheiten des Vertrags(zahn)arztrechts rechtfertigen keine abweichende Entscheidung. Selbst wenn die Notdiensttätigkeit aufgrund eines Verwaltungsakts erbracht worden wäre, würde allein dadurch eine Beschäftigung nicht ausgeschlossen. Auch für Tätigkeiten im ärztlichen Notdienst bestimmt sich der sozialversicherungsrechtliche Status nach den Gesamtumständen des Einzelfalls. Ungeachtet dessen war der Kläger nach seinen Vereinbarungen mit der Beigeladenen nicht berechtigt, die von ihm im Notdienst erbrachten Leistungen individuell abzurechnen. Er erhielt eine feste Stundenvergütung und war daher nicht ‑ wie ein regelmäßig selbstständiger Vertragszahnarzt ‑ in die Strukturen des Vertragsarztsystems einbezogen.

Sämtliche Berichte zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in dem Terminbericht 43/23.

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