Bundessozialgericht

Verhandlung B 8 SO 9/22 R

Sozialhilfe - Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung - Teilhabebedarf Mobilität - Kostenbeteiligung für Sonderfahrdienst Berlin - Eingliederungshilfe - soziale Teilhabe - Regelbedarf

Verhandlungstermin 12.12.2023 13:00 Uhr

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C. P. ./. Land Berlin
Die 1938 geborene Klägerin bezieht neben einer Altersrente vom Beklagten ergänzend Grundsicherungsleistungen unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfs wegen der Zuerkennung des Merkzeichens G. Bei ihr ist ein Grad der Behinderung von 90 sowie die Merkzeichen G, aG und B und das landesrechtliche Merkzeichen T festgestellt, das im Land Berlin Personen mit dem Merkzeichen aG, einem mobilitätsbedingten Grad der Behinderung von mindestens 80 und Fähigkeitsstörungen beim Treppensteigen erhalten und das zur Teilnahme am Sonderfahrdienst des Landes Berlin berechtigt. Dieser Sonderfahrdienst ermöglicht Menschen, denen eine Nutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln aufgrund ihrer körperlichen Behinderung nicht möglich ist, Fahrten zur Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft. Hierfür wird eine Kostenbeteiligung pro Fahrt erhoben, die für Grundsicherungsempfänger ermäßigt ist. Den Antrag der Klägerin, die Kostenbeteiligung als Eingliederungshilfe zu übernehmen, lehnte der Beklagte ab. Die Klage und die Berufung hatten keinen Erfolg. Das Landessozialgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, bei den Fahrten handele es sich nicht um eine Eingliederungshilfeleistung. Der Sonderfahrdienst richte sich zwar an einen Personenkreis mit einem Teilhabebedarf im Bereich der Mobilität, er ersetze für diesen Personenkreis aber nur die Beförderungsmöglichkeit durch Verkehrsmittel des öffentlichen Nahverkehrs. Dieser Mobilitätsbedarf sei auch von der Klägerin aus dem Teil der Grundsicherungsleistungen zu bestreiten, der ihr für die Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs zur Verfügung stehe.

Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Revision. Ihr stehe die Kostenbeteiligung als Eingliederungshilfe zu. Andernfalls werde sie gegenüber nicht behinderten Grundsicherungsempfängern benachteiligt, weil die im Regelsatz vorgesehenen Leistungen für Verkehr monatlich nur 13 Fahrten mit dem Sonderfahrdienst abdeckten und ihr also behinderungsbedingt keine Mobilität wie bei Nutzung einer Monatskarte möglich sei.

Verfahrensgang:
Sozialgericht Berlin, S 88 SO 1987/16, 08.03.2018
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, L 23 SO 67/18, 21.11.2019

Sämtliche Vorschauen zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in der Terminvorschau 48/23.

Terminbericht

Der Senat hat die Entscheidung des Landessozialgerichts aufgehoben und die Sache zurückverwiesen. Der auf landesrechtlicher Grundlage errichtete Sonderfahrdienst erbringt sowohl Beförderungsdienste als auch Assistenzdienste beim Verlassen der Wohnung, die eine den individuellen Bedürfnissen entsprechende Freizeitgestaltung ermöglichen sollen. Soweit die Freizeitgestaltung nicht über die Bedürfnisse eines nicht behinderten, nicht sozialhilfebedürftigen Erwachsenen hinausgeht, kommt die Übernahme von Kostenbeiträgen für die Inanspruchnahme des Sonderfahrdienstes aus Mitteln der Eingliederungshilfe im Grundsatz in Betracht.

Ein Anspruch auf notwendige, behinderungsbedingte Mehrkosten bei der Freizeitgestaltung als Leistung der Eingliederungshilfe besteht jedoch nur, soweit die Kosten nicht durch andere Sozialleistungen abgedeckt werden. Zu den gegenüber der Eingliederungshilfe vorrangigen Leistungen zählen auch Ansprüche auf Grundsicherung nach dem Vierten Kapitel des Sozialgesetzbuchs Zwölftes Buch, sofern sie auf eine deckungsgleiche Leistung gerichtet sind. Die von der Klägerin geltend gemachten Kosten für Beförderungsleistungen sind mit dem Bestandteil des Regelbedarfs, der für Verkehrsdienste statistisch berücksichtigt wird, sowie mit dem Mehrbedarf bei Zuerkennung des Merkzeichens G deckungsgleich. Nur soweit die Kosten diesen Anteil übersteigen und gegebenenfalls deshalb entstehen, weil Mehrkosten für eine nach dem Maßstab des Eingliederungshilferechts anerkannte Freizeitgestaltung angefallen sind, die über das soziokulturelle Existenzminimum hinausgeht, kommen Leistungen der Eingliederungshilfe für Beförderungsleistungen durch den Sonderfahrdienst in Betracht. Das Landessozialgericht wird deshalb zu überprüfen haben, ob die Klägerin den Sonderfahrdienst für Freizeitzwecke genutzt hat und ob die dabei angefallenen Kosten aus den genannten Bedarfspositionen, die bei Feststellung der Grundsicherungsleistungen zugrunde gelegt worden sind, aufgebracht werden konnten.

Sofern die Klägerin den Sonderfahrdienst allein für Assistenzdienste zum Verlassen der Wohnung im Rahmen der Freizeitgestaltung in Anspruch genommen hat, was das Landessozialgericht bislang ebenfalls ungeprüft gelassen hat, werden diese Bedarfe von den Leistungen der Grundsicherung nicht erfasst. Solche Kosten sind ohne Einschränkungen der Eingliederungshilfe zuzuordnen. Professionelle Assistenzleistungen, die allein spezifische behinderungsbedingte Nachteile ausgleichen, sind bei der Ermittlung der Regelbedarfe nicht berücksichtigt worden. Der Einsatz des Mehrbedarfs bei Zuerkennung des Merkzeichen G scheidet ebenfalls aus. Der Mehrbedarf soll zwar auch zur Bestreitung von “kleinen Aufmerksamkeiten“ an Personen im privaten Umfeld genutzt werden, um sich deren Hilfsbereitschaft bei Bewältigung des Alltags zu erhalten. Professionelle Assistenzleistungen sind diesen Bedarfen aber nicht zuzuordnen. Eine zu Lasten der Leistungsempfänger abweichende landesrechtliche Regelung zum Einsatz von Einkommen ist unbeachtlich. Für die Gewährung der begehrten Leistungen sind ausschließlich die bundesrechtlichen Bestimmungen für die Eingliederungshilfe maßgeblich.

Sämtliche Berichte zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in dem Terminbericht 48/23.

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