Verhandlung B 1 KR 17/22 R
Gesetzliche Krankenversicherung - Vergütung stationärer Krankenhausbehandlung - Erledigung der Hauptsache - Fortsetzungsfeststellungsklage - Niedersächsischer Sicherstellungsvertrag - Zahlung unter Vorbehalt
Verhandlungstermin
12.12.2023 10:00 Uhr
Terminvorschau
H. Klinik GmbH ./. AOK - Die Gesundheitskasse für Niedersachsen
Streitig ist die Erledigung eines über die Vergütung stationärer Krankenhausbehandlung geführten Rechtsstreits. Im Krankenhaus der Klägerin wurde im Oktober 2016 ein Versicherter der beklagten Krankenkasse wegen eines Schlaganfalls stationär behandelt. Das Krankenhaus berechnete hierfür 3620,51 Euro auf Grundlage der Fallpauschale DRG B70D unter Einbeziehung der OPS-Prozedur 8-98b.00 (andere neurologische Komplexbehandlung des akuten Schlaganfalls). Die Krankenkasse zahlte lediglich einen Betrag in Höhe von 2804,07 Euro und begründete dies mit nicht nachgewiesenen Strukturvoraussetzungen des OPS 8-98b.00.
Vor dem Sozialgericht hat das Krankenhaus den Differenzbetrag in Höhe von 816,44 Euro nebst Zinsen eingeklagt. Die Krankenkasse hat infolge des Ausgangs mehrerer Parallelfälle mitgeteilt, sie habe die Klageforderung in diesem Verfahren nebst Zinsen ohne Anerkennung einer Rechtspflicht und unter Vorbehalt gezahlt. Ein prozessuales Anerkenntnis sei hiermit nicht verbunden, die Hauptforderung der Klage stehe weiterhin offen. Sie sei den gerichtlichen Hinweisen nachgekommen, wonach sie aufgrund § 13 Absatz 6 des Niedersächsischen Sicherstellungsvertrages verpflichtet gewesen sei, den Rechnungsbetrag zunächst zu zahlen und anschließend zu verrechnen. Die Krankenkasse hat anschließend gegenüber dem Krankenhaus in Höhe der Klageforderung mit einer unstreitigen Vergütungsforderung aufgerechnet.
Nach Hinweis des Sozialgerichts, dass kein Anerkenntnis vorliege, hat das Krankenhaus den Rechtstreit für erledigt erklärt. Es hat beantragt festzustellen, dass sich der Rechtsstreit dadurch erledigt habe, dass die Krankenkasse die Behandlungskosten und auch die geltend gemachten Verzugszinsen gezahlt habe. Die Krankenkasse hat sich der Erledigungserklärung explizit nicht angeschlossen.
Das Sozialgericht hat antragsgemäß entschieden. Das Landessozialgericht hat die hiergegen gerichtete Berufung der Krankenkasse zurückgewiesen. Die Klage sei als Fortsetzungsfeststellungsklage zulässig und begründet. Die Klage sei ursprünglich als Leistungsklage zulässig und begründet gewesen. Die Krankenkasse sei nach § 13 Absatz 6 des Niedersächsischen Sicherstellungsvertrages verpflichtet gewesen, die nicht offenkundig fehlerhafte Rechnung innerhalb von 14 Tagen zu bezahlen. Mit der erfolgten Zahlung habe sich der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt. Der von der Krankenkasse erklärte Vorbehalt sei als Zahlung unter einer aufschiebenden Bedingung zu qualifizieren, der nicht die Erfüllung des Vergütungsanspruchs verhindere.
Mit ihrer Revision rügt die Krankenkasse die Verletzung von § 69 Absatz 1 Satz 3 SGB V in Verbindung mit § 271 Absatz 2, § 273 Absatz 1 Satz 1 BGB und § 301 Absatz 1 Satz 1 Nummer 6, Absatz 2 Satz 2 und 3 SGB V in Verbindung mit OPS (2016) 8-98b.00 sowie § 275 Absatz 1c SGB V und die §§ 103, 128 SGG. Hinzu komme ein Verstoß nach § 69 Absatz 1 Satz 3 SGB V in Verbindung mit § 362 Absatz 1 BGB
Verfahrensgang:
Sozialgericht Braunschweig, S 59 KR 504/19, 20.05.2021
Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, L 16 KR 251/21, 16.06.2022
Die Vorschau zu dem Verhandlungstermin des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in der Terminvorschau 50/23.
