Verhandlung B 11 AL 2/22 R
Arbeitslosenversicherung - Arbeitslosengeld - Ruhen - Altersleistungen aus schweizerischer Personalvorsorgestiftung
Verhandlungstermin
14.12.2023 14:00 Uhr
Terminvorschau
A. G. ./. Bundesagentur für Arbeit
Der im Januar 1957 geborene, in Deutschland lebende Kläger war zuletzt bei einem Unternehmen in der Schweiz beschäftigt, bei dem eine Personalvorsorgestiftung im Sinne des Schweizer Bundesgesetzes über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge (BVG-CH) eingerichtet ist. Die Stiftung gewährt nach ihrem Vorsorgereglement insbesondere einen Anspruch auf lebenslange Altersrente bei Erreichen des ordentlichen Rentenalters. Ein Anspruch auf eine solche Rente besteht darüber hinaus ab einem gewissen Mindestalter und einer entsprechenden Zahl von Dienstjahren auch dann, wenn Versicherte vorzeitig in den Ruhestand treten. In der Zeit bis zum Erreichen des ordentlichen Rentenalters hat die vorzeitig in den Ruhestand tretende Person zusätzlich einen Anspruch auf eine Überbrückungsrente. Die versicherte Person kann anstelle der Altersrente die Auszahlung des vorhandenen Altersguthabens als Einmalzahlung verlangen.
Mit Ablauf des 31. Januar 2020 endete das Beschäftigungsverhältnis des Klägers. Die Vorsorgestiftung gewährte dem Kläger daraufhin ab 1. Februar 2020 eine als Überbrückungsrente bezeichnete Zeitrente für zwei Jahre, die in vierteljährlichen Raten vorschüssig ausgezahlt wurde (3588,60 Schweizer Franken). Ebenso überwies sie ihm eine Einmalzahlung (netto 183184 Schweizer Franken) mit dem Betreff “Pensionierung per 01. Februar 2020“. Die Beklagte gewährte dem Kläger für die Zeit ab dem 1. Februar 2020 Arbeitslosengeld. Auf den täglichen Anspruch rechnete sie sowohl den auf den einzelnen Kalendertag entfallenden Teilbetrag der Überbrückungsrente an als auch den kalendertäglichen Teilbetrag, der sich ergeben hätte, wenn der Kläger von seinem Kapitalwahlrecht keinen Gebrauch gemacht und die lebenslange Altersrente in wiederkehrender Form bezogen hätte. Der Kläger ist im Widerspruchsverfahren nur im Hinblick auf einen von der Beklagten angewendeten günstigeren Umrechnungskurs geringfügig erfolgreich gewesen. Die Bewilligung hob die Beklagte wegen Anspruchs des Klägers auf Krankengeld mit Wirkung ab 3. November 2020 auf.
Das Sozialgericht hat die Klage abgewiesen, mit der der Kläger einen höheren Arbeitslosengeld-Zahlbetrag bis einschließlich 3. November 2020 geltend macht. Das Landessozialgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Der Anspruch auf Arbeitslosengeld habe wegen der gezahlten Kapitalleistung teilweise geruht. Diese sei eine Leistung eines ausländischen Trägers, die einem Anspruch auf eine Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung vergleichbar sei. Das Bundessozialgericht habe bereits entschieden, dass laufend gezahlte schweizerische Pensionskassenrenten mit einer deutschen Altersrente vergleichbar seien. Bei der Kapitalleistung handle es sich lediglich um eine Auszahlungsmodalität, die am Grundcharakter der Leistung nichts ändere.
Mit seiner Revision rügt der Kläger die Verletzung von § 156 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4, Absatz 3 SGB III. Die Kapitalleistung sei mit einer wiederkehrend gezahlten deutschen Altersrente nicht vergleichbar. Sie habe keine Lohnersatzfunktion, denn ihre Verwendung sei nicht zweckgebunden, sondern sie stehe zur völlig freien Verfügbarkeit. Anders als eine monatliche Rente unterliege sie auch keinem Inflationsausgleich. Hätte der Gesetzgeber Einmalzahlungen in den Anwendungsbereich von § 156 Absatz 3 SGB III einbeziehen wollen, wäre eine ausdrückliche Regelung (wie § 229 Absatz 1 Satz 3 SGB V) zu erwarten gewesen.
Verfahrensgang:
Sozialgericht Konstanz, S 8 AL 1054/20, 09.12.2020
Landessozialgericht Baden-Württemberg, L 8 AL 220/21, 23.07.2021
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Terminbericht
Auf die Revision des Klägers hat das Bundessozialgericht das Urteil des Landessozialgerichts aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen. Nicht mehr Gegenstand des Rechtsstreits ist der Anspruch des Klägers auf Arbeitslosengeld für den 43. Tag, gerechnet ab dem Tag des Eintritts der Arbeitsunfähigkeit. Auf der Grundlage der Tatsachenfeststellungen des Landessozialgerichts lässt sich nicht beurteilen, ob und gegebenenfalls in welcher Höhe dem Kläger für den noch streitbefangenen Zeitraum Arbeitslosengeld zusteht.
Ist dies der Fall, ruht sein Anspruch aber jedenfalls nicht (teilweise) wegen der Einmalzahlung der Vorsorgestiftung seines letzten Arbeitgebers in der Schweiz. Bei dieser Kapitalleistung handelt es sich nicht um eine der Altersrente aus der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung vergleichbare Leistung eines ausländischen Trägers. Die Ruhensvorschrift erfasst ausschließlich wiederkehrende Leistungen, nicht dagegen Einmalzahlungen. Die im Gesetz ausdrücklich aufgezählten Sozialleistungen, die zum Ruhen des Arbeitslosengelds führen, sind ausnahmslos wiederkehrender Art. Zudem setzt die Rechtsfolge des § 156 Absatz 1 Satz 1 SGB III (Ruhen während der Zeit, für die ein Anspruch zuerkannt ist) eine ebenfalls auf einen bestimmten Zeitraum bezogene andere Sozialleistung voraus. Vor diesem Hintergrund würde bei Annahme der Vergleichbarkeit in § 156 Absatz 3 SGB III eine Umrechnungsregelung fehlen, wie eine einmalig gezahlte Leistung mit dem laufend gezahlten Arbeitslosengeld zur Deckung zu bringen ist. Eine solche Regelung hat der Gesetzgeber nicht nur an anderer Stelle des Sozialgesetzbuchs, sondern mit § 158 SGB III, der das Ruhen des Arbeitslosengelds bei einer Entlassungsentschädigung betrifft, auch im Arbeitsförderungsrecht getroffen. Danach gibt es keinen Anhaltspunkt für eine planwidrige Regelungslücke im Gesetz.
Im wiedereröffneten Berufungsverfahren hat das Landessozialgericht Gelegenheit, die bislang - ausgehend von seiner Rechtsansicht folgerichtig - nicht getroffenen Tatsachenfeststellungen nachzuholen. Es wird auch zu prüfen haben, ob nicht schon die vom Kläger im streitbefangenen Zeitraum als laufende Leistung bezogene Überbrückungsrente zum vollständigen Ruhen seines Arbeitslosengeldanspruchs geführt hat. Anders ist es nach der im vorliegenden Fall einschlägigen Rechtslage nur, wenn diese Schweizer Rente auch während einer anderen Beschäftigung und ohne Rücksicht auf die Höhe des Arbeitsentgelts gewährt wird.
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