Bundessozialgericht

Verhandlung B 3 KR 2/23 R

Krankenversicherung - Hilfsmittelversorgung - Blutzuckerteststreifen - Vergütungsanspruch - Versorgungsvertragsbeitritt

Verhandlungstermin 30.11.2023 11:00 Uhr

Terminvorschau

TK P.-T. Handelsgesellschaft mbH ./. BIG direkt gesund
Im Streit stehen Vergütungsansprüche für Hilfsmittel und Blutzuckerteststreifen. 

Die Klägerin vertreibt bundesweit Produkte zur Diabetesbehandlung. Nach gescheiterten Vertragsverhandlungen mit der beklagten Krankenkasse erklärte sie im November 2014 ihren Beitritt zu zwei zwischen der Beklagten und anderen Leistungserbringern geschlossenen Verträgen über die Versorgung mit Hilfsmitteln zur Insulinpumpen- und Diabetestherapie. Die Beitrittserklärungen gab sie unter “Protest und Ausschluss“ inhaltsgleicher Klauseln ab, die es anderen Krankenkassen ermöglichten, diesen Verhandlungsverträgen beizutreten, und ihre Versorgungsberechtigung an den Fortbestand dieser Verträge knüpften. Mit einem weiteren “Ausschluss“ wandte sie sich gegen die im Vertrag über Hilfsmittel zur Diabetestherapie enthaltenen Preis- und Abrechnungsregelungen zu Blutzuckerteststreifen; deren Abrechnung richte sich nicht nach dem Vertragsregime für die Versorgung mit Hilfsmitteln, sondern nach dem marktüblichen Preisniveau.

Die Beklagte wies die Vertragsbeitritte zurück, weil sie nicht zu den Bedingungen der von ihr mit anderen Leistungserbringern ausgehandelten Verträge erfolgt seien, und lehnte die Vergütung der von der Klägerin gleichwohl erbrachten Leistungen ab, soweit es sich nicht um Blutzuckerteststreifen handelte; diese vergütete sie für Lieferungen vom 25. November 2014 bis 1. Februar 2017 in Höhe der Vertragspreise, weil nach ihrem Vorbringen das Abrechnungssystem insoweit keine Vorabprüfung einer Versorgungsberechtigung ermöglicht habe.

Mit ihrem Begehren auf Bezahlung weiterer Leistungen im streitbefangenen Zeitraum in Höhe von 27 151,12 Euro hat die Klägerin in den Vorinstanzen keinen Erfolg gehabt; hingegen ist sie auf die Widerklage der Beklagten zur Rückzahlung von 22 407,31 Euro geleisteter Entgelte für Blutzuckerteststreifen verurteilt worden: Die Klägerin sei nicht versorgungsberechtigt gewesen, weshalb sie keine Vergütungsansprüche erworben und die Beklagte die Entgelte rechtsgrundlos geleistet habe. Sowohl Hilfsmittel als auch Blutzuckerteststreifen dürften allein auf vertraglicher Grundlage zulasten der Beklagten abgegeben werden. Den Verträgen sei die Klägerin wegen der geäußerten Vorbehalte nicht zu den gleichen Bedingungen beigetreten.

Mit der vom Senat zugelassenen Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts (§§ 126 ff SGB V, § 69 Absatz 1 Satz 3 SGB V in Verbindung mit §§ 133, 157 BGB). Sie sei den Verhandlungsverträgen zu gleichen Bedingungen beigetreten und deshalb versorgungsberechtigt. Unabhängig hiervon sei ein Vertrag für die Abgabe und Abrechnung von Blutzuckerteststreifen zulasten der Beklagten nicht erforderlich.

Verfahrensgang:
Sozialgericht Osnabrück, S 46 KR 65/15, 18.11.2019
Landessozialgericht Niedersachsen-BremenL 16/4 KR 548/19, 13.09.2022

Sämtliche Vorschauen zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in der Terminvorschau 46/23.

Terminbericht

Die Revision der Klägerin war überwiegend erfolgreich. Zu Recht beansprucht die Klägerin ungeachtet des Streits um Einzelheiten der zugrunde liegenden Verträge eine Vergütung für die von ihr abgegebenen Produkte, weshalb die Widerklage auf Erstattung der Zahlungen für Blutzuckerteststreifen abzuweisen und das Urteil des Landessozialgerichts insoweit zu ändern war. Inwiefern ihr darüber hinaus eine Vergütung für weitere Versorgungen zusteht, bedarf näherer Feststellungen, die nach der Rechtsauffassung des Landessozialgerichts bisher nicht veranlasst waren und im insoweit wiedereröffneten Berufungsverfahren nachzuholen sind.

