Bundessozialgericht

Verhandlung B 6 KA 17/22 R

Vertragsarztrecht - ärztlicher Bereitschaftsdienst - in eigener Praxis ausschließlich privatärztlich tätige Ärzte - Hessisches Heilberufsgesetz - Kostenbeteiligung - Beitragsbemessung

Verhandlungstermin 25.10.2023 12:30 Uhr

Terminvorschau

Die Verfahren B 6 KA 16/22 R, B 6 KA 17/22 R und B 6 KA 20/22 R betreffen Rechtsfragen im Zusammenhang mit der im Hessischen Heilberufsgesetz geregelten Verpflichtung von in eigener Praxis tätigen Privatärzten, am ärztlichen Bereitschaftsdienst der beklagten Kassenärztlichen Vereinigung teilzunehmen und sich an dessen Kosten zu beteiligen. Das Hessische Heilberufsgesetz verweist hierzu auf die Berufsordnung der Landesärztekammer, in der das Nähere geregelt wird. Die seit Juni 2019 geltende Berufsordnung verweist wiederum auf die Bereitschaftsdienstordnung der Beklagten in der von der Vertreterversammlung beschlossenen, zuletzt am 27. Dezember 2018 geänderten Fassung, die für die Einrichtung und Durchführung des ärztlichen Bereitschaftsdienstes im Einzelnen maßgeblich ist.

Dr. U. B. ./. Kassenärztliche Vereinigung Hessen
Die Beteiligten streiten über die Beitragsfestsetzung zur Finanzierung des ärztlichen Bereitschaftsdiensts der beklagten Kassenärztlichen Vereinigung.

Die Klägerin ist als niedergelassene Ärztin in eigener Praxis ausschließlich privatärztlich tätig. Die Beklagte setzte ihr gegenüber Beiträge zur Finanzierung des ärztlichen Bereitschaftsdiensts für die Quartale 3/2019 und 4/2019 jeweils in Höhe des pauschalen Höchstbetrags von 750 Euro fest, für die Quartale 1/2020 bis 4/2020 in Höhe von insgesamt 3000 Euro. Der hiergegen gerichtete Widerspruch blieb erfolglos. Auf Antrag der Klägerin reduzierte die Beklagte die Beiträge für die Quartale 3/2019 und 4/2019 jeweils auf 355,53 Euro, für die Quartale 1/2020 bis 4/2020 jeweils auf 430,19 Euro. Das Sozialgericht hat die Bescheide der Beklagten aufgehoben, da die Satzungsregelung zur Berechnung der Beitragshöhe gegen Artikel 3 Absatz 2 GG verstoße. Die Ungleichbehandlung ergebe sich daraus, dass bei den Vertragsärzten bei der Berechnung und Festsetzung der Beitragshöhe ohne sachliche Gründe auf die Berücksichtigung der Einnahmen aus privatärztlicher Tätigkeit verzichtet werde.

Das Landessozialgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Die Begründung entspricht im Wesentlichen den Entscheidungsgründen im Rechtsstreit B 6 KA 16/22 R.

Hiergegen wendet sich die Beklagte mit ihrer Revision und rügt die Verletzung materiellen Bundesrechts sowie Verfahrensrechts im Wesentlichen wie im Rechtsstreit B 6 KA 16/22 R. Die Beitragsbemessung verstoße nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz. Es fehle an einer wesentlichen Gleichheit der Gruppen der Vertragsärzte und Privatärzte. Die Beitragsbescheide beruhten auf unterschiedlichen Rechtsgrundlagen.

Verfahrensgang:
Sozialgericht Marburg, S 11 KA 465/20, 28.01.2022
Hessisches Landessozialgericht, L 4 KA 16/22, 27.07.2022

Sämtliche Vorschauen zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in der Terminvorschau 42/23.

Terminbericht

Die Revision der Beklagten war erfolglos. Im Ergebnis zu Recht haben die Vorinstanzen  die angefochtenen Beitragsbescheide aufgehoben, und hat das Landessozialgericht die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Zu diesem Ergebnis kommt der Senat jedoch aufgrund einer anderen Rechtsauffassung als die Vorinstanzen.

Der Senat hat - aus den im Rechtsstreit B 6 KA 16/22 R mitgeteilten Gründen - keine revisionsrechtlichen Bedenken gegen die verpflichtende Kostenbeteiligung niedergelassener Privatärzte am ärztlichen Bereitschaftsdienst der Beklagten dem Grunde nach. Allerdings fehlt es dem Satzungsrecht derzeit an einer hinreichenden Ausgestaltung der landesgesetzlichen Kostenbeteiligung und daher an einer Rechtsgrundlage für die Beitragsfestsetzungen. Weder dem Satzungsrecht der Landesärztekammer noch dem der Beklagten ist zu entnehmen, nach welchen Bemessungsgrundsätzen die Beitragsfestsetzungen für Privatärzte der Höhe nach kalkuliert sind.

Die Bereitschaftsdienstordnung regelt die Finanzierung des ärztlichen Bereitschaftsdienstes - wenn der vorrangige Betriebskostenabzug aufgrund abgerechneter Leistungen nicht ausreichend ist - in der Weise, dass bei Vertragsärzten ein prozentualer Abzug je Quartal vom Honorar des abrechnenden Arztes bis zu einem festgelegten Höchstbetrag erhoben wird. Bei Privatärzten beläuft sich der Beitrag grundsätzlich auf den halben Höchstbetrag je Quartal. Anstelle dieses Höchstbetrags kann bei Privatärzten - wie hier - auf Antrag ein prozentualer Abzug ausgehend vom Jahresbruttoeinkommen des Vorvorjahres bei der Beitragsbemessung zugrunde gelegt werden. Nach der Bereitschaftsdienstordnung bestimmt allein der Vorstand der Beklagten sowohl die Höhe des pauschalen Höchstbetrags als auch den prozentualen Abzug als solchen mit Wirkung für Privatärzte. Dem Satzungsrecht sind aber keine Bemessungsgrundsätze oder Kriterien zu entnehmen, nach welchen Maßstäben der Vorstand der Beklagten diese Beträge festlegt.

Zwar ist es grundsätzlich nicht zu beanstanden, dass die Landesärztekammer auf die von der Vertreterversammlung der Kassenärztlichen Vereinigung beschlossene Bereitschaftsdienstordnung in der Fassung vom 27.10.2018 verweist (sogenannte statische Verweisung). Voraussetzung ist in diesem Fall jedoch, dass die so in Bezug genommene Bereitschaftsdienstordnung die wesentlichen Festlegungen enthält und dass diese nicht letztlich dem Vorstand der Beklagten zur freien Gestaltung übertragen werden. Um die Beitragsfestsetzungen hinreichend rechtstaatlich-demokratisch zu legitimieren, muss aus dem Satzungsrecht erkennbar sein, dass die maßgeblichen Regelungen vom Willen des verweisenden Normgebers mitgetragen werden. Daran fehlt es hier.

Sämtliche Berichte zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in dem Terminbericht 42/23.

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