Bundessozialgericht

Verhandlung B 7 AS 16/22 R

Grundsicherung für Arbeitsuchende - Einkommensanrechnung - selbständige Tätigkeit - Beiträge zum Versorgungswerk der Rechtsanwälte - gesetzliche Sozialversicherung - Fahrkosten - Betriebsausgabe - Erwerbstätigenfreibetrag

Verhandlungstermin 13.12.2023 12:30 Uhr

Terminvorschau

A. N../. Jobcenter Berlin Friedrichshain-Kreuzberg
Im Streit steht die Berechnung des Alg II der Klägerin in der Zeit Juni 2011 bis Ende November 2011 unter Berücksichtigung von Einkommen aus selbstständiger Erwerbstätigkeit, nach Abzug von Beiträgen zum Versorgungswerk der Rechtsanwälte und Fahrkosten.

Die Klägerin ist als selbstständige Rechtsanwältin erwerbstätig. Sie entrichtete im streitigen Zeitraum monatlich Beiträge zu dem benannten Versorgungswerk in Höhe von 109,45 Euro und hatte Kosten für die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel durch eine Monatskarte in Höhe von 33,50 Euro.

Der Klägerin wurden von dem beklagten Jobcenter für den streitigen Zeitraum vorläufige Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II bewilligt. Nach Vorlage von Einkommensnachweisen setzte der Beklagte die Leistungen endgültig fest. Bei deren Berechnung berücksichtigte er ein höheres Einkommen als bei der vorläufigen Bewilligung prognostisch zu Grunde gelegt. Den Betriebseinnahmen stellte der Beklagte alsdann die Betriebsausgaben gegenüber und setzte zur Berechnung der endgültigen Leistungen die Freibeträge nach § 11b Absatz 1 Satz 1, Absatz 2 SGB II ab. Dabei ergab sich ein endgültig niedrigerer Regelbedarf als vorläufig erbracht. Auf dieser Grundlage errechnete der Beklagte einen Erstattungsbetrag von insgesamt rund 1.465 Euro. Diesen reduzierte er auf den Widerspruch der Klägerin gegen die Bescheide über die endgültige Festsetzung und die Erstattungsforderung auf rund 593 Euro.

Im Klageverfahren war die Klägerin in geringem Umfang im Hinblick auf die Höhe der endgültigen Leistungen und des Erstattungsbetrags erfolgreich (Reduzierung auf rund 591 Euro). Ebenso wie das Landessozialgericht in seinem Berufungsurteil ist das Sozialgericht jedoch zu dem Ergebnis gelangt, weder die Beiträge zum Versorgungswerk noch die Fahrkosten seien als Betriebsausgaben von den Betriebseinnahmen in Abzug zu bringen. Sie unterfielen den Absetzbeträgen des § 11b Absatz 1 S 1 Nummer 3b und Nummer 5 SGB II und könnten damit nach § 3 Absatz 2 Alg II-V alte Fassung nicht zugleich als Betriebsausgaben abgesetzt werden. Da das Einkommen der Klägerin weniger als 400 Euro betragen habe, kämen § 11b Absatz 2 Satz 2ff SGB II nicht zur Anwendung. Die Aufwendungen für die Beiträge und Fahrkosten seien daher durch den abzusetzenden Pauschalbetrag von 100 Euro nach § 11b Absatz 2 Satz 1 SGB II abgegolten.

Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Revision. Sie rügt eine Verletzung des § 11b Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und Absatz 2 SGB II. Die Fahrkosten erhöhten die Betriebsausgaben, da sie beruflich veranlasst gewesen seien. Die Beiträge zur berufsständischen Versorgung seien den absetzbaren Pflichtbeiträgen aus der Gesetzlichen Sozialversicherung gleichzustellen, jedenfalls aber nach § 11b Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 SGB II unabhängig von der Pauschale nach § 11b Absatz 2 Satz 1 SGB II in der geleisteten Höhe vom zu berücksichtigenden Einkommen abzuziehen.

Verfahrensgang:
Sozialgericht Berlin, S 94 AS 17689/12, 02.09.2014
Landesozialgericht Berlin-Brandenburg, L 25 AS 2711/14, 10.09.2021

Sämtliche Vorschauen zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in der Terminvorschau 52/23.