Im Ausgangspunkt zutreffend geht die Beklagte allerdings davon aus, dass die Versorgung gesetzlich Krankenversicherter mit Blutzuckerteststreifen zur Eigenanwendung jedenfalls außerhalb von Apotheken den Regelungen über die Beziehungen der Krankenkassen zu Leistungserbringern von Hilfsmitteln unterliegt. Zwar ist der Anspruch auf Versorgung mit Blutzuckerteststreifen leistungsrechtlich der Versorgung mit Arznei- und Verbandmitteln und nicht der Versorgung mit Hilfsmitteln zugeordnet. Krankenversicherungsrechtlich sind Blutzuckerteststreifen jedoch jedenfalls seit ihrer Einbeziehung in das Medizinprodukterecht keine Arzneimittel, sondern in der Umschreibung des Gesetzgebers der Arzneimittelversorgung zugeordnete „sonstige Leistungen“. Abgegeben werden können sie - wie jede Sachleistung zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung - nur auf der Grundlage entsprechender Verträge zwischen Leistungserbringer und Krankenkasse. Das können bei der Abgabe von Blutzuckerteststreifen zur Eigenanwendung nach dem numerus clausus möglicher Vertragsbeziehungen zu Leistungserbringern in der gesetzlichen Krankenversicherung nach Regelungssystematik und Wirkweise jedenfalls bei der Abgabe außerhalb von Apotheken nur Verträge zur Hilfsmittelversorgung sein, obschon Blutzuckerteststreifen leistungserbringungsrechtlich nicht in jeglicher Hinsicht Vorschriften zur Hilfsmittelversorgung unterliegen; so sind sie nach zutreffender Rechtsauffassung des GKV-Spitzenverbands etwa insbesondere nicht in das Hilfsmittelverzeichnis der gesetzlichen Krankenversicherung aufzunehmen.

Zu Unrecht hat die Beklagte jedoch die Beitritte der Klägerin zu den Verträgen über die Abgabe von Blutzuckerteststreifen und den weiteren streitbefangenen Hilfsmitteln als unwirksam erachtet, weil sie den Beitritt unter “Protest und Ausschluss“ einzelner Vertragsklauseln erklärt hatte. Nach den Grundsätzen über die Auslegung öffentlich-rechtlicher Willenserklärungen war das nicht als auf den Abschluss eines von der Beklagten nicht angebotenen Vertrags gerichtet zu verstehen. Nach dem Gesamtzusammenhang und mit Blick auf die von der Klägerin im unmittelbaren Anschluss begonnene Abgabe von Blutzuckerteststreifen müssen die Erklärungen vielmehr so verstanden werden, dass die Klägerin einerseits den Zugang zur Versorgung Versicherter zu den Konditionen anderer Leistungserbringer beansprucht und das andererseits mit der Ankündigung verbunden hat, die von ihr beanstandeten Klauseln einer gerichtlichen Überprüfung zu unterziehen. Das war bis zur Einführung eines Schiedsverfahrens für Verträge zur Hilfsmittelversorgung möglich, weil die Garantie effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes verletzt wäre, stünde einem Leistungserbringer in einer Lage wie hier nur die Möglichkeit offen, entweder mit der Aufnahme der Versorgung bis zu einer gerichtlichen Entscheidung über aus seiner Sicht zu beanstandende Vertragsbedingungen zuzuwarten oder sich widerspruchslos auf diese einzulassen. Deshalb stand einem Leistungserbringer bis zur Einführung des Schiedsverfahrens der Zugang zur Hilfsmittelversorgung auch dann offen, wenn er sich die gerichtliche Klärung dieser Vertragsbedingungen vorbehielt und bereit war, die Versorgung auch mit dem Risiko aufzunehmen, mit der Klage auf Korrektur der beanstandeten Bedingung(en) schließlich nicht durchzudringen.

Zu Recht wendet sich die Klägerin hiernach gegen die Verurteilung zur Erstattung der von der Beklagten bereits entrichteten Vergütungen für Blutzuckerteststreifen. Inwiefern ihre weiteren Forderungen begründet sind, bedarf hingegen weiterer Feststellungen; allerdings nicht, soweit sie eine höhere Vergütung für die Versorgung mit Blutzuckerteststreifen beansprucht, weil für eine missbräuchliche Preisgestaltung auf Seiten der Beklagten nichts dargetan ist.

Sämtliche Berichte zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in dem Terminbericht 46/23.

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