Bundessozialgericht

Verhandlung B 10 KG 2/22 R

Kindergeld für sich selbst - Kenntnis - Aufenthaltsort - Vater - Nepal

Verhandlungstermin 14.12.2023 12:30 Uhr

Terminvorschau

M. D. T. ./. Bundesagentur für Arbeit - Familienkasse - Direktion
Auch hier ist zwischen den Beteiligten streitig, ob der Klägerin Kindergeld für sich selbst zusteht.

Die 2002 geborene Klägerin ist deutsche Staatsangehörige mit eigenem Hausstand in Deutschland. Ihre Mutter ist im März 2017 verstorben. Nach der Trennung ihrer Eltern (etwa 2005) war ihr Vater in sein Heimatland (Nepal) zurückgekehrt, wo er bis heute mit einer neuen Familie lebt. Seine Kontakte zur Klägerin beschränken sich seither auf sehr wenige persönliche Begegnungen und sporadische Telefonate sowie Kurznachrichten mittels eines Messengerdienstes.

Den Antrag der Klägerin auf Kindergeld für sich selbst lehnte die Beklagte ab, weil der Klägerin der Aufenthalt ihres Vaters bekannt sei. Ihre hiergegen gerichtete Klage hat das Sozialgericht abgewiesen.

Auf die Berufung der Klägerin hat das Landessozialgericht die Beklagte verurteilt, der Klägerin Kindergeld für Juni 2018 bis März 2019 zu zahlen. Eine dem geltend gemachten Anspruch entgegenstehende Kenntnis der Klägerin des Aufenthalts ihres Vaters liege nicht vor. An einer Erreichbarkeit fehle es auch dann, wenn die Eltern sich ihrem Kind entzögen und es im Stich ließen. Denn auch in diesem Fall müsse das Kind mangels nahestehender Erwachsener, die die Elternstelle einnehmen, die kindbedingten Belastungen selbst tragen. Daher sei ein Anspruch der Klägerin auf Kindergeld für sich selbst zu bejahen. Ihr Vater sei postalisch nicht erreichbar gewesen. Die Klägerin könne dessen Aufenthalt trotz des Kontakts über einen Messengerdienst auch nicht in Erfahrung bringen. Dieser verhindere bewusst seine postalische Erreichbarkeit und vermeide es seit vielen Jahren, Verantwortung für die Klägerin zu übernehmen. Daher könne ihr auch nicht eine dem geltend gemachten Anspruch gegebenenfalls entgegenstehende missbräuchliche Unkenntnis des Aufenthalts ihres Vaters vorgeworfen werden.

Mit ihrer Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 1 Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 Bundeskindergeldgesetz. Dem Anspruch stehe entgegen, dass die Klägerin den Aufenthalt ihres Vaters zumindest vage gekannt und mit diesem mittels eines Messengerdienstes sporadisch in Kontakt gestanden habe. Eine “nur vage Kenntnis“ stehe keiner “Unkenntnis“ gleich. Anderenfalls drohten erhebliche Abgrenzungsschwierigkeiten. Die Tatbestandsalternative sei dann auch nicht mehr mit der einer anspruchsberechtigten Vollwaise vergleichbar. In der Situation des “Entziehens“ würden Eltern gegebenenfalls bewusst nicht die kindergeldrechtliche Elternstelle einnehmen. Insofern sei die Situation der Klägerin eher mit der von Kindern vergleichbar, deren Eltern ihre Kinder finanziell nicht versorgen wollten oder könnten. Für Inlandsfälle bestehe in diesen Fällen die Möglichkeit der Abzweigung. Dies sei in Auslandsfällen nicht möglich. Diese Lücke könne aber nicht im Wege der vom Landessozialgericht vorgenommenen Auslegung geschlossen werden.

Verfahrensgang:
Sozialgericht Berlin, S 3 KG 3/19, 21.02.2020
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, L 4 KG 2/20, 22.09.2022

Sämtliche Vorschauen zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in der Terminvorschau 53/23.

Terminbericht

Die Revision des Beklagten war erfolgreich. Die Klägerin hat nach den vom Senat im Verfahren B 10 K 1/22 R aufgezeigten Maßstäben keinen Anspruch auf Kindergeld für sich selbst, weil sie im streitigen Zeitraum von Juni 2018 bis März 2019 den Aufenthalt ihres Vaters kannte.

Nach den für den Senat bindenden Feststellungen des Landessozialgerichts wusste die Klägerin, dass ihr Vater seit der Trennung ihrer Eltern mit einer neuen Familie in Nepal lebt. Persönlich hat sie ihn zwar zuletzt nach dem Tod ihrer Mutter im März 2017 getroffen, als er sich vorübergehend in Deutschland aufhielt. Es bestand jedoch sporadische Kommunikation über Telefon oder mittels eines Messengerdienstes. Hierüber konnte die Klägerin ihren Vater ohne besondere Kosten und Mühen kontaktieren. Dadurch hatte sie die Möglichkeit die Eltern-Kind-Beziehung aufrecht zu erhalten und sich über den Aufenthalt des Vaters zu erkundigen. Darauf, dass ihr Vater zwar sein Leben mit neuer Familie in Katmandu offenlegte, seine genaue postalische Adresse vor ihr und vor Behörden sowie Gerichten möglicherweise bewusst verschleierte, kommt es nicht an. Ebenso wenig spielt es eine Rolle, dass die Klägerin - wie sie vorträgt - von sich aus kein Interesse an Kontakten zu ihrem Vater hatte und zumindest im November 2018 den Kontakt vorübergehend abreißen ließ.

Sämtliche Berichte zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in dem Terminbericht 53/23.

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