Bundessozialgericht

Verhandlung B 12 R 11/21 R

Versicherungs- und Beitragsrecht - Vorstandsmitglied eingetragene Wohnungsbaugenossenschaft - ehrenamtliche Tätigkeit

Verhandlungstermin 12.12.2023 12:30 Uhr

Terminvorschau

W.- und S.-BG W. N.-E. eG ./. Deutsche Rentenversicherung Bund, beigeladen:1. H. H., 2. W. G., 3. Bundesagentur für Arbeit, 4. BARMER, 5. BARMER Pflegekasse
Die Klägerin ist eine eingetragene Genossenschaft mit dem Zweck der Förderung der wohnlichen Versorgung ihrer Mitglieder unter sozialen Gesichtspunkten. Sie vermietet über 700 Wohnungen. Der Vorstand der Klägerin besteht aus einem hauptamtlichen Mitglied und den Beigeladenen zu 1. und 2.. Er führt die Geschäfte aufgrund seiner Beschlüsse, die mit der Mehrheit der abgegebenen Stimmen zu fassen sind. Ein Anstellungsvertrag mit den Beigeladenen besteht nicht. Sie erhielten eine Vorstandsvergütung von jeweils 14-mal 400 Euro jährlich. In einem Geschäftsverteilungsplan sind bestimmte laufende Angelegenheiten dem hauptamtlichen Vorstandsmitglied sowie fünf beschäftigten Mitarbeitern der Klägerin zugewiesen.

Nach einer Betriebsprüfung forderte die Beklagte von der Klägerin für die Zeit vom 1. Januar 2010 bis zum 31. Dezember 2013 Sozialversicherungsbeiträge und Umlagen aufgrund Beschäftigung der Beigeladenen in Höhe von insgesamt 13 782,18 Euro. Den Antrag der Klägerin auf Rücknahme des Forderungsbescheids lehnte die Beklagte ab. Das Sozialgericht hat die Beklagte verpflichtet, diesen Bescheid in Bezug auf die beiden Beigeladenen zurückzunehmen. Außerdem hat es festgestellt, dass die Beigeladenen nicht versicherungspflichtig beschäftigt gewesen seien. Das Landessozialgericht hat die Feststellungen des Sozialgerichts aufgehoben und die Klage insoweit als unzulässig abgewiesen. Im Übrigen hat es die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Die Tätigkeit der Beigeladenen als Vorstandsmitglieder stelle keine abhängige Beschäftigung, sondern eine ehrenamtliche Tätigkeit als Ausfluss ihrer organschaftlichen Stellung dar. Es sei insoweit zwischen allgemein zugänglichen Verwaltungsaufgaben und den organschaftlichen Aufgaben des Vorstands als Kollektivorgan zu trennen. Die Beigeladenen hätten über das gesetzlich und satzungsrechtlich bestimmte Aufgabenspektrum hinaus keine überobligatorischen Aufgaben des allgemeinen Arbeitsmarktes ausgeübt und seien neben der Beteiligung an der Willensbildung des Vorstands nicht operativ tätig gewesen. Die komplette verwaltungsmäßige Aufarbeitung und Vorbereitung bis hin zur Abstimmungsreife habe ausschließlich dem hauptamtlichen Vorstandsmitglied und Beschäftigten der Klägerin oblegen. Die Beigeladenen würden zur Erfüllung einer gemeinnützigen Aufgabe tätig. Die Höhe der Aufwandsentschädigung erscheine zwar angesichts des zeitlichen Aufwands nicht geringfügig. Jedoch sei die Entschädigung weder geeignet, eine Vergütung zu Erwerbszwecken zu ersetzen, noch sei sie mit Blick auf die Haftung der Beigeladenen und die Größe der Genossenschaft über Gebühr hoch.

Mit ihrer Revision rügt die Beklagte die Verletzung des § 7 Absatz 1 SGB IV. Der Vorstand sei nicht nur "Willensorgan", sondern auch "Verwaltungsorgan". Eine davon abweichende tatsächliche Arbeitsweise stehe gegebenenfalls in Widerspruch zu Gesetz und Satzung der Klägerin und sei damit unbeachtlich. Die Beigeladenen seien bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben in die betriebliche Ordnung der Klägerin eingegliedert gewesen und hätten ihre Tätigkeit nicht objektivierbar ohne Erwerbsabsicht verfolgt.

Verfahrensgang:
Sozialgericht Nürnberg, S 4 R 630/16, 13.03.2019
Bayerisches Landesozialgericht, L 14 BA 87/19, 01.06.2021

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Terminbericht

Die Revision der Beklagten hatte Erfolg. Die beigeladenen Vorstandsmitglieder der Klägerin waren in der Zeit vom 1. Januar 2010 bis zum 31. Dezember 2013 versicherungspflichtig beschäftigt.

Mitglieder des Vorstands einer Genossenschaft können "besoldet oder unbesoldet" sein (vergleiche § 24 Absatz 3 GenG). Allein die Wahrnehmung gesetzes- und satzungsmäßiger Vorstandsaufgaben spricht damit noch nicht für ein Ehrenamt. Ausschlaggebend für die persönliche Abhängigkeit der Beigeladenen ist, dass sie bei ihren Aufgaben in die Organisation der Klägerin eingegliedert waren. Die Leitungsbefugnis stand insbesondere nur dem dreiköpfigen Vorstand und nicht dessen einzelnen Mitgliedern zu. Keiner von ihnen konnte alleine die Geschäftstätigkeit bestimmen oder missliebige Beschlüsse verhindern. Gegen die Eingliederung und für ein Ehrenamt spricht nicht der gegenüber dem hauptamtlichen Mitglied vergleichsweise geringe Umfang der Tätigkeit der Beigeladenen. Dem Gesamtvorstand und damit auch dessen Mitgliedern verblieb jedenfalls ein unabdingbarer Kernbereich der Leitung. Dieser umfasst nicht nur die Vertretung nach außen, sondern auch die Geschäftsführung in wesentlichen Angelegenheiten. Auch als "letztes Glied in der Kette" waren sie in die Organisation der Klägerin eingebunden. Sie haben bei ihren Entscheidungen die Organisationsabläufe, Einrichtungen und Betriebsmittel der Klägerin genutzt, auch wenn sie die Räume erst nach Geschäftsschluss aufsuchten und keinen Kontakt zu den Mitarbeitern hatten.

Die Beigeladenen sind auch nicht unentgeltlich ohne Erwerbsabsicht tätig geworden. Insoweit sind nicht die subjektiven Einschätzungen der Beigeladenen, sondern objektive Anhaltspunkte maßgebend. Der Aufsichtsratsbeschluss vom 29. November 2006 als Grundlage für die Zahlungen an die Beigeladenen lässt eine unschädliche Aufwandsentschädigung nicht erkennen. Die Zahlungen werden vielmehr als "Vorstandsvergütung" bezeichnet, die regelmäßig (14mal jährlich) in jeweils gleicher Höhe anfallen. Anhaltspunkte für die pauschale Abgeltung eines bestimmbaren Aufwands fehlen. Eine erkennbare Orientierung an einer normativen Ehrenamtspauschale (zum Beispiel nach § 31a BGB) liegt ebenfalls nicht vor.

Sämtliche Berichte zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in dem Terminbericht 51/23.

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