Terminbericht
Die Revision der beklagten Krankenkasse hatte Erfolg.
Das Krankenhaus hat die Klage im erstinstanzlichen Verfahren zulässig auf die Feststellung umgestellt, dass der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt ist. Der Rechtsstreit hat sich nicht bereits durch angenommenes Anerkenntnis erledigt. Die bloße Mitteilung der Krankenkasse, dass sie die Klageforderung nebst Zinsen ohne Anerkennung einer Rechtspflicht gezahlt habe, stellt kein (konkludentes) Anerkenntnis dar. Die Krankenkasse hat auch im weiteren Verlauf deutlich gemacht, sich gegen die streitige Vergütungsforderung verteidigen zu wollen. Die auf Feststellung der Erledigung gerichtete Klage ist aber unbegründet. Der Rechtsstreit über die Vergütungsforderung hat sich durch die Zahlung der Krankenkasse nicht in der Hauptsache erledigt. Auf die Zulässigkeit und Begründetheit der ursprünglichen Klage kommt es insofern nicht an. Das Krankenhaus hat mit seiner ursprünglich erhobenen Leistungsklage nicht lediglich einen auf § 13 Absatz 6 des Niedersächsischen Sicherstellungsvertrages gestützten vorläufigen Zahlungsanspruch geltend gemacht, sondern jedenfalls auch den endgültigen gesetzlichen Vergütungsanspruch. Dieser ist nicht durch Erfüllung erloschen. Die Krankenkasse hat nach den insoweit bindenden Feststellungen des Landessozialgerichts eindeutig erklärt, eine Erfüllung nicht bewirken zu wollen. Sie hat den streitigen Betrag ausdrücklich “ohne Anerkennung einer Rechtspflicht unter Vorbehalt“ gezahlt und geltend gemacht, die Hauptforderung stehe weiterhin offen. Das Landessozialgericht war nach den gesetzlichen Auslegungsregelungen (§§ 133, 157 BGB) nicht befugt, die Erklärung der Krankenkasse gegen deren ausdrücklich erklärten Willen als erfüllende Zahlung unter einer aufschiebenden Bedingung auszulegen. Ist eine Erklärung eindeutig, ist für eine Auslegung nach dem “Gesamtzusammenhang der Regelungen“ kein Raum. Weder Bundesrecht noch § 13 Absatz 6 des Niedersächsischen Sicherstellungsvertrages bieten eine Rechtsgrundlage dafür, von den gesetzlichen Auslegungsregelungen abzuweichen und Zahlungen gegen den ausdrücklich erklärten Willen der Krankenkasse als Zahlung mit Erfüllungswirkung zu qualifizieren. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem kompensatorischen Beschleunigungsgebot. Danach ist es der Krankenkasse lediglich verwehrt, vorläufige Zahlungen unter Verweis auf eine noch nicht abgeschlossene Prüfung zu verweigern. Es kann ihr nach der Rechtsprechung des Senats aber nicht verwehrt werden, die Zahlung der Krankenhausvergütung zu verweigern, wenn für sie feststeht, dass kein Vergütungsanspruch besteht. Darauf, ob die Rechnung des Krankenhauses offenkundig fehlerhaft ist, kommt es insofern nicht an.
Eine Änderung des Klageantrags zurück zu einer Zahlungsklage beziehungsweise einer Klage auf Vorbehaltloserklärung der Zahlung ist nicht mehr möglich. Dem steht entgegen, dass lediglich die Krankenkasse Revision eingelegt hat und die Frist zur Anschlussrevision abgelaufen ist (vergleiche § 202 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 554 Absatz 2 Satz 2 ZPO).
Sämtliche Berichte zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in dem Terminbericht 50/23.