Terminbericht

Die Revision der Klägerin war teilweise erfolgreich. Sie hat Anspruch auf höhere endgültige Leistungen im streitigen Zeitraum als von dem Beklagten festgesetzt. Von den in die Berechnung einzustellenden Betriebseinnahmen der Klägerin sind Beiträge zum Versorgungswerk der Rechtsanwälte in Höhe des Mindestbeitrags für selbstständig Tätige in der gesetzlichen Rentenversicherung im Sinne des § 165 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 SGB VI - im streitigen Zeitraum 79,60 Euro - erst im abschließenden Schritt der Bereinigung gemäß § 11b SGB II in Abzug zu bringen.

Zutreffend ist der Beklage zwar davon ausgegangen, dass es sich insoweit nicht um die Betriebseinnahmen mindernde Betriebsausgaben handelt. Auch kann das gefundene Ergebnis nicht auf § 11b Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 Buchst b SGB II gestützt werden. Denn Aufwendungen für Beiträge zu öffentlichen oder privaten Versicherungen zur Altersvorsorge von Personen, die von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung befreit sind, würden bei einem Einkommen bis zu 400 Euro in der Pauschale von 100 Euro nach § 11b Absatz 2 SGB II aufgehen. Nur bei höherem Einkommen könnte der darüber hinausgehende Betrag (hier 9,45 Euro) gegebenenfalls ebenfalls abgesetzt werden. Ebenso wenig handelt es sich bei den Beiträgen zum Versorgungwerk der Rechtsanwälte um Pflichtbeiträge zur Sozialversicherung, die unmittelbar § 11b Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 SGB II unterfallen. Solche sind zwar vorab und unabhängig von der Pauschale des § 11b Absatz 2 SGB II vom Einkommen abzugsfähig. Allerdings erfasst die Vorschrift nur Beiträge zur bundeseinheitlich geregelten gesetzlichen Sozialversicherung - hier der gesetzlichen Rentenversicherung.

Die Gleichbehandlung von in der gesetzlichen Rentenversicherung pflichtversicherten Selbstständigen und in berufsständischen Versorgungswerken Pflichtversicherten, die nicht der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung unterliegen, gebietet jedoch eine Abzugsfähigkeit der Beiträge zum Versorgungswerk in analoger Anwendung des § 11b Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 SGB II. Es liegt insoweit eine planwidrige Lücke vor, denn beide Gruppen können ihrer Beitragslast nicht ausweichen und die Gewährleistung des Existenzminimums bliebe für die Mitglieder verkammerter Berufe an dieser Stelle planwidrig lückenhaft. Dieses Ergebnis wird bestätigt durch die Entstehungsgeschichte des § 11b Absatz 1 Satz 1 SGB II, den systematischen Zusammenhang in dem die Vorschrift steht und ihren Sinn und Zweck. Die Betrachtung des systematischen Zusammenhangs, insbesondere der Blick auf die Regelungen des SGB VI in Verbindung mit den Grundregeln der Bezuschussung von Beiträgen zu freiwilligen und privaten Versicherungen für den Krankheits- und Pflegefall nach § 26 SGB II zeigt jedoch, dass zugleich eine Begrenzung der abzugsfähigen Beitragshöhe im SGB II erforderlich ist. So ist die Grundsicherung für Arbeitsuchende allein auf die Sicherung des Existenzminimums ausgerichtet. Der im Rahmen der analogen Anwendung daher erforderliche Gleichklang zwischen den in der gesetzlichen Rentenversicherung Pflichtversicherten und den verpflichtend Beiträge zu einem Versorgungswerk Zahlenden wird hier durch eine Begrenzung der Absetzbeträge hergestellt.

Im Hinblick auf die Fahrkosten ist die Klägerin mit ihrer Revision nicht durchgedrungen. Die von ihr geltend gemachten Fahrkosten in Höhe von 33,50 beziehungsweise 2 Euro im Monat sind mit der Erzielung des Einkommens verbunden (§ 11b Absatz 1 Satz 1 Nummer 5 SGB II). Es gelten alsdann die eingangs benannten Regeln zur Berücksichtigung in der Pauschale von 100 Euro bei einem Einkommen bis 400 Euro.

Sämtliche Berichte zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in dem Terminbericht 52/23.

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